Corona-Mythen: Wie Medien sie verbreiten
Die Corona-Verschwörungsmythen wurden in der Debatte der vergangenen Wochen mehrfach als "zweites Virus" bezeichnet. Demnach verbreiteten diese sich ähnlich wie SARS-CoV-2 zunehmend in der Bevölkerung, mithilfe prominenter Akteure und neuer Medien. Doch anders als ein Virus können Medien niemanden einfach so "infizieren", denn dafür braucht es bestimmte Voraussetzungen. Die Psychologin Pia Lamberty erklärt: "Der Glaube an Verschwörungen ist ein generalisiertes Misstrauen gegenüber all den Gruppen, die man als mächtig wahrnimmt. Es hat auch mit Ablehnung, Feindschaft gegenüber sozialen Gruppen zu tun."
Dennoch zeige die Forschung, so Lamberty, dass schon der einmalige Kontakt mit einer Verschwörungserzählung dazu führen könne, "dass Menschen misstrauischer werden, sich mehr von der Gesellschaft entfernt fühlen oder sogar weniger bereit sind, sich impfen zu lassen." Die aktuelle Krise mit all ihren Unwägbarkeiten könne den Glauben an Verschwörungserzählungen insgesamt verstärken: "Wir wissen aus der Forschung, dass Unsicherheit eben dazu führt, dass Menschen Struktur suchen, dass sie Muster suchen. Und eine Form dieser Mustererkennung ist der Glaube an Verschwörungen."
Social-Media-Konsum befördert Verschwörungsmythen
Dieser Befund wird auch durch eine repräsentative Umfrage von infratest dimap gestützt, die das NDR Medienmagazin "ZAPP" in Auftrag gegeben hat. Wer Social Media-Plattformen in der Corona-Berichterstattung als glaubwürdige Informationsanbieter wahrnimmt, neigt etwa doppelt so häufig (25 Prozent) zu Verschwörungstheorien wie Bundesbürger, die beispielsweise den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (11 Prozent) oder die Printmedien (13 Prozent) als glaubwürdige Medien einordnen.
Von allen Befragten halten 68 Prozent die öffentlich-rechtlichen Medien in der Berichterstattung über Corona für glaubwürdig. Dahinter folgen Printmedien mit 42 Prozent, der Private Rundfunk mit 23 Prozent und Social-Media Plattformen mit 7 Prozent. Für Tanjev Schultz, Professor für Journalismus an der Uni Mainz, bestätigt die "ZAPP"-Umfrage in der Corona-Krise einen Trend: "Die Umfrageergebnisse zeigen, dass es insgesamt ein relativ hohes Vertrauen der meisten Menschen gerade in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seine Informationsangebote und auch in Zeitungen gibt. Dieses Vertrauen ist auch flächendeckend, über die Altersgruppen hinweg - und bröckelt ein wenig ab bei den jüngeren Menschen, die stärker auf Social Media Angebote setzen."
Alternative Medien weichen auf andere Plattformen aus
Verschwörungserzählungen kursieren insbesondere über soziale Medien. Vor allem YouTube stand bis zuletzt in der Kritik, weil dessen Algorithmus die Nutzer zu immer extremeren Videos führte. Doch seit der Corona-Krise reagiert die Plattform stärker auf Falschinformationen, löscht verschwörungsideologische Inhalte über das Virus oder schränkt sie stark in ihrer Sichtbarkeit ein. Auch deswegen weichen die Akteure der Szene, die sich selbst oft als "alternative Medien" bezeichnen, auf Dienste wie die Video-Plattform BitChute oder den Messaging-Dienst Telegram aus.
Mehr als die Hälfte der von infratest dimap Befragten gibt an, in den letzten Wochen in sozialen Medien wie YouTube, Facebook, aber auch in Messenger-Diensten wie Telegram und WhatsApp Nachrichten und Kommentare über Corona wahrgenommen zu haben. Jeder Zehnte hat diese Inhalte auch intensiv geteilt.
Am aktivsten teilen AfD-Anhängerinnen und Anhänger Social Media-Posts beim Thema Corona (19 Prozent), selten aktiv sind Anhängerinnen oder Anhänger der Grünen (3 Prozent). Im Lager der Linkspartei und der AfD werden Nachrichten auf Social Media zum Thema Corona am stärksten wahrgenommen (Linke: 72 Prozent/ AfD: 67 Prozent).
20 Prozent glauben an gezielte Corona-Täuschungen
Jeder fünfte Wahlberechtigte meint, dass "Politik und Medien die Gefährlichkeit des Corona-Virus ganz bewusst übertreiben, um die Öffentlichkeit zu täuschen." Tanjev Schultz macht in diesem Zusammenhang auf "eine ganz klare Kluft zwischen den Anhängern der AfD und dem Rest der Bevölkerung" aufmerksam. "Die Anhänger der Afd suchen Informationen eher in anderen Medien und vertrauen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk deutlich weniger."
Faktenchecks weniger überzeugend als Legenden
Doch auch etablierte Medien können Verschwörungserzählungen verbreiten und somit zu einer Radikalisierung beitragen: Selten wurde in Zeitungen, Fernsehen und Radio so ausführlich über so abwegige Meinungen berichtet. Die kritische Berichterstattung hat allerdings ein entscheidendes Problem: Kritikerinnen und Kritiker von Verschwörungstheorien würden von Verschwörungsgläubigen entweder als naiv abgestempelt oder gleich als Teil der Verschwörung markiert, so die Psychologin Lamberty. Das macht einen gesellschaftlichen Diskurs schwierig. Die aktuelle Flut von Artikeln und Reportagen über die jüngsten Demonstrationen unterstützt die Verbreitung von Verschwörungserzählungen und legitimiert sie gewissermaßen.
Selbst die ausführliche, inhaltliche Auseinandersetzung mit Verschwörungsmythen in Form von nüchternen Faktenchecks kann an der Aufklärung scheitern. Denn, so erklärt die Psychologin Lamberty: "Es ist für Menschen schwieriger, sich die Verneinung von etwas zu merken. Das heißt, wenn ich jemanden eine Verschwörungserzählung präsentiere und danach sage: Das stimmt nicht, bleibt die Verschwörung stärker haften als die Information, dass es so nicht stimmt." Somit wird das Berichten über Verschwörungserzählungen für etablierte Medien zur Gratwanderung.