Stand: 13.01.2014 18:30 Uhr

Demenzkranke absichtlich ruhig gestellt

von Linda Luft und Ines Burckhardt
Die Hand einer Frau am Triangelgriff an einem Bettgalgen eines Pflegebettes. © dpa/Picture-alliance Foto: Jens Kalaene
Viele Demenzkranke werden mit Psychopharmaka ruhig gestellt - aus Zeitmangel oder Überarbeitung.

Der Verdacht hat sich langsam bei Ruth Wicke festgesetzt - dann begann sie nachzuforschen. Der Verdacht, ihre demente Mutter, die in einem Pflegeheim untergebracht war, werde mit unterschiedlichen Psychopharmaka ruhiggestellt. Die Reaktionen ihrer Mutter wiesen alle in  diese Richtung: "Wenn sie zum Beispiel hoch unter Psychopharmaka stand, dann sackte der Kopf runter oder sie hielt die Arme: 'Hilfe!' Dann fiel ihr das Gebiss aus dem Mund und der Speichel lief. Können Sie alles wörtlich in den Beipackzetteln so nachlesen. Sie hat keine Nebenwirkungen ausgelassen", so erzählt sie.

Pharmazie-Cocktail aus 18 Medikamenten

Schließlich fand Ruth Wicke einen Pharmazie-Cocktail bei ihrer Mutter mit bis zu 18 unterschiedlichen Medikamenten. Den muss die alte Dame über Jahre genommen haben. Nach dieser Entdeckung wechselte Ruth Wicke den Arzt. Der Nachfolger setzte die Medikamente ab. Danach ging es der Mutter sogar besser.

Der Fall Wicke scheint aber kein Einzelfall zu sein. Im Frühjahr 2012 belegte eine Studie des Bremer Zentrums für Sozialpolitik, dass offenbar systematisch in deutschen Pflegeheimen demente Bewohner mit Psychopharmaka behandelt werden. Laut der Studie werden etwa 240.000 Demenzkranke mit Hilfe "chemischer Keulen" regelrecht "abgeschossen".   

Ärzte müssen aufklären

Die Vorsorgeberechtigten oder Verwandten bekommen davon meist gar nichts mit, die Demenzkranken selbst können sich nicht wehren. Gesetzlich ist festgeschrieben, dass Ärzte über die Wirkung von Medikamenten aufklären müssen - anscheinend eine Regelung, die nur unzureichend greift.

Eine Altenpflegerin beschreibt die Lage im Pflegeheim so: "Es ist oft die Hilflosigkeit der Pfleger, die unter Stress stehen, wir haben kaum noch Zeit. Es ist nur noch Akkordarbeit, das Menschliche bleibt auf der Strecke. Man muss dem Bewohner quasi so was antun, man schießt ihn ab, damit er uns keine Arbeit macht. Und jeder, der mit dem Finger schnipst und einen Extrawunsch hat, der stört eigentlich."

 

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 14.01.2014 | 21:15 Uhr

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