Sendedatum: 12.08.2014 21:15 Uhr

Familiengericht: Mangelhafte Gutachten

von Jasmin Klofta

Constanze K. fällt aus allen Wolken, als ein Gerichtsgutachter seine Beurteilung vorlegt. Im Sorgerechtsstreit um ihren Sohn Anton hatte der Richter vom Familiengericht mit Hilfe eines Gutachtens klären lassen, ob die Mutter fähig sei die Erziehung ihres Sohnes zu übernehmen. Und das Gutachten besagt: Constanze K. sei nicht erziehungsfähig, sondern sei psychisch krank und könnte sogar ihren Sohn umbringen.

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Offensichtlich mangelhaftes Gutachten

Constanze K.
Ein Gutachten besagte, Constanze K. sei nicht erziehungsfähig, sondern sei psychisch krank. Darum musste ihr Sohn sie verlassen.

Unter welcher Krankheit die Mutter leiden soll, und wie der Gutachter darauf kommt, steht nicht im Gutachten. Trotz offensichtlicher Mängel folgt der Richter dem Gutachten. Die Folge: Sohn Anton muss die Mutter verlassen und wird beim Vater untergebracht. Erst ein zweites Gutachten erlöst die Mutter von dem Alptraum. Im  zweiten Gutachten heißt es plötzlich: Es lägen "keine begründeten  Anhaltspunkte" vor, dass die Mutter sich oder ihren Sohn töten könnte. 

Vielmehr weise das erste Gutachten "erhebliche Mängel" auf. Das glaubt  nun auch der Richter. Sohn Anton darf vorerst wieder nach Hause. Warum das Gericht dem offensichtlich mangelhaften Gutachten folgte und Mutter und Sohn trennte, wollte es gegenüber Panorama 3 nicht erklären. Auch der vom Gericht eingesetzte erste Gutachter wollte sich nicht äußern.

Studie zeigt gravierende Mängel

Gutachter
Folgenschweres Gutachten: Constanze K. sei nicht erziehungsfähig, sondern psychisch krank und könnte sogar ihren Sohn umbringen.

Dass Gutachten an Familiengerichten oftmals gravierende Mängel  aufweisen, ist jetzt systematisch nachgewiesen worden. In einerStudie der FernUniversität Hagen wurden alle Gutachten von vier exemplarisch ausgewählten Gerichten untersucht. Diese Vollerhebung über zwei Jahre  zeigt: Über 50 Prozent der untersuchten  Gutachten weisen gravierende Mängel auf. "Das ist natürlich eine völlig intolerierbare Zahl von Gutachten", sagt Prof. Dr. Stefan  Stürmer vom Institut für Psychologie. Denn so ist es "ein  Lotteriespiel, ob man ein gutes Gutachten bekommt oder ein schlechtes. Und das ist für einen rechtsstaatlichen Prozess natürlich nicht hinnehmbar."

Vielzahl von Fehlern nicht erkannt

"Wir waren nicht nur überrascht, wir waren schockiert" von den Ergebnissen, sagt Joachim Lüblinghoff, Experte für Familienrecht im Präsidium des Deutschen Richterbundes. Denn Gutachten sind in Familiensachen die wichtigste Grundlage für die richterliche Entscheidung. Wenn ein Gutachten wegen Qualitätsmängeln zu einem falschen Ergebnis kommt, könnte auch ein Richter eine falsche Entscheidung treffen. Nach der Studie kann auch der Richterbund Fehlentscheidungen an Familiengerichten nicht ausschließen. Lüblinghoff räumt ein, dass "eine Vielzahl von Fehlern nicht erkannt" wurden.

Das  Problem: In Deutschland gibt es keine Regeln dafür, wie ein Gutachten auszusehen hat. Außerdem gibt es keine Vorgaben, wer überhaupt ein familienrechtspsychologisches Gutachten verfassen darf. Und da sich in  Deutschland jeder Gutachter nennen darf, kann ein Richter wegen der richterlichen Unabhängigkeit theoretisch jeden zum Gutachter  ernennen.

Nach einer neuen Gerichtsentscheidung dürfen Constanze K. und  Anton nun wieder gemeinsam zuhause sein. Von allein darauf gekommen  ist der Richter aber nicht. Er hatte für diese Entscheidung noch einen dritten Gutachter einbestellt.

 

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 12.08.2014 | 21:15 Uhr