Rauchsäulen stehen über dem Stahlwerk der Salzgitter AG in Salzgitter. © dpa Foto: Christophe Gateau

Wie ein Stahlriese den Klimaschutz entdeckt

Stand: 28.11.2021 17:17 Uhr

Die deutsche Stahlindustrie muss umdenken. Auch die Salzgitter AG in Niedersachsen stößt noch riesige Mengen CO2 aus. Aber spätestens 2045 will der Konzern nahezu klimaneutral Stahl herstellen. Wie kann das gelingen? Die neue Folge des Podcasts "Mission Klima - Lösungen für die Krise".

von Marc-Oliver Rehrmann und Markus Plettendorff

Manchmal reicht eine Zahl aus. Um klarzumachen, wie schädlich etwas für das Klima ist. Allein die Salzgitter AG in Niedersachsen ist als Stahl-Produzent für ein Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes in Deutschland verantwortlich. Eine einzige Fabrik-Anlage. "Im Moment stößt das Werk in Salzgitter pro Jahr acht Millionen Tonnen Kohlendioxid aus", sagt Manager Martin Zappe. Ganz Deutschland kam zuletzt laut Umweltbundesamt auf 810 Millionen Tonnen. Zappes Auftrag lautet nun: den Stahl-Riesen fit für die Zukunft machen. Das heißt: den jetzt so klimaschädlichen Prozess der Stahl-Herstellung auf ein möglichst klimaschonendes Verfahren umzustellen. Eine Mammut-Aufgabe!

Die Sonne scheint auf das Stahlwerk der Salzgitter AG © picture alliance/dpa | Christophe Gateau Foto: Christophe Gateau
AUDIO: Podcast Mission Klima: Wie Stahlwerke klimafreundlicher werden (31 Min)

Nahezu klimaneutraler Stahl bis zum Jahr 2045

Aber die Salzgitter AG zeigt sich entschlossen und hat sich konkrete Klimaschutz-Ziele gesetzt: Im ersten Schritt soll ab 2025 der CO2-Ausstoß um 30 Prozent gesenkt werden. Fünf Jahre später startet Stufe zwei mit einer Senkung um 50 Prozent. Und bis 2045 sollen dann 95 Prozent der CO2-Emissionen vermieden werden - spätestens. "Wir haben uns vorgenommen, uns im kommenden Frühjahr einen noch ambitionierteren Zeitplan zu setzen", sagt Zappe. Er leitet das konzerneigene Programm "Salcos". Die Abkürzung steht für "Salzgitter Low Co2 Steelmaking" - also für eine Stahlproduktion mit wenig CO2.

Klassische Hochöfen haben bald ausgedient

Ein Arbeiter in einem Stahlwerk. © Picture Alliance Foto: Hauke-Christian Dittrich
Solche Bilder aus der Stahl-Produktion mit Koks wird es in einigen Jahrzehnten im Stahlwerk Salzgitter nicht mehr geben.

Mehr als eine Milliarde Euro will Salzgitter für die Wende in den kommenden Jahren ausgeben. Denn es müssen ganz neue Anlagen auf dem Werksgelände entstehen. So wird es spätestens ab 2045 in Salzgitter keine traditionellen Hochöfen mehr geben.

Die gute Nachricht lautet: Die technische Lösung für das Problem der Treibhausgase liegt vor. "Bei der Salzgitter AG setzen wir darauf, dass wir im Herstellungsprozess das Kohlendioxid komplett vermeiden, und nicht etwa das CO2 auffangen und dann einlagern oder aufwendig nutzbar machen müssen", erklärt Zappe. "Das ist glücklicherweise bei der Stahl-Produktion technisch machbar - anders als in der Zement-Industrie."

Das Zauberwort heißt Direktreduktion

Das Verfahren der Zukunft heiß Direktreduktion. Es ist kein neuartiges Verfahren, sondern ist bereits in der Stahlindustrie im Einsatz. Aber bislang nur mit dem klimaschädlichen Erdgas. Künftig soll das Gas durch Wasserstoff ersetzt werden, idealerweise durch "grünen Wasserstoff" - also Wasserstoff, der durch den Einsatz von Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen wird.

Noch dreht sich alles um Koks

Aktuell läuft es noch so: Um aus Eisenerz erst einmal Roheisen zu machen, muss das Eisenerz erhitzt werden - auf über 1.000 Grad. Das geschieht im Hochofen, in dem Koks als Brennmaterial einsetzt wird. In weiteren Prozessen wird dann Stahl draus. Bei der Direktreduktion wird das Eisenerz nicht geschmolzen, sondern - auch bei hohen Temperaturen - zu metallischem Eisen "reduziert". Das Produkt aus diesem Prozess wird dann in Elektro-Öfen für die Weiterverarbeitung eingeschmolzen.

Wasserdampf statt Kohlendioxid bleibt übrig

Während bei der herkömmlichen Gewinnung von Roheisen aus Eisenerz in den Hochöfen viel klimaschädliches Kohlendioxid freigesetzt wird, bleibt beim Wasserstoff-Verfahren lediglich Wasserdampf übrig. Im Jahr 2026 will die Salzgitter AG bereits mehr als eine Million Tonnen Stahl durch das klimaschonende Verfahren produzieren. Im Jahr 2020 hat der Konzern weltweit mehr als sechs Millionen Tonnen klimaschädlichen Stahl hergestellt.

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Stahlindustrie ist ein großer Klimasünder

Die Salzgitter AG ist einer der ganz großen Stahlproduzenten in Deutschland - mit knapp 25.000 Beschäftigten weltweit und mehr als 18.000 in Deutschland. Auch deutsche MItbewerber in der Stahl-Branche wie ArcelorMittal und ThyssenKrupp tüfteln an der Herstellung von "grünem Stahl". Die deutsche Stahlindustrie kam zuletzt insgesamt auf einen CO2-Ausstoß von mehr als 37 Millionen Tonnen im Jahr. Zum Vergleich: Für den kompletten Verkehr in Deutschland sind es 146 Millionen Tonnen.

"Grüner Stahl" ist deutlich teurer

Aus Sicht der Stahlindustrie hat der klimafreundliche Prozess einen Makel. Der Stahl wird teurer, viel teurer: um geschätzte 30 Prozent. "Aus heutiger Sicht macht die Umstellung auf 'grünen Stahl' deshalb wirtschaftlich keinen Sinn", sagt Zappe. "Andererseits wird mit den steigenden Preisen für die CO2-Zertifikate in Zukunft der Kosten-Rucksack auf der traditionellen Hochofen-Route auch immer größer werden." Zudem hoffen die Manager In Salzgitter, dass die Preise für den im Moment noch teuren grünen Wasserstoff in den kommenden Jahren und Jahrzehnten sinken, wenn er erst einmal in industriellem Maßstab hergestellt wird.

Ohne "grünen Wasserstoff" geht es nicht

Noch ist der "grüne Wasserstoff" ein rares Gut. Deshalb hat sich die Salzgitter AG für den Anfang zwei Elektrolyseure aufs Gelände gestellt. Das sind Anlagen, die Wasserstoff erzeugen. Dabei wird mit Strom Wasser in seine Elemente Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Von "grünem Wasserstoff" wird gesprochen, wenn der Strom dabei aus erneuerbaren Energien kommt.

Ein Elektrolyseur zur Erzeugung von Wasserstoff steht auf dem Gelände der Salzgitter AG.  Foto: Markus Plettendorf
Mit zwei solchen Elektrolyseuren erzeugt die Salzgitter AG Wasserstoff - in sehr kleinen Mengen.

Im Moment sind es noch eher homöopathische Dosen an grünem Wasserstoff, die in Salzgitter hergestellt werden. Bis 2025 soll eine Anlage entstehen, die 40 Mal so viel grünen Wasserstoff erzeugt wie die beiden aktuellen Pilotanlagen. Und selbst dann wird der Konzern noch viel Wasserstoff woanders her bekommen müssen. So wird es auch anderen Branchen gehen, die für den Klimaschutz auf grünen Wasserstoff bauen.

Experten schätzen, dass Deutschland etwa 80 Prozent seines künftigen Bedarfs aus dem Ausland decken wird. Der Transport könne über Pipelines und Schiffe erfolgen. Nur etwa 20 Prozent des grünen Wasserstoffs werde in Deutschland herstellt.

2.000 Windräder sind nötig

Für sein ambitioniertes Klimaschutz-Programm ist die Salzgitter AG aber nicht nur auf ausreichende Mengen an grünem Wasserstoff angewiesen. Auch der Bedarf an "grünem Strom" ist riesig. Zwar hat der Stahl-Produzent neun Windräder auf dem Werksgelönde stehen. Aber das reicht bei Weitem nicht. "Letztlich brauchen wir 2.000 solcher Windräder für unseren Energiebedarf", macht Manager Zappe deutlich. Deshalb sei der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland so wichtig. Zudem benötige die Salzgitter AG dringend Hochspannungsleitungen. "Wenn wir keine Hochspannung mit 380.000 Volt haben, dann können wir den geplanten Elektroschmelzofen nicht betreiben - und damit funktioniert unser Klimaschutz-Programm Salcos nicht."

Expertin: Die Industrie muss jetzt loslegen

Veronika Grimm, Wirtschaftswissenschaftlerin © Giulia Iannicelli Foto: Giulia Iannicelli
Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm sieht in klimafreundlichen Technologien eine große Chance für die deutsche Industrie.

Dass der Stahlkonzern aus Niedersachsen dennoch unbeirrt sein Klimaschutz-Programm vorantreibt, hält die Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm von der Universität Erlangen-Nürnberg für richtig. Sie berät nicht nur die Bundesregierung als sogenannte Wirtschaftsweise - sie sitzt auch im nationalen Wasserstoffrat. "In Deutschland wären wir viel zu langsam, wenn wir alles nacheinander angehen: wenn wir also erst auf den Ausbau erneuerbarer Energien warten, dann die Herstellung von grünem Wasserstoff vorantreiben und später die Herstellung von 'grünem Stahl'. Dann werden wir die Klimaziele - nämlich die Klimaneutralität im Jahr 2045 - sicher nicht erreichen."

Denn auch der Austausch der Industrie-Anlagen benötige seine Zeit. Deshalb sei es auch richtig auf Übergangstechnologien mit Erdgas zu setzen, die jetzt schon klimafreundlicher sind als die jetzigen Kohle-basierten Verfahren.

"Klimaschutz ermöglicht neue Geschäftsfelder"

Nach Ansicht von Grimm ist es bedeutend, dass es gelingt, die neuen klimafreundlichen Technologien zu etablieren, aber gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu erhalten - etwa durch Abkommen mit den führenden Handelspartnern wie China und den USA. Die Technologie-Führerschaft sei ein ganz wichtiger Punkt. "Wenn wir es in Deutschland beziehungsweise in Europa schaffen, diese klimafreundlichen Anlagen erstmalig zu bauen, dann haben wir die Möglichkeit, diese Expertise in anderen Ländern weltweit anzubieten. Das trägt zum Klimaschutz bei und eröffnet der deutschen Industrie mögliche Geschäftsfelder", sagt Grimm in der neuen Podcast-Folge von "Mission Klima - Lösungen für die Krise".

"Klima-Expertise wird weltweit gefragt sein"

Der Schriftzug "Grüner Stahl - Unsere Zukunft" ist auf einem Banner während einer Kundgebung der IG Metall vor dem Werk der Salzgitter AG zu lesen.  Foto: Moritz Frankenberg
"Grüner Stahl - Unsere Zukunft": Im September 2021 haben Beschäftigte der Salzgitter AG von der Politik Unterstützung für den klimafreundlichen Umbau der Stahl-Produktion gefordert.

Für die deutsche Industrie sei der Umbau hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft deshalb eine große Chance. "Weil es nicht nur um die Frage geht, ob wir 'grünen Stahl' oder 'grüne Chemie-Produkte' herstellen können. Sondern wir erarbeiten uns in der gesamten Industrie wie dem Maschinenbau und in den Zulieferbetrieben die Expertise, diese Anlagen auf industriellem Niveau zu erbauen", sagt Grimm. "Die Nachfrage nach klimafreundlichen Produktions-Anlagen wird weltweit steigen, weil viele Staaten sich die Klimaneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts als Ziel gesetzt haben."

Kunden wollen einen geringen CO2-Fußabdruck

In der Tat spielt ein geringerer CO2-Fußabdruck schon jetzt eine immer größere Rolle. Auch bei den Kunden der Salzgitter AG. So setzen bereits zwei große deutsche Haushaltsmaschinen-Hersteller auf klimafreundlicheren Stahl aus Salzgitter. Zwar ist das noch nicht der "grüne Stahl", der die wirtschaftliche Zukunft des Konzerns sichern soll. Aber bei einem alternativen Verfahren, bei dem Schrott im Elektro-Ofen eingeschmolzen wird, lassen sich schon in diesen Tagen 66 Prozent Kohlendioxid einsparen.

Auch die Mitarbeiter hoffen auf "grünen Stahl"

Nicht nur die Konzernführung hofft auf eine Zukunft für den Stahl. Auch die Beschäftigten in Salzgitter haben erkannt, dass das traditionelle Stahlkochen ein Auslaufsmodell ist. Unter dem Titel "Bereit für grünen Stahl" forderten in diesem Herbst Hunderte Beschäftige der Salzgitter AG von der Politik verlässliche und verbindliche Rahmenbedingungen. Damit die angepeilte Umstellung auf eine klimaneutrale Stahl-Erzeugung gelingen kann.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Mission Klima – Lösungen für die Krise | 29.11.2021 | 07:08 Uhr

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