Der Ofen des Zementwerks von Holzim überragt die Häuser am Ortsrand von Lägerdorf. © dpa-Bildfunk Foto: Christian Charisius
Der Ofen des Zementwerks von Holzim überragt die Häuser am Ortsrand von Lägerdorf. © dpa-Bildfunk Foto: Christian Charisius
Der Ofen des Zementwerks von Holzim überragt die Häuser am Ortsrand von Lägerdorf. © dpa-Bildfunk Foto: Christian Charisius
AUDIO: Wo norddeutsche Unternehmen CO2-Zertifikate kaufen (3 Min)

"Klimaneutral" mit CO2-Zertifikaten: Wie kann der Norden profitieren?

Stand: 03.06.2023 06:00 Uhr

Viele Unternehmen in Norddeutschland wollen früher oder später "klimaneutral" sein. Deshalb suchen sie nach Klimaschutz-Projekten, bei denen sie C02-Zertifikate erwerben können. Im Norden werden sie kaum fündig. Warum nicht?

von Marc-Oliver Rehrmann

Der norddeutsche Zement-Hersteller Holcim hat sich viel vorgenommen. Obwohl die Produktion von Zement und Beton als besonders klimaschädlich gilt, strebt das Unternehmen "Klimaneutralität" an. Aktuell ist das Zementwerk von Holcim in Lägerdorf bei Itzehoe der zweitgrößte Verursacher von Kohlendioxid unter den Industriebetrieben in Schleswig-Holstein. Allein in diesem Werk fallen bislang noch jährlich 1,2 Millionen Tonnen CO2 an.

"Technisch ist es möglich, zumindest bei der Beton-Produktion bis zu 70 Prozent der CO2-Emissionen einzusparen - mehr nicht", sagt Unternehmens-Sprecher Nicolas Schnabel im Gespräch mit NDR Info. Schon jetzt aber bietet Holcim seinen Kunden eine "klimaneutrale" Produktion an. Hierfür erwirbt das Unternehmen CO2-Zertifikate, um den verbliebenen Teil der Emissionen auszugleichen.

Ein ganz besonderes Moor-Projekt im Norden

Blick auf eine Moorlandschaft. © NDR Foto: Jörn Schaar
Das Königsmoor wird für die Wiedervernässung so umgestaltet, dass das Regenwasser nicht gleich wieder abfließt.

"Es ist der ausdrückliche Wunsch der Geschäftsleitung, die CO2-Zertifikate möglichst bei regionalen Projekten zu erwerben", sagt Schnabel im Gespräch mit NDR Info. Nur ist das gar nicht so einfach. Aber das Unternehmen ist schließlich im Norden fündig geworden. So hat Holcim Zertifikate bei einem Moor-Projekt in Schleswig-Holstein gekauft: Bei dem sogenannten MoorFutures- Projekt wird ein Teil des Königsmoors im Kreis Rendsburg-Eckernförde wiedervernässt und das Entweichen von CO2 vermieden. Es ist eines der wenigen Klimaschutz-Projekte in Deutschland, die CO2-Zertifikate ausgeben. Zur Finanzierung der Wiedervernässung, die über einen Zeitraum von 50 Jahren läuft, werden CO2-Zertifikate ausgegeben. Eine eingesparte Tonne CO2 kostet im Onlineshop 74 Euro. Das ist relativ viel. Bei anderen Anbietern ist ein Zertifikat schon für rund 20 Euro pro Tonne zu haben, manchmal auch für noch weniger Geld.

Was sind MoorFutures-Projekte?

Für die MoorFutures-Projekte haben sich die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Brandenburg zusammengetan, um für den Klimaschutz die Wiedervernässung von Mooren zu ermöglichen. Das Geld hierfür wird über den Verkauf von CO2-Zertifikaten eingesammelt. Dies können unter anderem Privatpersonen, Vereine, Organisationen oder Firmen sein. Für jedes Projekt gibt es eine begrenzte Anzahl von Zertifikaten - entsprechend der tatsächlichen Menge an eingespartem CO2. Schwierig ist es, geeignete Flächen zu finden. Aktuell können nur Zertifikate für das Königsmoor erworben werden.

Holcim: CO2-Zertifikate sollen nur Zwischenlösung sein

Bislang hat der Zement- und Beton-Hersteller Holcim nur CO2-Zertifikate bei dem Königsmoor-Projekt gekauft - für insgesamt 816 Tonnen. Das ist eine überschaubare Menge. "Das Interesse auf Seiten der Kunden an unseren klimaneutralen Produkten ist noch nicht sehr groß", sagt Holcim-Sprecher Schnabel zur Erklärung.

Für die Zukunft setzt Holcim ohnehin nicht auf den Zertifikaten-Kauf, sondern auf CO2-Vermeidung. Deshalb soll in Lägerdorf bis zum Jahr 2029 eine neue Zement-Produktionsanlage entstehen, bei der das klimaschädliche Kohlendioxid nicht in die Atmosphäre entweicht, sondern aufgefangen wird. Das Gas soll dann als Rohstoff bei anderen Industrien - zum Beispiel in der Kunststoff- oder E-Fuels-Produktion - verwendet werden zu können.

Klimaschutz-Zertifikate vor allem im Ausland

Auch das familiengeführte Chemie-Unternehmen BÜFA aus dem niedersächsischen Oldenburg erwirbt bei dem Königsmoor-Projekt regelmäßig CO2-Zertifikate - pro Jahr waren es zuletzt Zertifikate über 400 Tonnen. Der Ausgleich der betrieblichen CO2-Emissionen sei nur eine vorläufige Lösung. "Das Vermeiden und Verringern ist für uns das Wichtigste", sagt BÜFA-Nachhaltigkeits-Managerin Yvonne Burmann.

Nach Angaben des mittelständischen Unternehmens sind die drei deutschen Standorte seit 2021 "klimaneutral". Erreicht wird dies zum Teil durch die Moor-Zertifikate. Aber die BÜFA arbeitet auch mit anderen Organisationen zusammen. "Da wir abgesehen vom Königsmoor keine Zertifikat-Projekte in Deutschland gefunden haben, sind es darüber hinaus Projekte im Ausland", sagt Burmann. Konkret beteilige sich das Chemie-Unternehmen finanziell an Aufforstungen in Südamerika - über die Organisation PrimaKlima vermittelt - und an Klimaschutz-Projekten in Afrika von der Non-Profi-Organisation Atmosfair. "Uns ist wichtig, dass die Projekte eine hohe Verbindlichkeit und Qualität haben", macht Burmann deutlich.

C02-Zertifikate in Deutschland sind ein Auslauf-Modell

So wie der BÜFA geht es vielen Firmen: Sie weichen für den Erwerb von CO2-Zertifikaten notgedrungen ins Ausland aus. Dass es kaum Klimaschutz-Projekte in Deutschland gibt, die CO2-Zeritifikate ausgeben, hat einen simplen Grund: In der Regel werden alle Klimaschutz-Projekte in der CO2-Bilanz Deutschlands erfasst. So sehen es die internationalen Klimaschutz-Abkommen vor. Daher ist es nicht möglich, dass sich ein Unternehmen den CO2-Erfolg auch noch in seine eigene Klimabilanz schreibt. Allein Moor-Projekte wie das in Schleswig-Holstein bilden eine Ausnahme, aber auch nicht mehr lange. Künftig sollen sie auch in die CO2-Bilanz Deutschlands einzählen.

"Unternehmen sollten sich ihre CO2-Emissionen ehrlich eingestehen"

"Ich würde norddeutschen Unternehmen sagen, dass sie gar nicht erst in Deutschland nach Projekten mit CO2-Zertifikaten suchen sollen", sagt Niklas Höhne von New Climate Institute, einer gemeinnützigen Organisation, die in den Bereichen Klimapolitik und globale Nachhaltigkeit arbeitet. Der Klimaschutz-Experte findet die Idee des Handels mit CO2-Zertifikaten als Ausgleich für CO2-Emissionen ohnehin für sehr fragwürdig. "Die Unternehmen sollten sich lieber ihre CO2-Emissionen ehrlich eingestehen", meint Höhne. Die viel beschworene "Klimaneutralität" für ein Produktions-Unternehmen sei meist gar nicht möglich. Alle Anstrengungen müssten dahin gehen, den Ausstoß von Kohlendioxid zu vermeiden.

Klimaschutz geht auch anders

Höhne sagt: "Wer als Unternehmen zusätzlich etwas für den Klimaschutz tun möchte, kann Klimaschutz-Projekte finanziell unterstützen - auch solche, die in Norddeutschland liegen." Dabei gehe es aber nicht um den Kauf von CO2-Zertifikaten, die Unternehmen auf ihre eigene Klimabilanz anrechnen könnten - mit dem Ziel, "klimaneutral" zu sein. Vielmehr sind dies Projekte, die einen freiwilligen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Diese Zertifikate werden "contribution claims" genannt - im Gegensatz zu "compensation claims" beim CO2-Zertifikaten-Handel. Das englische Wort "contribution" bedeutet "Beitrag", "compensation" bedeutet "Ausgleich, Entschädigung". Wichtig sei, dass es sich um Klimaschutz-Projekte handelt, die ohne den finanziellen Beitrag eines Unternehmens nicht zustande kommen würden, betont Höhne.

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CarbonStack bietet Aufforstungen im Harz

Ein Beispiel für solch einen Handel mit "contribution claims" bietet das Hamburger Start-up CarbonStack. Das Team hilft bei der großflächigen Aufforstung im Harz - dort, wo ein Großteil des Waldes abgestorben ist. "Speichern Sie mit uns Ihren unvermeidbaren CO2- Ausstoß durch die Wiederaufforstung eines deutschen Waldes", so wirbt die kleine Firma auf ihrer Homepage um Kunden. Bislang hat CarbonStack nach eigenen Angaben im Harz 140.000 Bäume gepflanzt - in Zusammenarbeit mit der Forstverwaltung vor Ort. "Wir wollen Klimaschutz vor der eignen Haustür", sagt Noah Winneberger, einer der Gründer von CarbonStack. Für das Projekt im Harz kommt die Hälfte des Geldes von CarbonStack, die dafür mit dem Energiekonzern Shell Deutschland zusammenarbeiten - einem großen Verursacher von CO2-Emissionen.

Neuer Trend beim Handel mit CO2-Zertifikaten

Shell Deutschland kann sich die CO2-Reduzierung durch die Aufforstung im Harz zwar nicht auf die eigene CO2-Bilanz anrechnen. Aber das Unternehmen kann damit werben, dass es einen Beitrag zur Erreichung der deutschen Klimaziele geleistet hat. Um dieses Engagement nachweisen zu können, hat CarbonStack ein besonderes Register angelegt. "Wir haben eine transparente Plattform entwickelt, auf der die Klima-Leistungen von Unternehmen dokumentiert werden", sagt Winneberger. CarbonStack gibt dafür auch Zertifikate aus, aber eben nicht im klassischen Sinn. "Die Zertifizierung selbst ist an sich die gleiche, nur spricht man bei Projekten in Deutschland nun von 'contribution claims'", erklärt CarbonStack-Gründer Julian Kakarott. "Der Trend im Markt geht sowieso in diese Richtung. Das bedeutet: Wir sehen immer mehr Unternehmen, die diese 'contribution claims' einsetzen."

Positiver Nebeneffekt: Das Geld fließt bei CarbonStack eben nicht in Projekte in fernen Ländern, sondern kommt der Umwelt in Norddeutschland zugute.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 03.06.2023 | 07:40 Uhr

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