Diesen Blumenstrauß aus Christrosen, Flieder, Akelei, Tulpen, Buchen, Hirtentäschel und tränendem Herz würde Annika Müller-Navarra für 20 Euro verkaufen. © NDR/Susanne Schäfer Foto: Susanne Schäfer

"Slowflower"-Bewegung bringt nachhaltige Floristik in den Norden

Stand: 13.05.2023 06:00 Uhr

Zum Muttertag werden in Deutschland doppelt so viele Schnittblumen verkauft wie gewöhnlich. Ein Großteil wird importiert. Die "Slowflower"-Bewegung will das Geschäft nachhaltig revolutionieren. Eine Gründerin kommt aus Osnabrück.

von Susanne Schäfer, Wiebke Neelsen und Merle von Kuczkowski

In Deutschland ist es zu kalt, um ganzjährig im Freiland Blumen anzubauen. Da die Deutschen aber so viele Schnittblumen kaufen wie Menschen nirgendwo sonst in Europa, wird die Nachfrage zu 80 Prozent mit Importen bedient. Drehkreuz des europäischen Handels sind die Niederlande, Ursprungsländer zu 77 Prozent Afrika und Südamerika. Lange Lieferwege, Pestizideinsatz und ein hoher Wasserverbrauch führen dabei oft zu einer hohen Umweltbelastung.

Verzicht auf Pestizide

Anne Oberwalleney aus Osnabrück hat die Slowflower-Bewegung 2019 gemeinsam mit anderen gegründet. Inzwischen hat der Verein 235 Mitglieder. © NDR/Susanne Schäfer Foto: Susanne Schäfer
Anne Oberwalleney aus Osnabrück hat die Slowflower-Bewegung 2019 gemeinsam mit anderen gegründet. Inzwischen hat der Verein 235 Mitglieder.

Eine Alternative zur Importware sind Blumen aus Gärtnereien, die sich der sogenannten Slowflower-Bewegung verschrieben haben. Die dazugehörigen Betriebe legen den Fokus auf Nachhaltigkeit, Saisonalität und Regionalität. Von der Aussaat bis zur Ernte kommen hier weder Pestizide noch Torferde zum Einsatz. In der kalten Jahreszeit bieten sie oft dekorative Gebinde aus Trocken- oder Strohblumen an.

Gegründet wurde die Bewegung 2019 unter anderem von der Osnabrückerin Anne Oberwalleney. "Wir ermuntern dazu, vielleicht nur einmal im Monat einen ganz besonderen Blumenstrauß zu kaufen, statt jede Woche einen. Und sich dann auch an dem Vergehen zu erfreuen. Wir müssen ein bisschen Abstand nehmen von dem Alles-muss-immer-verfügbar-sein-Gedanken."

Nachhaltige Blumen aus Niedersachsen

Annika Müller-Navarra © NDR/Susanne Schäfer Foto: Susanne Schäfer
Slowflower-Kunden müssen spontan sein und sich überraschen lassen, sagt Annika Müller-Navarra.

Inzwischen hat der Verein 235 Mitglieder in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein. Eine von ihnen ist Annika Müller-Navarra aus Niedersachsen. Seit drei Jahren baut sie auf einem rund 200 Quadratmeter großen Feld zwischen Bad Iburg und Glandorf nachhaltig Blumen an. "Ich habe keine Massen, aber dafür ganz besondere Blumen", sagt die Gärtnerin.

Zum Muttertag sind es tränendes Herz, weißer Flieder, lila Akelei, Margeriten, Christrosen und die letzten Tulpen arrangiert mit Buchenzweigen. "Ich ergänze meine Blumensträuße gerne mit dem, was ich rings um mein Feld finde. Gräser und Hirtentäschel haben wir gerade viel." Umwickelt wird der Muttertags-Blumenstrauß mit Bast statt mit Plastik.

Gut 30 Prozent sind Slowflower-Gärtner im Haupterwerb, können also davon leben. Annika Müller-Navarra hat noch einen zweiten Beruf. Sie ist in Teilzeit angestellt als Baumgutachterin. Ihre Blumen liefert sie – wenn genügend blühen - zwar auch an einen kleinen Laden in Bad Iburg, Geld verdiene sie weniger mit Bundware: "Das sind eher größere Aufträge wie Workshops, Hochzeiten oder andere Veranstaltungen, die Blumen benötigen."

Nachhaltiger Fortschritt im internationalen Blumenhandel

International wird fast die Hälfte des gesamten Schnittblumengeschäfts mit Rosen gemacht (47 Prozent), es folgen Tulpen (14 Prozent) und Chrysanthemen (11 Prozent), so die Zentrale Markt- und Preisberichtstelle für Erzeugnisse der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft. Während Tulpen und Chrysanthemen vor allem in den Niederlanden gezüchtet und gezogen werden, ist Kenia der weltweit größte Rosenexporteur.

Annika Müller-Navarra hat den Rittersporn vorgezogen und pflanzt ihn jetzt auf ihrem Feld. Sie bepflanzt so, dass die Erde am besten nie leer ist. © NDR/Susanne Schäfer Foto: Susanne Schäfer
Annika Müller-Navarra hat den Rittersporn vorgezogen und pflanzt ihn jetzt auf ihrem Feld. Sie bepflanzt so, dass die Erde am besten nie leer ist.

Seit fast 20 Jahren gibt es für Rosen ein FairTrade-Siegel. Das heißt, dass es klar festgelegte Standards für Umwelt- und Arbeitsschutz in den Herkunftsländern wie Kenia gibt und der Handel eine Prämie in Höhe von zehn Prozent des Erlöses für Projekte vor Ort in Afrika zahlt. Jede dritte verkaufte Rose in Deutschland ist mittlerweile fair gehandelt. Dennoch bleibt für die hiesigen Floristen oft im Dunkeln, wie der Anbau importierter Blumen tatsächlich erfolgt - und wie die Arbeitsbedingungen vor Ort genau aussehen.

Ökobilanz von importierten Blumen: Afrika besser als Holland?

Das Schweizer Unternehmen Treeze, spezialisiert auf das Erstellen von Ökobilanzen, hat errechnet, dass die importierten FairTrade-Rosen sechseinhalbmal weniger Energie verbrauchen und fast fünfeinhalbmal weniger CO2 verursachen als Rosen aus beheizten europäischen Gewächshäusern, etwa aus den Niederlanden. Zudem wird laut Fairtrade Deutschland e.V. in Afrika immer öfter wiederaufbereitetes Wasser aus Kläranlagen für die Bewässerung genutzt. Und auch beim Unterglas-Anbau in Gewächshäusern gibt es Fortschritte: Dem Zentralverband Gartenbau zufolge werden vermehrt Insekten statt Pestizide für den Pflanzenschutz eingesetzt.

Im Norden werden zum Muttertag wohl trotzdem häufig Blumen aus der Region verschenkt. Denn der Anbau von Schnittblumen variiert regional stark, so der Fachverband Deutscher Floristen. In Norddeutschland stammen bis zu 35 Prozent aus heimischem Anbau - etwa die bekannten Vierländer Rosen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 12.05.2023 | 06:36 Uhr

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