Stand: 24.04.2018 06:00 Uhr

Zustand vieler Straßen im Norden katastrophal

von Kian Badrnejad und Nils Naber

Viele Kreisstraßen im Norden sind kaputt. Das ergab eine Recherche von Panorama 3. Rund 23 Prozent der Kreisstraßen in Norddeutschland befinden sich demnach in einem schlechten oder sehr schlechten Zustand. Für die umfangreiche Datenerhebung wurden alle Kreise und kreisfreien Städte in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein abgefragt. Erstmals liegen damit Daten zu Kreisstraßen für ganz Norddeutschland vor.

VIDEO: So kaputt sind Norddeutschlands Straßen (8 Min)

Milliarden müssten investiert werden

Prof. Berthold Best
Prof. Berthold Best von der Technischen Hochschule Nürnberg findet die Recherche-Ergebnisse alarmierend.

Insgesamt sind nach Panorama 3-Recherchen ungefähr 3.100 Kilometer Kreisstraßen in einem schlechten Zustand. Prof. Berthold Best von der Technischen Hochschule Nürnberg beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Erhaltung kommunaler Straßen. Das Ergebnis der Recherche ist aus seiner Sicht "besonders besorgniserregend. Denn diese Straßen drohen kurzfristig in einen Zustand abzurutschen, der keine Erhaltungsmaßnahmen mehr zulässt, sondern der dazu führt, dass die Straßen erneuert werden müssen."

Noch dramatischer ist es bei den rund 1.950 Kilometern Kreisstraßen im Norden, die sogar in einem sehr schlechten Zustand sind. Prof. Berthold Best nimmt nach einer Einschätzung der vom NDR recherchierten Daten an, dass 3,9 Milliarden Euro nötig wären, um diese Straßen zu erneuern. Diese Summe müssten die Kreise zusätzlich aufbringen. Das dürfte den Kreisen "sehr schwerfallen", meint Prof. Best.

Kategorien Straßenzustand

Die Kreise überprüfen den Zustand ihrer Straßen mittels einer regelmäßigen Zustandserfassung und Bewertung (ZEB). Dieses Verfahren gilt als Standard, bei dem mithilfe von Kameras der Straßenzustand digital erfasst und in Zustandswerte (Kategorien) von "sehr gut" (Kategorie 1, Zustandswert 1,0-1,5) bis "sehr schlecht" (Kategorie 5, Zustandswert: 4,5-5,0) eingeteilt wird.

Ein schlechter Zustand einer Straße (Kategorie 4) bedeutet, dass innerhalb kürzester Zeit Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt werden müssten. Die nötigen Pläne dafür sollten bereits vorliegen. Für Straßen in einem sehr schlechten Zustand (Kategorie 5) gilt: sofortiger Handlungsbedarf oder eine beschränkte Nutzung der Straße bis hin zu einer kompletten Schließung.

Stade und Rostock sind Schlusslichter

Und das Ausmaß der kaputten Straßen ist wahrscheinlich noch viel größer: Denn rund ein Drittel aller Kreise und kreisfreien Städte haben keine genauen Daten zum Zustand ihrer Straßen geliefert. Bremen hat auf die Anfrage gar nicht geantwortet.

Die zwei Landkreise mit den schlechtesten Straßen sind Stade und Rostock. Hier sind rund zwei Drittel der Straßen in einem schlechten oder sehr schlechten Zustand. Der Landkreis Stade erklärt, dass "jahrelang im Grunde zu wenig Geld da war". Der Landkreis Rostock schreibt auf Anfrage, dass ihn der Sanierungsstau von 170 Millionen Euro überlaste. Der Kreis mit den besten Straßen ist der Heidekreis - hier sind nur fünf Prozent der Straßen schlecht.

Übersicht über die Lage in den Ländern

 

Überforderung und Geldmangel

Viele Ämter scheinen mit der Betreuung der Kreisstraßen überfordert. Den zuständigen Kreisbauämtern fehlt es offenbar an Personal. Mehrere Kreise gaben auf Anfrage sogar an, sie hätten noch nie eine sogenannte Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) ihrer Kreisstraßen durchgeführt, wie beispielsweise die Kreise Ammerland, Holzminden, Leer, Verden, Uelzen und Wesermarsch. Eine Zustandserfassung und Bewertung sei wichtig, um die Haushaltsmittel, "vor allem, wenn sie beschränkt sind, zielgerichtet einzusetzen", meint Prof. Best. 

Zudem fehlt den Kreisbauämtern offenbar das nötige Geld. Viele Kreise investieren nur wenig Geld in ihr Straßennetz. So gibt der Landkreis Lüchow-Dannenberg gerade einmal 25 Cent pro Quadratmeter Straße aus. Laut Forschungsgesellschaft Straßen- und Verkehrswesen sind aber 1,10  Euro das absolute Minimum, das aufgewendet werden sollte, um ähnliche Straßen zu unterhalten. Zu den Investitionskosten haben aber nicht alle Kreise vergleichbare Daten geliefert.

Instandhaltung wird nicht gefördert

Die Landesregierungen in Hannover, Schwerin und Kiel erklären auf Panorama 3-Anfrage, dass für die Instandhaltung der Kreisstraßen die Kreise zuständig seien. Denn in der Regel werden keine Instandhaltungen, sondern nur Neubaumaßnahmen mit Fördergeldern der Länder unterstützt. Das sei ein Fehler, sagt Prof. Best und fordert: "Wir müssen wegkommen von der Förderung nur von Neubaumaßnahmen hin zu einer Förderung der Straßenerhaltung auch mit Landesmitteln." In Schleswig-Holstein scheint bereits ein Umdenken einzusetzen. Dort gilt nun laut Wirtschaftsministerium die Vorgabe: "Erhalt vor Neubau". Seit 2015 würden den Kreisen dafür jährlich zusätzlich 11,5 Millionen Euro zu Verfügung gestellt. Das Geld kann von den Kreisen aber auch für die Förderung des Nahverkehrs oder des Breitbandausbaus genutzt werden.

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Aus der NDR Recherche geht zudem hervor, dass im Norden ungefähr 480 Brücken in einem schlechten baulichen Zustand sind. Laut Prof. Best besteht die Gefahr, dass sie in die schlechteste Kategorie abrutschen. Dann ist die Standsicherheit des Bauwerks gefährdet und sofortige Maßnahmen sind erforderlich. Ein Beispiel dafür ist die Brücke bei Cramon im Landkreis Nordwestmecklenburg. Sie ist, als eine der wenigen Brücken im Norden, seit zwölf Jahren für den Verkehr gesperrt.

Die Datenerhebung

Im Rahmen der Recherche wurden Daten zu fünf Straßenkategorien von sehr gut bis sehr schlecht erfragt. Schlechte und sehr schlechte Straßen wurden zu allen Kreisstraßen in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein ins Verhältnis gesetzt. Nicht beachtet wurden dabei die nicht vergleichbaren Daten der kreisfreien Städte. Denn diese sind meist auch für Bundes- und Landesstraßen auf ihrem Gebiet zuständig.

Nicht beachtet wurden hierbei die Daten aus den kreisfreien Städten. Städte mit mehr als 80.000 Einwohnern sind, im Unterschied zu den Kreisen, für sämtliche Durchgangsstraßen, also auch Bundesstraßen, auf ihrem Gebiet verantwortlich. Städte mit mehr als 20.000 (Schleswig-Holstein) bzw. 50.000 Einwohnern (Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern) sind immerhin zusätzlich für Landesstraßen auf Ihrem Gebiet zuständig. Getrennte Angaben nur für Kreisstraßen lagen nicht aus allen kreisfreien Städten vor.

In Niedersachsen hat das Kreisstraßennetz eine Länge von 13.700 Kilometern, in Mecklenburg-Vorpommern ist das Netz 4.150 Kilometer lang und in Schleswig-Holstein müssen sich die Kreise um 4.124 Kilometer Straße kümmern.

Ergebnisse der Panorama 3-Recherche als PDF-Dokument zum Download

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 24.04.2018 | 21:15 Uhr

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