Der Tänzer Alexandr Trusch schaut in die Kamera © NDR
Der Tänzer Alexandr Trusch schaut in die Kamera © NDR
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AUDIO: Hamburger Balletttänzer schicken Hilferuf an Kultursenator (3 Min)

Krise am Hamburg Ballett: Tänzer brechen das Schweigen

Stand: 05.05.2025 08:00 Uhr

Im vergangenen Sommer hatte Intendant John Neumeier die Leitung an Demis Volpi übergeben. Nun gibt es großen Unmut in der weltberühmten Kompanie. Fünf Erste Solisten haben gekündigt. Erstmals haben sich zwei Tänzer exklusiv gegenüber dem NDR geäußert.

von Jonas Kühlberg

Die Vorfreude auf den neuen Intendanten war groß - die Erwartungen auch: "Wir haben uns auf eine Veränderung gefreut", berichtet der Erste Solist Alexandr Trusch - und fügt hinzu: "Als die Veränderung dann kam, waren wir unfassbar enttäuscht von der Qualität und von diesem Mittelmaß, was mit dieser Veränderung kam."

Am Ende der Spielzeit ist für den Ersten Solisten Alexandr Trusch endgültig Schluss. 18 Jahre ist er dann beim Hamburg Ballett gewesen. Jetzt hat er gekündigt - und vier weitere Erste Solisten mit ihm. Warum geht er? "Ich habe acht Monate gebraucht, das zu verstehen. Das war sehr überlegt und am Ende ist es die Qualität oder Qualitätsmangel, mit dem ich die neue Führung in Verbindung setze."

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Hilferuf der Tänzer*innen: Brief an Kultursenator Brosda

Carsten Brosda zu Gast in der NDR Talk Show am 22.11.2019 © Uwe Ernst
In einem Brief wenden sich rund 30 Tänzer des Hamburg Balletts wegen mangelnder Qualität und fehlender Wertschätzung an Kultursenator Carsten Brosda.

Rund 30 Tänzerinnen und Tänzer - darunter jene, die gekündigt haben - haben sich jetzt mit einem Brief an den Kultursenator Carsten Brosda (SPD) gewandt. Ein Hilferuf. Denn sie sorgen sich um die künstlerische Qualität und Exzellenz des international renommierten Hamburg Balletts:

"Es steht in dem Brief, dass die Tänzer sich Sorgen machen, dass sie qualitative Probleme haben, dass das, was aufgebaut worden ist, dass das alles aus dem Fenster herausgeworfen wird", gibt Alexandr Trusch die wesentlichen Punkte des Briefs wieder.

Vorwurf der fehlenden Wertschätzung

Aber es geht bei der Kritik nicht nur um die mangelnde choreografische Qualität, sondern auch um fehlende Wertschätzung: So ist in dem Brief auch von schlechter Kommunikation, fehlender Transparenz und sogar von einer "oft abschätzigen Haltung" die Rede. Für das Stück "Slow Burn" etwa holte Volpi die renommierte Choreografin Aszure Barton ans Hamburg Ballett. Doch schnell sei sie während der Proben wieder weggewesen und kommunizierte mit den Tänzern nur über eine Assistentin. So sagt es ein Informant, der anonym bleiben möchte:

"Aber was es für mich noch schwieriger machte, war, dass Demis Volpi nie da war, um das zu sehen. Und am Ende gab er uns die Schuld dafür, dass das Stück nicht seinen Erwartungen entsprach", so der Informant.

Volpi weist Vorwürfe zurück 

Hamburgs Ballett-Intendant Demis Volpi sitzt an einem Schreibtisch © NDR
Hamburgs Ballettchef Demis Volpi weist die Vorwürfe aus dem Ensemble zurück.

Demis Volpi bezieht an diesem Wochenende zwischen zwei Proben für sein neues Ballett "Demian" Stellung zu der Kritik. Sein erstes großes, abendfüllendes Stück, das er für das Hamburg Ballett kreiert: "Ich kann den Tänzern gar nicht einen mangelnden Erfolg vorgeworfen haben, weil die Produktion ein Erfolg war. Deswegen weiß ich nicht, worum es geht. Dass ich bei keiner einzigen Probe dabei war, stimmt einfach nicht", erklärt Volpi, als er mit den Vorwürfen konfrontiert wird.

Volpis Auftakt "The Times Are Racing" vom Publikum gefeiert

Demis Volpis erster vierteiliger Abend "The Times Are Racing" zum Auftakt seiner Intendanz wurde vom Publikum gefeiert. Dafür hatte der Ballettchef - neben einer eigenen Choreografie - auch Stücke anderer hochkarätiger Choreografen auf die Staatsopernbühne geholt, löste ein, was er bei der Übernahme seiner Intendanz ankündigte: andere Tanzsprachen zeigen. In dieser Frequenz war das Neuland für die Kompanie.

Trusch: "Professionelles Level auf unterstem Niveau"

Auch nach diesem Abend gab es offenbar Unmut hinter den Kulissen, Kritik vor allem an der Choreografie von Demis Volpi: "Das professionelle Level war auf dem untersten Niveau. Das Stück selbst ist schlicht schlecht choreografiert worden und ist unfassbar banal und entspricht überhaupt nicht dem Level, das wir gewohnt sind", bemängelt Alexandr Trusch.

Ballettintendant Demis Volpi entgegnet auf diese harsche Kritik: "Ich glaube, dass die Publikumsreaktion auch in der Euphorie, die es da gab, dafür spricht, ob es banal ist oder nicht."

Tänzer*innen fühlen sich allein gelassen

Das rote Backsteingebäude des Hamburg Balletts © NDR
Rund 30 Tänzerinnen und Tänzer haben den Brief an den Kultursenator unterschrieben. Die große Mehrheit möchte anonym bleiben - sie fürchtet um ihre Verträge.

Einige Tänzerinnen und Tänzer fühlen sich allein gelassen, trauen sich nicht zu sprechen, haben Angst um ihre Verträge. Das Kompanie-Mitglied, das anonym bleiben möchte, schildert es so: "Ich habe als Künstler niemanden, der mich bei meiner Arbeit begleitet. Ich fühle mich allein, weil derjenige, der eigentlich da sein sollte, nirgends zu sehen ist. Er ist einfach nicht präsent."

Volpi: Reisen nötig, um Repertoire zu erweitern

Demis Volpi begründet seine häufige Abwesenheit damit, dass es sein Auftrag sei, das Repertoire zu erweitern. Neue, andere Künstlerinnen und Künstler ins Haus zu holen, sie auch außerhalb Hamburgs in anderen Häusern zu treffen: "Dazu gehört auch, dahin zu reisen, die Arbeit dieser Künstler zu sehen, zu verfolgen, ihre Entwicklung zu sehen, dann letztendlich diese Aufträge zu erteilen und sie auch zu koordinieren."

Aussage gegen Aussage. Das Hamburg Ballett steht vor seiner größten Herausforderung. Wenn die Vermittlung durch die Kulturbehörde und ein Dialog scheitern, droht die Kompanie - und ihre Exzellenz - zu zerbrechen.

Mehr Informationen zum Thema am Montagabend ab 22:45 Uhr in NDR Kultur - Das Journal.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Vormittag | 05.05.2025 | 10:20 Uhr

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Tanz