Reeperbahn Festival-Blog - Tag 2: Wild, lässig, sphärisch und emotional
NDR Kultur Musikjournalist Matthes Köppinghoff ist beim Reeperbahn Festival unterwegs. In seinem Blog erzählt er von seinen Beobachtungen auf St. Pauli. Tag 2 ist geprägt durch sphärische Kirchenkonzerte.
Während ich mich noch zu Hause für den zweiten Festivaltag fertig mache, denke ich an ein Konzert vor ein paar Jahren zurück: Da stand ich sehr skeptisch und mehr oder weniger allein vor einer Bühne beim Sziget Festival in Ungarn. Es war brüllend heiß, ich mal wieder unpassend komplett in schwarz gekleidet, und hatte auf einen Tipp von einem Promoter gehört: "Diese Band musst du dir anschauen, das könnte genau deins sein!" Und so war es auch: Seit jenem Tag empfehle ich jedem Cari Cari - eine Band, die nach Wüstenrock klingt, wie ein Soundtrack zu einem Tarantino-Film, den es noch nicht gibt. Mit eben diesem Indie-Rock-Duo aus Österreich bin ich am frühen Nachmittag verabredet - also mache ich mich, erneut bei schönstem Sonnenschein, auf den Weg. Dieses Mal bewusst mit einem weißen T-Shirt.
Ein entspanntes Gespräch im Festival Village
Und eben jenes erkennt Sänger und Gitarrist Alexander Köck auf Anhieb (auf meinem Shirt ist das Sun Records-Logo zu sehen, jenes Plattenlabel, bei dem Elvis Presley, Roy Orbison und auch Johnny Cash ihre Karrieren begonnen haben). Das macht ihn mir sofort sympathisch. Die andere Cari Cari-Hälfte Stephanie Widmer kommt auch dazu; zusammen setzen wir uns mit unseren Limos in Liegestühle im Festival Village. Wir sprechen über alles Mögliche: Ob sie genervt davon sind, dass in Texten über sie recht oft das Wort "Wüste" auftaucht? Nein, sagen die beiden, schließlich kommen sie aus dem Burgenland, dem "Kalifornien Österreichs". Da wäre es auch relativ sandig, passt also.
Stephanie und Alex sind sehr angenehme Menschen, berichten, dass ihre aktuelle Tour gut läuft. Dazu haben sie AnnenMayKantereit im Vorprogramm unterstützt. Sogar für Konzerte in Kairo sind sie eingeladen worden, ein Abenteuer, auf das sie sich sehr freuen. Sie scheinen sehr glücklich, ganz kurz nach Erscheinen ihres zweiten Albums "Welcome To Kookoo Island". Davon werden sie zwar heute im Michel nicht so viel vorstellen können, aber dazu später mehr. Vorerst verabschieden wir uns - sie eilen zum Soundcheck, ich zu den nächsten Festivalkonzerten. Wer weiß, vielleicht wird meine angeborene Skepsis wieder mit Begeisterung weggewischt.
Bummeln über den Kiez
Ich schlendere vorbei an den Konzertposter-Ständen im Festival Village - die sollte ich mir nochmal genauer anschauen (aber hoffentlich nicht zu viele von den schönen Plakaten kaufen). Anschließend laufe ich durch St. Pauli: die Simon-von-Utrecht-Straße entlang, um zurück auf die Reeperbahn und den Spielbudenplatz zu kommen. Ich tingel mal hier hin, mal da hin, schaue so ClockClock (elektronischer Pop aus Mannheim) und Hazlett (ein australischer Singer-Songwriter) beim N-JOY Reeperbus an, später auch Ian Fisher auf der Spielbude XL. Aber nichts für ungut - mein Highlight heute ist Cari Cari. Dementsprechend mache ich mich zeitig auf den Weg und bekomme einen richtig guten Platz: Genau mittig, Oberrang erste Reihe. "Super Blick, toller Klang!" pflichten mir die höflichen Leute der St. Michaelis Kirche bei.
Konzerte im Michel: Immer wieder großartig
Vor dem Konzert gibt es traditionell ein paar Hinweise: Klatschen, das geht, mit Füßen stampfen besser nicht, bevor dem schönen, aber auch schon etwas älteren Gebäude etwas passiert. Das Wahrzeichen Hamburgs ist jetzt schon ein paar Jahre feste Spielstätte beim Reeperbahn Festival, aber trotzdem im Ursprung nicht für laute Pop- und Rockmusik gebaut worden. Meiner Erfahrung nach schafft es auch nicht jede Band, den Michel "zu spielen", oft verpufft auch vieles, was sonst im Studio, auf Platte oder anderen Konzertsälen super klingt. Cari Cari machen hier aber vieles richtig - auch wenn das heißt, dass sie eher verhältnismäßig ruhigere und ältere Songs vom ersten Album "Anaana" spielen. Es klingt fantastisch: mal kreischt die Gitarre lässig-stilvoll (so laut es denn hier geht), dann wummert es satt, über allem schwebt der Gesang der beiden.
Musik, die ein Lächeln ins Gesicht zaubert
Was für eine Atmosphäre. Das hat natürlich eine Menge mit diesem besonderen Ort zu tun, der automatisch allem eine gewisse Spiritualität aufdrückt. Der Innenraum der St. Michaelis Kirche, die hohen Decken, die Bilder, die Statuen, das Licht: Das macht bei jedem Konzert was her. Aber Cari Cari sind dazu eine hervorragende und endlos charismatische Band. Stephanie spielt gelegentlich auf einem Didgeridoo. Wo es bei vielen Leuten bei dem bloßen Gedanken an dieses Instrument vor Kitsch kalt den Rücken runterläuft: Bei Cari Cari fügt es die gewisse Extraportion Coolness in den Sound. Ich schaue mich um, schließlich habe ich ja hier den besten Blick, und hier wird viel mitgewippt und gejubelt. Bei "Around The Bend" singt Stephanie auf der Treppe sitzend. Das hat echt was. Wenig später ist das Konzert vorbei, das Publikum verlässt den Michel - mit einem gewissen Lächeln im Gesicht.
L.A. Salami in der St. Pauli Kirche
Längst ist es draußen dunkel geworden. Ich mache mich auf den Weg zurück zum Kiez, wo sich immer mehr Leute vor und in den Clubs tummeln. Ich halte hier und da, um dann später doch in die Davidstraße abzubiegen, dann in die Bernhard-Nocht-Straße und komme in der St. Pauli Kirche an. Den Michel habe ich ja in den letzten Jahren oft und gern in diesem Blog erwähnt, die Kirche auf St. Pauli kam dagegen gefühlt etwas kurz. Daher stelle ich hier jetzt gern mal diese Konzertstätte vor, die nicht minder schön ist. Es ist eine sehr sympathische Kirche: Holzböden, einfache Stühle, links hängt irgendwo ein "Refugees Welcome"-Schal. Hier geht es deutlich lockerer zu als im Michel. Man kann hier sogar Bier, Wein und andere Getränke kaufen - und ja, sogar trinken. Der Innenraum der Kirche ist gut gefüllt, denn viele wollen sich hier Lookman Adekunle Salami alias L.A. Salami anschauen.
Sprachgewaltige Texte
Seine ersten Songs spielt der Singer-Songwriter allein mit Akustikgitarre und Mundharmonika, später wird er von einem Bassisten und einem Schlagzeuger unterstützt. Mich berühren die folkig-bluesigen, teils sehr emotionalen Lieder, vor allem aber auch die Poesie in seinen Texten. Vor kurzem hat der Londoner mit "The Hollow Town" auch einen Gedichtband veröffentlicht - kein Wunder, bei diesem Verständnis für Wörter und was man damit machen kann. Insgesamt ist die Show hier ein okayes Konzert: Viele Leute gehen rein und raus, das schmälert ein bisschen den Genuss, und Herr Salami stimmt für meinen Geschmack sehr oft und umständlich seine Gitarre. Aber trotzdem, das war alles andere als schlecht und eine gute Entscheidung, den Weg zur St. Pauli Kirche eingeschlagen zu haben. Nach dem letzten Song "Peace Of Mind" unterhalte ich mich mit einem Fan. Sie ist zwar happy, hat aber ein einige Songs vermisst - eben die etwas lauteren Indie-Rock-Songs. Die hat L.A. Salami normalerweise auch drauf. Wer weiß, vielleicht dachte er, in einer Kirche vielleicht nicht allzu sehr aufdrehen zu können.
Als ich mich auf den Weg zurück zum Kiez mache, ist hier auch noch gut was los. Größtenteils ist das aber normales Partyvolk, auf den Außenbühnen passiert nichts mehr. Der Rest passiert jetzt in den Clubs. Ich entschließe mich, für heute Feierabend zu machen, beziehungsweise gleich meine Nachtschicht am Schreibtisch zu beginnen und gehe nach Hause.
Meine Highlights am Freitag
Zwar habe ich Bonaparte & Kid Simius, Hundreds und Destroyer verpasst, aber man kann ja auch nicht alles haben. Vielleicht sind morgen mehr Konzerte drin. Empfehlen möchte ich für den morgigen Freitag hier noch schnell District Five (18:05 Uhr, Spielbude XL) und auch Mine (19:30 Uhr Elbphilharmonie). Auf die Sherlocks im Molotow (21:40 Uhr) bin ich neugierig.
Mein Tageshighlight: Um 20 Uhr möchte ich unbedingt im Michel sitzen, denn da gibt es "Betterov & Friends: Die Reeperbahn Festival Session". Der Indie-Musiker bringt also bekannte Musiker*innen mit, und die sind durchaus prominent: So kommen auch Novaa, Paula Hartmann, Fil Bo Riva und Olli Schulz mit in den Michel.
Es ist schon schräg - die Hälfte des Reeperbahn Festivals 2022 ist schon wieder vorbei. Umso mehr freue ich mich auf den Freitag und Sonnabend. Jetzt gehe ich aber nochmal kurz schlafen... daher, bis morgen!