Boris Herrmann auf hoher See © Team Malizia / Pierre Bouras

Boris Herrmann: Hochseesegler, Klima-Lehrer - und ein "bisschen verrückt"

Stand: 08.02.2023 09:50 Uhr

Wind, Wellen, Wissenschaft: Boris Herrmann ist nicht nur ein begnadeter Hochsee-Segler, er kann auch glänzend über seine Passion erzählen. Klima-Lehrer ist er auch - mit seiner Frau Birte hat er ein Bildungs-Projekt für Schüler konzipiert.

von Andreas Bellinger

Wenn es ein Segler-Gen gibt, hat es Herrmann ganz sicher geerbt. Oder die Nordseeluft hat ihn schon als Säugling auf der elterlichen Yacht mit der Leidenschaft angesteckt. Nach den Anfängen im Wattenmeer hat der in Oldenburg geborene Wahl-Hamburger sein seglerisches Können auf den sieben Weltmeeren zur Perfektion gebracht. Heute lebt er eine beispielhafte Karriere als Hochsee-Segler, von der er als Student der Ökonomie mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit nur träumen konnte.

Ein Segel-Star nicht nur für Enthusiasten

Sein Schlüsselerlebnis hatte Herrmann vor gut zwei Jahrzehnten auf der Kieler Förde inmitten eines Gewusels zahlloser Hobbysegler. Das will ich auch, habe er sich damals gesagt, als in der "Illbruck" die erste und bis dato einzige deutsche Yacht als Sieger des legendären "Ocean Race" in den Ostsee-Hafen einlief. Inzwischen jubeln dem am 28. Mai 1981 geborenen Niedersachsen längst nicht nur Segel-Enthusiasten zu.

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Als Herrmann 2020/21 als erster Deutscher überhaupt an der berühmten Nonstop-Regatta Vendée Globe teilnahm - und das Ziel erreichte, begeisterte er die Nation mit seinen Video-Botschaften von Bord der "Malizia - Seaexplorer" und ließ in Zeiten von Corona-Isolation und Einsamkeit viele Menschen daheim an Weite und Abenteuer teilhaben.

Ozean und Klima - ein Bildungsprojekt für Schulen

"Ich freue mich natürlich, dass wir es geschafft haben, eine Geschichte zu erzählen, die mehr ist als nur Wettkampf und Sport", sagt Herrmann dem NDR Sportclub. Wind, Wellen, Wissenschaft - dieser Dreiklang beinhaltet aber auch sein Engagement für den Klima- und Umweltschutz, das er mit seiner Ehefrau Birte teilt, Lehrerin für Kunst und Mathematik.

Gemeinsam haben sie das Projekt "My Ocean Challenge" auf die Beine gestellt, ein für Schulen konzipiertes Bildungsprogramm, das als Kinderbuch weiterentwickelt werden soll. "Wir hoffen, dass wir Kinder inspirieren, neugierig zu sein, in ihrem eigenen Leben verrückte Dinge zu tun", sagt Herrmann. "Aber dass sie auch lernen, wie der Ozean und das Klima zusammenhängen."

Segeln um die Welt - "irgendwie verrückt"

Verrückte Dinge? "Ja, ich finde es schon verrückt irgendwie, wenn man sich vorstellt, wie lange ich alleine bin beim Segeln um die Welt." Wichtig sei dabei die mentale Stärke: "Durchzuhalten, ohne nervös zu werden, Angst zu kriegen und andere zu stressen." Im Juni 2020 kam Herrmanns Tochter Marie-Louise, kurz Malou genannt, auf die Welt. Noch ein Grund mehr für den Abenteurer, sich nach vielen Wochen hart am Wind darauf zu freuen, den Heimathafen Hamburg anzulaufen.

Ehefrau Birte: "Er ist wahnsinnig mutig, aber vernünftig"

Die kleine Familie - inklusive Hündin Lilly - kommt ganz gut zurecht mit den langen Trennungen. Das liegt vor allem wohl auch daran, dass Birte Lorenzen-Herrmann nicht die ganze Zeit zuhause sitzt und sich Sorgen macht. "Ich finde, dass er wahnsinnig mutig, aber trotzdem vernünftig ist", sagt sie über ihren Mann. Sie habe an Bord erlebt, wie er sich intuitiv bewegt. "Und ich weiß, dass er nicht möchte, dass das Boot kaputtgeht, dass er kaputtgeht. Insofern schlafe ich ruhig."

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Klimawandel und die Rolle der Ozeane

Ihre Schülerinnen und Schüler nimmt sie zum praktischen Unterricht schon mal mit an Bord. "Wir haben gemerkt, wie viel Neugierde und Begeisterung bei den Kindern ausgelöst werden kann: über Geografie, Winde, das Klimasystem, Ökologie und die Tiere im Meer", erzählt Boris dem Sportclub und Birte fügt hinzu: "Wir haben ja auch Daten, die wir messen an Bord, und das thematisieren wir natürlich: Was ist Klimawandel und welche Rolle spielt der Ozean dabei?"

Herrmann segelt auch im Dienst der Wissenschaft

Der Skipper liefert der Wissenschaft von unterwegs begehrte, weil seltene Daten-Pakete. "Es ist ein Rennen gegen die Zeit, wir müssen Lösungen finden, um den Klimawandel zu verlangsamen", sagt er. Seine Renn-Yacht könnte auch als Forschungsschiff durchgehen, mit 25 Kilogramm schwerem Bord-Labor. Die Daten beispielsweise von der CO2-Belastung der Ozeane werden ans GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel übermittelt und dort ausgewertet.

Klimadaten von unschätzbarem Wert fürs GEOMAR in Kiel

Erkenntnisse von unschätzbarem Wert lassen sich so beispielsweise vom Rand des Südpolarmeers gewinnen. Ohne den segelnden Klimaschützer müssten die Wissenschaftler darauf verzichten, ein eigenes Forschungsschiff dorthin zu schicken wäre viel zu teuer. Dabei sei die Region superwichtig für das Klima, so GEOMAR-Ozeanograph Toste Tanhua, "weil hier das Wasser kalt ist, große Stürme das Meer umwälzen und das Klima wahnsinnig beeinflussen".

Segel-Expedition durch die Bering-Straße

"Ganz oben" auf der Landkarte war Herrmann übrigens auch schon unterwegs. Als Expeditionsteilnehmer segelte er auf einem chinesischen Trimaran auf der legendären Nord-Ost-Passage, vom russischen Murmansk aus durch den Arktischen Ozean bis in die Bering-Straße, die Meerenge zwischen dem asiatischen und dem amerikanischen Kontinent. Im Video-Logbuch vom 15. September 2015 heißt es: "Hinter mir ist Russland, da drüben, in Sichtweite, ist Amerika. Wir sind das erste Segel-Team, das nur unter Segel, ohne Motorhilfe, durch die Nord-Ost-Passage gefahren ist."

Das große Ziel: Off-Shore-Segeln

Boris Herrmann, moderner Abenteurer, Spitzen-Segler, Botschafter der Meere. Grund genug, ihm in der Hamburger Hafencity, wo die Familie lebt, eine Open-Art-Ausstellung mit 50 Fotos zu widmen. Wer hätte das gedacht, als er 2007 deutscher Meister in der Jollen-Klasse 505er wurde?

Boris Herrmann auf der "Seaexplorer" © Malizia / Andreas Lindlahr Foto: Andreas Lindlahr
Boris Herrmann an Bord der "Malizia".

Schon damals stand für ihn fest: Off-Shore-Segeln soll es sein. Ein Versprechen an sich selbst, das er mit dem Start beim "Portimao Global Ocean Race" am 12. Oktober 2008 einlöste. Gemeinsam mit seinem Freund Felix Oehme gewann er die Regatta um die Welt nach Stationen in Kapstadt, Wellington, dem brasilianischen Ilhabela und Charleston in den USA. Herrmann: "Dieser Sieg war total wichtig für mein späteres Weiterkommen."

Als gutes Training für alles, was noch kommen sollte, erwies sich 2011 auch der Törn mit dem US-Amerikaner Ryan Breymaier durch alle Klimazonen. Erstmals nonstop um die Welt, mit einem Schiff, das reichlich Zuwendung brauchte: flexen, schleifen, laminieren. Es gab einen Wassereinbruch, zeitweise streikte die Stromversorgung, ein Vorsegel ging über Bord. Viel Stoff für gute Geschichten.

"Allein zwischen Himmel und Meer" - ein Bestseller

Erlebtes erlebbar machen. Das kann Herrmann wie kaum ein anderer - ohne Seemanns-Garn und Geschichten vom Klabautermann. "Allein zwischen Himmel und Meer" heißt sein Bestseller, in dem er "Meine 80 Tage beim härtesten Segelrennen der Welt" beschreibt. Die Vendée Globe, die im November 2020 startete - und aus dem ersten Deutschen, der bei dieser Regatta allein um die Welt segelte, einen Medienstar machte.

Funkspruch aus der "segelnden Raumkapsel"

Fortwährend ist er gefühlt in der "segelnden Raumkapsel" auf Sendung, berichtet den "Menschen auf der Erde" von seinem mitunter abenteuerlichen Alltag und verschweigt auch seine weichen Knie nicht, als er trotz Höhenangst in den 29 Meter hohen Mast klettern musste. Dramatisch wurde es, als die Renn-Yacht von Kevin Escoffier zerbrach und in stürmischer See sank. 800 Seemeilen vor Kapstadt schaffte es der Franzose mit letzter Kraft in eine Rettungsinsel - und überlebte, weil viele wie Herrmann halfen. "Harte Stunden, aber es ist gut gegangen", blickt der Hamburger zurück.

In 80 Tagen um die Welt

Quasi auf der Zielgerade der Vendée Globe durfte Herrmann sogar noch hoffen, als erster Nicht-Franzose die härteste Regatta der Welt zu gewinnen. Knapp 90 Meilen vor dem Ziel kollidierte er aber mit einem spanischen Fischtrawler, wurde schließlich Fünfter. Aus der Traum! In den Armen von Ehefrau und Töchterchen fielen Ärger und Strapazen aus 80 Tagen und 21 Stunden aber von ihm ab. Auf ein Neues, hieß es schnell - und schon war das Familien-Projekt Vendée Globe 2024 gebucht.

Yacht-Taufe mit Hindernissen

"In der Erinnerung verschieben sich die Proportionen von Leid und schönen Dingen", sagt Herrmann. Zumal ihn das aktuelle Projekt sicherlich an alte Zeiten und Träume erinnert. Das "Ocean Race" mit der rund sechs Millionen Euro teuren High-Tech-Yacht "Malizia - Seaexplorer", die im September 2022 in der Hamburger Hafencity getauft wurde. Im zweiten Anlauf erst, nachdem beim ersten Versuch die Sektflasche nicht zerschellt war. Ein schlechtes Omen?

Missgeschick beim Kaffeekochen stoppt den Skipper

Tatsächlich schienen sich die Unkenrufe bei der Jungfernfahrt zu bewahrheiten. Die Foils genannten gewaltigen Tragflächen, die das Schiff aus dem Wasser heben, wiesen Haarrisse auf. Zum Glück konnte Ersatz von einer noch im Bau befindlichen Yacht beschafft werden, 600.000 Euro teuer.

"Es gibt zwei Dinge, die nicht kaputt gehen dürfen: die Foils und der Mast", sagte Herrmann - und vergaß in seiner Aufzählung den Skipper. Er selbst nämlich musste nach der ersten Etappe des "Ocean Race" eine längere Segel-Pause einlegen, nachdem er sich bei der härtesten Mannschafts-Regatta der Welt den Fuß beim Wasserkochen verbrüht hatte. Auch sowas kann einem Könner passieren beim wilden Ritt über die Weltmeere.

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Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 05.02.2023 | 22:50 Uhr

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