Ein Schützengewehr © IMAGO / Funke Foto Services

Amoklauf in Hamburg: Druck auf Schießsport wächst

Stand: 20.03.2023 14:57 Uhr

Nach der Amoktat in Hamburg-Alsterdorf mit acht Toten läuft erneut eine Debatte über schärfere Waffengesetze. Und damit gerät auch der Schießsport wieder in den Blickpunkt. Denn der Täter war Sportschütze und legal im Besitz der Tatwaffe. Die Sportschützen wehren sich gegen allgemeine Vorverurteilungen und strengere Regeln.

von Hendrik Lückhoff, Jonas Freudenhammer und Benedikt Scheper

Erfurt 2002, Winnenden 2009, Hanau 2020 - und Hamburg 2023. Bei all diesen Amokläufen wurden jedes Mal legale Sportwaffen als Tatwaffen benutzt. Auch Phillip F., der Amok-Täter aus Hamburg, der am 9. März 2023 in einem Gemeindezentrum der Zeugen Jehovas erst sieben Menschen und dann sich selber tötete, hatte eine Waffenbesitzkarte und war legal im Besitz einer Waffe. Seitdem sind die Forderungen nach schärferen Waffengesetzen - auch im Sportbereich - wieder lauter geworden.

Initiative fordert "Keine Mordwaffen als Sportwaffen"

Auch Roman Grafe ist für strengere Regeln. Der Hesse hat nach dem Amoklauf von Winnenden 2009 die Initiative "Keine Mordwaffen als Sportwaffen" gegründet und kämpft seitdem gegen scharfe Waffen im Schießsport: "Es gibt keinen guten Grund, mit scharfen Waffen zu schießen. Wenn Sportschützen wirklich Freude am Zielen, an der Konzentration, am Kameradschaftsgeist haben, dann können sie das wie heute schon tausende von Sportschützen mit Druckluft machen und mit Lichtpunktgeräten."

"Sie können ja dem Speerwerfer auch nicht seinen Speer verbieten, weil er dann seinen Sport nicht mehr ausüben kann." Harald Dudde, Vorsitzender Schützenverein Hamwarde

Im Schützenverein Hamwarde in der Nähe von Geesthacht in Schleswig-Holstein halten sie von einem Verbot von Klein- und Großkaliber-Waffen dagegen nichts. "Sie können ja dem Speerwerfer auch nicht seinen Speer verbieten, weil er dann seinen Sport nicht mehr ausüben kann", sagt der Vereinsvorsitzende Harald Dudde. "Genauso ist es bei uns auch. Wir haben Disziplinen, wo diese Geräte vorgeschrieben sind. Deswegen brauchen wir sie auch."

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In einem klassischen Schützenverein war Philipp F. auch nicht aktiv. Er trainierte im Hanseatic Gun Club, einem Schießstand in der Nähe der Binnenalster in Hamburg. Der verspricht auf seinen Werbe-Plakaten "Spaß schon in der Mittagspause". Eine Interviewanfrage des NDR wurde abgelehnt. Im Schützenverein in Hamwarde halten sie von solchen Einrichtungen wie dem Hanseatic Gun Club nichts. Mit Konzentrationssport, so wie sie ihn betreiben würden, hätte das nichts zu tun. Das sei "militärnäher", so der Vereinsvorsitzende Dudde.

Aufbewahrung der Waffen zentral im Schützenheim?

Auch die Aufbewahrung von Waffen und Munition ist immer wieder ein Thema. Nach Taten wie der von Hamburg gibt es Forderungen, sie zentral im Schützenverein aufzubewahren. So kämen mögliche Täter unter Umständen nicht so leicht an ihre Waffen und könnten - anders als im Fall Philipp F. - zuhause keine große Mengen Munition anhäufen. Sowohl Schützenvereine als auch Befürworter von Waffenrechtsverschärfungen wie Roman Grafe sehen darin aber keine Lösung. Beide Seiten befürchten, damit riesige Waffen- und Munitionslager für potenzielle Amokläufer zu schaffen.

Innenministerin Faeser will halbautomatische Waffen verbieten

In jedem Fall wird nach dem Amoklauf von Hamburg der Druck auf den Schießsport in Deutschland wieder größer. Bundesinnenministerin Nancy Faeser will ein Verbot bestimmter Waffen für Privatleute zumindest prüfen lassen. Geht es nach der SPD-Politikerin, sollen halbautomatische Pistolen, wie sie auch Philipp F. laut Polizei bei seiner Tat benutzt hat, in Zukunft auf die Verbotsliste kommen. Zudem will Faeser erreichen, dass künftig bei jedem Antragssteller für eine Waffenbesitzkarte überprüft wird, ob dieser "psychologisch geeignet" ist. Aktuell müssen das nur Menschen unter 25 Jahren durch ein Gutachten belegen.

Psychologe Buchstaller: "Absolute Sicherheit gibt es nicht"

Solche Gutachten für angehende Sportschützen erstellt Psychologe Ralf Buchstaller vom TÜV Nord in Hamburg seit Jahrzehnten. "Wir wollen herausbekommen, ob es Auffälligkeiten im Bereich der emotionalen Labilität gibt, ob die Leute zum Beispiel leicht kränkbar sind oder ob es Hinweise aus dem Straßenverkehr gibt, die problematisch wären. Zum Beispiel Auffälligkeiten mit Alkohol oder Drogen", sagt Buchstaller.

Bei Philipp F. hatte die Polizei einen anonymen Hinweis auf eine mögliche psychische Erkrankung erhalten. Die Waffenbehörde ging dem Hinweis nach und besuchte den späteren Täter in dessen Wohnung. Dabei hat es laut Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer aber keine relevanten Beanstandungen gegeben, die rechtlichen Möglichkeiten seien damit ausgeschöpft gewesen. Buchstaller sieht in obligatorischen psychologischen Gutachten kein Allheilmittel: "Wir können nur grob abschätzen, ob es Auffälligkeiten gibt, aber eine absolute Sicherheit gibt es da nicht."

"Die vom Innenministerium geplanten Veränderungen sind nicht geeignet, das Morden mit tödlichen Sportwaffen zu beenden." Aktivist Roman Grafe

Ähnlich sieht es Grafe. Ihm gehen die geplanten Waffenrechtsverschärfungen nicht weit genug. Er dokumentiert seit Jahren, wie viele Menschen durch legal erworbene Sportgeräte sterben. Laut der Statistik seiner Initiative sind seit 1990 mehr als 300 Menschen in Deutschland mit Sportwaffen getötet worden. Deswegen fordert Grafe klare Verbote: "Die vom Innenministerium geplanten Veränderungen sind nicht geeignet, das Morden mit tödlichen Sportwaffen zu beenden. Das Einzige, was dort hilft, sind keine Mordwaffen als Sportwaffen. Mit einer Waffe, die ich nicht habe, kann ich keinen erschießen."

Schützenverein will an scharfen Waffen festhalten

Im Schützenverein in Hamwarde wollen sie an scharfen Waffen dagegen festhalten. Lediglich ein Verbot von halbautomatischen Waffen mit mehr als sechs Schuss ist für den Vorsitzenden Dudde denkbar: "Wenn wir Kleinkaliber verbieten würden, wäre der Stand hier geschlossen. Wir hätten noch unseren Luftgewehrstand. Das mag viele zufriedenstellen. Mich persönlich würde Luftgewehrschießen nicht zufriedenstellen." So wie ihm geht es wohl vielen tausend Sportschützen in Deutschland. Und so wird die Debatte über scharfe Waffen im Sport weitergehen.

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