Ein Polizist steht an der Balustrade eines Amateurfußball-Platzes © IMAGO / Sebastian Wells
Ein Polizist steht an der Balustrade eines Amateurfußball-Platzes © IMAGO / Sebastian Wells
Ein Polizist steht an der Balustrade eines Amateurfußball-Platzes © IMAGO / Sebastian Wells
AUDIO: Harte Strafen nach Gewalt bei Hamburger Kreisliga-Spiel (1 Min)

Drakonische Strafen nach Spielabbruch und Gewalt in Kreisliga

Stand: 30.03.2023 09:30 Uhr

Das Sportgericht des Hamburger Fußball-Verbands (HFV) hat drakonische Strafen nach der abgebrochenen Achtliga-Partie zwischen dem FC Hamburger Berg und dem SV Krupunder/Lohkamp verhängt, bei der ein Schiedsrichter angegriffen und verletzt wurde. Vier Spieler wurden teilweise lange gesperrt, dazu gab es Punktabzüge und Geldstrafen für beide Clubs.

von Hanno Bode

Im Obergeschoss der HFV-Geschäftsstelle in Hamburg-Jenfeld herrschte vor Verhandlungsbeginn am Mittwochabend eisige Stimmung zwischen den Vertretern beider Clubs. Keines Blickes würdigten sie sich, kein Wort wurde zunächst miteinander gewechselt. Die Vorkommnisse vom 19. März, als es im Duell der Kreisliga 5 kurz vor dem Schlusspfiff zu einer Rudelbildung mit Faustschlägen und Tritten gekommen war, haben bei allen Beteiligten Spuren hinterlassen.

Der Vorsitzende Sportrichter Wolfgang Rußer befürchtete vor Beginn der Beweisaufnahme, dass sich die Emotionen wie damals beim Spiel auch während der Verhandlung würden hochschaukeln können. "Wir wollen versuchen, das hier einigermaßen ruhig über die Bühne zu kriegen", sagte er zu den Anwesenden. 

Drei Kicker nach Übergriffen eindeutig identifiziert

Über zwei Stunden lang dauerte die Beweisaufnahme, in der sich die Clubs gegenseitig Fehlverhalten vorwarfen. Im Kern ging es darum, was zu dem Eklat führte und wer in die handgreiflichen Auseinandersetzungen verwickelt war. Neben den Aussagen der Vereinsvertreter, Spieler und Zeuginnen und Zeugen wurde auch Videomaterial zur Urteilsfindung gesichtet und gezeigt, auf dem drei Spieler eindeutig identifiziert wurden, die andere Personen angingen.

Nach über halbstündiger Beratung verkündete das Sportgericht um kurz vor 22 Uhr schließlich sein Urteil. Besonders hart sanktioniert wurde dabei der "Berg", wie der nach einer Vergnügungsstraße auf St. Pauli genannte Club gerufen wird.

Ex-Nationalspieler für vier Jahre gesperrt

Dessen Keeper erhielt wegen "mehrfacher Tätlichkeit" eine vierjährige Sperre. Zudem sei der Schlussmann, der einst Nationalspielers eines afrikanischen Landes war, schuld am Spielabbruch gewesen. Ein weiterer Akteur des Kreisliga-Aufsteigers wurde für 24 Monate gesperrt. Auch ihm wurden "mehrfache Tätlichkeiten" nachgewiesen. Zudem werden dem von Ex-St.-Pauli-Profi Morike Sako trainierten Verein neun der bisher erspielten 18 Punkte abgezogen. Das Team fällt damit ans Tabellenende zurück.

Auch die verhängte Geldstrafe in Höhe von 500 Euro tut dem kleinen Club, der sich seit seiner Gründung 2014 sehr in der Flüchtlingsarbeit engagiert, extrem weh.

Abbruch-Spiel wird für Krupunder/Lohkamp gewertet

"Wir entschuldigen uns, tragen aber in gar keinem Fall die alleinige Schuld", hatte Vorstandschef Ralph Hoffmann in seinem Schlussplädoyer gesagt. Die HFV-Richter sahen es ähnlich.

Der Fußball-Platz im Hamburger Schanzenpark © Witters
Austragungsort der abgebrochenen Partie: der Schanzenpark.

Allerdings fielen die Urteile gegen Krupunder/Lohkamp weitaus milder aus. Ein Akteur wurde für ein Jahr gesperrt, weil ihm "massive Übergriffe" nach dem Abbruch des Spiels nachgewiesen wurden. Einer seiner Teamkameraden muss für zehn Partien aussetzen. Er soll einen "Berg"-Kicker mit einer Flüssigkeit aus einer Trinkflasche bespritzt haben. "Dadurch hat er provoziert und die Situation mit angeheizt", sagte der Vorsitzende Richter Rußer.

Zudem werden dem Club, der um den Aufstieg kämpft, drei Zähler abgezogen. Hinzu kommt eine Geldstrafe in Höhe von 100 Euro. Immerhin: Die Partie wurde mit 3:0 für Krupunder/Lohkamp gewertet, weil der "Berg" die Schuld am Abbruch trug. 

"Die Grundstimmung war aufgeladen"

Was aber war an jenem Sonnabendnachmittag auf dem Kunstrasenplatz im Schanzenpark geschehen, dass sich das Sportgericht nun veranlasst sah, derart drakonische Strafen auszusprechen? "Die Grundstimmung war aufgeladen", sagte ein Spieler des Hamburger Bergs aus, der selbst aufgelaufen war. Der bei der Begegnung anwesende Schiedsrichter-Beobachter bestätigte in einer Verhandlungspause diesen Eindruck: "Ich habe schon zur Halbzeit gesagt, dass das hier heute noch eskaliert." Bis kurz vor Spielschluss blieb es allerdings bei verbalen Auseinandersetzungen.

Dann überschlugen sich die Ereignisse im Schatten des Schanzenturms und mündeten in einem Polizeieinsatz. Mit zehn Mannschaftswagen waren die Ordnungshüter zum Ort des Geschehens gerast.

Schiedsrichter wurde ins Gesicht geschlagen

Zunächst bekam Krupunder/Lohkamp in der Nachspielzeit einen Elfmeter zugesprochen, der zum 1:0 führte. Kurz darauf gab es in Höhe der Mittellinie ein hartes Foulspiel an einem Gäste-Spieler, das die Emotionen hochkochen ließ. Es kam zu einer Rudelbildung. Der Keeper vom Hamburger Berg, so schilderten es mehrere Personen vor dem Sportgericht, sei daraufhin aus seinem Gehäuse zum Menschenpulk gerannt und sei den Schiedsrichter angegangen.

"Er hat mich am Auge getroffen. Ob er es wollte, weiß ich nicht", erklärte der Referee. Er zog sich eine Netzhautverletzung zu und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Auch einer seiner Schiedsrichterassistenten war sich nicht sicher, ob der Schlussmann in Absicht gehandelt habe, "aber den Schlag hat jeder auf dem Platz gesehen".

Eine Zeugin, die Krupunder/Lohkamp mit zu Gericht gebracht hatte, beschuldigte den früheren Nationalkeeper indes schwer: "Ich stand zwei Meter von der Szene entfernt. Der Torwart ist im Vollsprint zum Schiedsrichter gelaufen und hat ihm mit der rechten Faust ins Gesicht geschlagen." Überhaupt sei "viel getreten worden" von Seiten des Hamburger Bergs.

Beschuldigter Keeper erscheint nicht vor Gericht

Im Fall des Keepers sowie eines seiner Mitspieler, der nun zwei Jahre gesperrt wurde, war dies auch auf den Videoaufnahmen zu sehen. Ebenso wurde das vorbildliche Verhalten von Sako in Bewegtbild festgehalten. Der Coach zerrte die beiden Kicker aus dem Pulk und brachte sie zur Kabine. "Sie haben versucht, das Schlimmste zu verhindern", lobte Rußer den Ex-Profi.

Sein Torhüter erschien nicht vor dem Sportgericht, äußerte sich aber in einer schriftlichen Erklärung. Darin hieß es: "Ich bin von Spielern provoziert worden und als Neger beleidigt worden. 'Go back to Africa' haben sie gesagt. Dann ist einer unserer Spieler mit Wasser bespritzt worden. Ich bin dann da hin, habe einen Schlag abbekommen und mich gewehrt. Den Schiedsrichter habe ich nicht geschlagen." Eine Aussage, die das Gericht als widerlegt ansah.

Berg gibt Krupunder/Lohkamp Schuld für Eskalation

Präsident Ralph Hoffmann vom Fußball-Kreisklassisten FC Hamburger Berg © Hanno Bode Foto: Hanno Bode
Ralph Hoffmann, Präsident des FC Hamburger Berg, sieht die Schuld für die Eskalation beim Gegner.

Allerdings stimmte die Darstellung des Torhüters, nach der ein Akteur von Krupunder/Lohkamp einen Kicker vom Hamburger Berg an der Auswechselbank mit einer Flüssigkeit aus einer Trinkflasche bespritzte. Der Gäste-Spieler sagte vor Gericht zwar aus, dass er dies nicht mit Absicht getan habe. Doch nach Ansicht der Richter verantwortete er durch sein Verhalten zumindest teilweise die Entstehung der Handgreiflichkeiten. Daher erhielt er eine Sperre für zehn Partien. "Für uns ist dieser Spieler für die Eskalation verantwortlich", sagte "Berg"-Vorstand Hoffmann.

Gericht kann Rassismus-Vorwürfe nicht klären

Er und seine vor Gericht erschienenen Spieler beschuldigten Krupunder/Lohkamp zudem, rassistisch beleidigt worden zu sein. "Ich weiß nicht mehr den genauen Wortlaut. Aber ich meine, da so Sachen gehört zu haben wie 'vergasen' und 'geht zurück nach Afrika', erklärte ein Spieler des überwiegend aus Akteuren mit Migrationshintergrund bestehenden Teams. Auch das "N-Wort" sei gefallen.

Krupunder/Lohkamps-Coach Dragan Graonic wies die Anschuldigungen energisch zurück: "Wir haben doch selbst 80 Prozent Ausländer in unserer Mannschaft." Das Gericht konnte den Rassismus-Vorwurf nicht klären, weil es keine konkreten Hinweise auf Einzelpersonen gab, die diesbezüglich auffällig geworden wären.

"Ein Vorfall, der nie hätte passieren dürfen"

Für Hoffmann, so stellte es der "Berg"-Präsident bereits vor der Urteilsverkündung fest, ein Unding. "Das mit dem Rassismus ist keine kleine Sache. Das darf hier nicht einfach so weggebügelt werden", forderte er in seinem Schlussplädoyer und befürchtete: "Hier wird ein kleiner Verein kaputtgemacht. Ich weiß nicht, ob wir das überleben." Mit dem nun verhängten Strafmaß, gegen das beide Clubs noch Rechtsmittel einlegen können, dürfte der Abstieg des Hamburger Bergs nach nur einer Saison in der Kreisliga wohl feststehen. Denn der Rückstand ans rettende Ufer beträgt nun neun Zähler.

Viel schlimmer aber noch als der sportliche Schaden dürfte das verloren gegangene Renommee für den bis dato wegen seiner Migrationsarbeit hochgeschätzten Clubs sein. "Der Hamburger Berg wurde deutschlandweit medial vernichtet", beklagte Hoffmann mit Blick auf die überregionale Berichterstattung über das Abbruchspiel. Verharmlosen wollte der Vereinschef die Vorkommnisse allerdings auch nicht. Er sei auch "schockiert" gewesen: "Es gab einen Vorfall, der nie hätte passieren dürfen." 

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Dieses Thema im Programm:

Sport | 30.03.2023 | 09:00 Uhr

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