Ein verrosteter Eisenbahnwaggon steht im Freigelände des Historisch-Technischen Museums Peenemünde, dahinter ist der Nachbau einer V2-Rakete zu sehen. © picture alliance/dpa Foto: Stefan Sauer

Museum Peenemünde: Fluch und Segen der Raketentechnik

Stand: 22.01.2021 12:00 Uhr

Im Zweiten Weltkrieg konstruierten Ingenieure in Peenemünde auf Usedom die berüchtigte V2-Rakete. Das Historisch-Technische Museum dokumentiert die zwiespältige Entwicklung und zeigt die Folgen auf.

3. Oktober 1942: In Peenemünde gelingt der weltweit erste Start einer Rakete in den Weltraum. Bei dem Testflug erreicht die A4-Rakete eine Geschwindigkeit von 4.824 Kilometern pro Stunde und eine Höhe von 84,5 Kilometern. Die A4 - auch V2 genannt - gilt heute als Vorläufer aller militärischen und zivilen Trägerraketen. Mit dieser zwiespältigen Entwicklung setzt sich seit 1991 das Historisch-Technische Museum Peenemünde (HTM) auf der Ostseeinsel Usedom auseinander.

Rundtour durch die Denkmal-Landschaft im Freigelände

Alte Industrieanlagen im Historisch-Technischen Museum Peenemünde. © colourbox Foto: -
Von den mächtigen Industrieanlagen auf dem riesigen Gelände sind nur wenige erhalten.

Das Museum selbst ist derzeit wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Frei zugänglich bleibt aber ein 22 Kilometer langer Rundweg, der Besucher zu historisch interessanten Punkten auf dem riesigen Gelände der einstigen Versuchsanstalten führt. An jeder der 23 Stationen befindet sich eine mehrsprachige Hinweistafel mit weiteren Informationen. Den Schwerpunkt in der sogenannten Denkmal-Landschaft bilden die Ruinen der Peenemünder Versuchsanstalten, die heute zu den größten Flächendenkmalen in Deutschland zählen. Große Areale rund um die Ruine sind immer noch mit alter Munition belastet und deshalb für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.

Eine App bietet Orientierung und mehr Informationen

Eine kostenlose App erleichtert die Orientierung, bietet Tourenvorschläge und ergänzt die Informationen vor Ort mit historischen Fotos, Filmaufnahmen, Dokumenten und Zeitzeugenberichten. So führt etwa eine Kurztour zu Stationen wie der Kapelle des einstigen Fischerdorfes Peenemünde, dem Flugplatz, einem KZ-Arbeitslager und den wenigen Überresten der Hauptwache. Die App kann in den bekannten App-Stores heruntergeladen werden.

Welche Verantwortung tragen Wissenschaftler?

Historisch-Technisches Museum Peenemünde

Im Kraftwerk
17449 Peenemünde
Tel.: (038371) 50 50

Öffnungszeiten und Eintrittspreise auf der Website des Museums

Im Zweiten Weltkrieg entwickelten Ingenieure, Physiker und Militärs in der Heeresversuchsanstalt Raketen und andere Flugkörper. Mit Dokumenten, Originalteilen, Interviews von Zeitzeugen, Filmen und Modellen zeigt das Museum den Weg von den Visionen der Raketenpioniere über zivile Raumfahrt bis zur Entwicklung der ersten militärischen Großrakete und deren Serienproduktion. Die Ausstellung soll auch zum Nachdenken über die Geschichte des Ortes und die Verantwortung von Wissenschaft und Technik gegenüber Mensch und Umwelt animieren.

Museum für friedensfördernde Aktivitäten ausgezeichnet

Ein zweiter Bereich der 5.000 Quadratmeter großen Ausstellung befasst sich mit der Entwicklung der Raketentechnik nach dem Zweiten Weltkrieg - vor allem mit dem Wettrüsten im Kalten Krieg, aber auch mit ersten Erfolgen in der zivilen Raumfahrt. Veranschaulicht werden zudem die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen in Peenemünde. Auch der KZ-Häftlinge wird umfassend gedacht. Darüber hinaus ist das Historisch-Technische Museum eine internationale Begegnungs- und Kulturstätte. 2002 erhielt das Museum für seine friedensfördernden Aktivitäten das Nagelkreuz von Coventry. Das christliche Symbol steht für die Idee der völkerweiten Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg.

Ein riesiges Kraftwerk - errichtet von Zwangsarbeitern

Blick vom Peenestrom auf alte Industrieanlagen im Historisch-Technischen Museum Peenemünde. © colourbox Foto: -
Das Kraftwerk der Versuchsanstalten produzierte noch bis 1990 Strom. Heute beherbergt es die Ausstellung des Museums.

Das Kraftwerk auf dem Museumsgelände ist das größte technische Denkmal in Mecklenburg-Vorpommern. Im Zweiten Weltkrieg benötigten die Entwicklung und Produktion von Raketen und die Herstellung von flüssigem Sauerstoff für den Raketenantrieb große Mengen Elektrizität. Innerhalb von knapp zweieinhalb Jahren wurde das Kraftwerk überwiegend von zahlreichen Zwangsarbeitern errichtet. Ab 1942 produzierte es 30 Megawatt Strom. Die Abteilung "Das Kraftwerk - gebaut für die Ewigkeit?" zeigt, wie der Komplex die militärische Forschungsanlage der Nationalsozialisten mit Strom versorgte. Vom Dach des Gebäudes bietet sich aus 30 Metern Höhe ein Rundblick über das riesige Gelände.

Wernher von Braun - der gefragte Raketenbauer

Wernher von Braun Mitte der 1960er-Jahre mit Modellen der Raketen Saturn 1 SA-2 und Saturn 1 SA-4. © picture alliance
Wernher von Braun arbeitete nach dem Krieg am US-Raumfahrtprogramm mit.

Die Dauerausstellung im Schalthausanbau des Kraftwerks informiert auch darüber, welches fatale Bündnis der Raketeningenieur Wernher von Braun zur Entwicklung der Raumfahrt mit den Nationalsozialisten einging. Unter seiner Leitung gelang im Oktober 1942 einer der folgenreichsten technischen Durchbrüche des 20. Jahrhunderts: der fehlerfreie Probestart einer A4. Die Rakete war damit das erste von Menschen geschaffene Objekt im Weltraum. Im April 1945 stellte sich von Braun der US-amerikanischen Armee, die ihn zwei Monate später in die USA brachten. Dort wirkte er an der Weiterentwicklung der A4 mit. Die Amerikaner sahen über seine Nazi-Vergangenheit - 1933 war er der SS beigetreten - hinweg. Später unterstützte von Braun unter anderem die Konstruktion der Saturn-V-Rakete für den Flug der NASA zum Mond Mitte der 60-Jahre. Sie bildete aber auch die Grundlage zur Entwicklung der Atomraketen.

Flugzeuge und Boote aus DDR-Zeiten

Der Flugkörper Fi 103 - auch V 1 genannt - steht 2009 im Historisch-Technischen Informationszentrum Peenemünde © picture alliance/ZB Foto: Jürgen Lösel
Der Flugkörper Fi 103 war ein Vorfahre heutiger Raketen.

Auf dem Freigelände der ehemaligen Heeresversuchsanstalt sind weitere Ausstellungsstücke zu sehen, wie die Nachbauten des Flugkörper "Fi 103" - auch V1 genannt - und der Rakete A4 (V2). Zudem ist ein restauriertes Original der Peenemünder Werkbahn zu besichtigen. Auch Hinterlassenschaften aus der DDR-Vergangenheit sind auf dem Freigelände zu finden, zum Beispiel Jagdflugzeuge und ein Schnellboot der Nationalen Volksarmee (NVA). Von 1952 bis 1990 war Peenemünde unter anderem Marinestützpunkt der NVA. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die sowjetischen Besatzer den Ort als Marine- und Luftwaffenstützpunkt genutzt.

Karte: Historisch-Technisches Museum Peenemünde

Geschichte
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