Multiples Myelom: Neue Therapien bei aggressivem Knochenmarkkrebs

Stand: 06.02.2024 21:16 Uhr | vom Norddeutscher Rundfunk-Logo

Die Heilung von Knochenmarkkrebs ist nicht möglich, neue Therapien verbessern die Lebenserwartung bei einem Multiplen Myelom aber stark. Welche Symptome sind typisch? Wie läuft die Behandlung?

von Levke Heed

Ein Multiples Myelom gehört zu den häufigsten Tumoren von Knochenmark und Knochen. Rund 7.000 Neuerkrankungen gibt es jährlich in Deutschland, ein Viertel erkrankt an der aggressiven Variante, dem Hochrisiko-Myelom.

Knochenmarkkrebs entsteht durch die Entartung von Plasmazellen, deren Klone sich im Knochenmark ausbreiten und krankhafte Eiweiße ausschütten. Bei mehreren Tumoren handelt es sich um ein Multiples Myelom, auch Morbus Kahler genannt. Ist nur ein einzelner Tumor aus Plasmazellen vorhanden, spricht man von einem Plasmozytom. Plasmazellen gehören zu den weißen Blutkörperchen. Sie sind Teil des Immunsystems. Sie bilden Antikörper, die den menschlichen Körper vor Infektionen schützen.

Multiples Myelom: Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursachen für das Multiple Myelom sind noch weitgehend ungeklärt. Als Risikofaktoren gelten:

  • familiäre Häufung
  • höheres Lebensalter (die meisten Patientinnen und Patienten sind über 70 Jahre)
  • männliches Geschlecht
  • afroamerikanische Herkunft
  • monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS) - eine Ansammlung von Antikörpern, die aus fehlgebildeten, aber gutartigen Plasmazellen stammen. Da sie aus einem Klon entstehen, wird die Bezeichnung "monoklonal" genutzt.
  • regelmäßiger Kontakt mit bestimmten Chemikalien. In Verdacht stehen Pestizide, Produkte der Petrochemie/Gummiverarbeitung und organische Lösungsmittel wie zum Beispiel Benzol.
  • starke radioaktive Strahlung (unter Überlebenden der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki erkrankten mehr Menschen als in vergleichbaren Bevölkerungen)

Symptome bei einem Multiplen Myelom

Die unkontrollierte Vermehrung der entarteten Plasmazellen im Knochenmark und die Bildung der krankhaften Eiweiße (Paraproteine) können das Immunsystem schwächen und zur Auflösung von Knochensubstanz führen. So entstehen schmerzhafte Löcher, überwiegend im Brust- und Rückenwirbelbereich, aber auch an den Rippen und in den langen Knochen der Arme und Beine.

Ein Multiples Myelom kann zunächst über Jahre unerkannt bleiben. Beschwerden treten häufig erst im fortgeschrittenen Stadium auf. Die Krankheit wird dann oft per Zufallsbefund bei einer Blut- oder Urinuntersuchung diagnostiziert. Denn die typischen Symptome können auch bei anderen, eher harmlosen Erkrankungen auftreten:

  • Knochenschmerzen (oft an der Wirbelsäule)
  • Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Leistungsabfall, Schwäche
  • immer wieder auftretende Infekte
  • Appetitlosigkeit
  • Gewichtsverlust
  • Übelkeit
  • Nierenfunktionsstörungen
  • vermehrtes Wasserlassen
  • schäumender Urin
  • Sensibilitätsstörungen der Haut (Kribbeln oder gestörtes Temperaturempfinden an Händen und Füßen)
  • Kalziumerhöhung im Blut (Hyperkalziämie)
  • Ödeme (Einlagerung von Flüssigkeit in Körpergewebe)

Wichtig zu wissen: Das Multiple Myelom wird den Lymphdrüsen-Krebserkrankungen zugeordnet, Lymphknoten sind in der Regel aber nicht vergrößert.

Diagnose von Knochenmarkkrebs meist in Stadium 3

Viele Patientinnen und Patienten berichten, dass sie häufig eine Odyssee bis zur Diagnose hinter sich haben, weil die Symptome am Anfang so unspezifisch sind. Die Knochenschmerzen werden häufig zunächst mit Verschleißerscheinungen erklärt. Und hinter Müdigkeit und vielen Infekten können verschiedenste Auslöser stecken. Erst wenn weitere Symptome auftreten, wird das Multiple Myelom diagnostiziert. Das kann Wochen, manchmal sogar Monate dauern. Bei den meisten Patienten liegt zum Zeitpunkt der Diagnose bereits Stadium 3 (höchstes Stadium) der Erkrankung vor.

Diagnose: Blut- und Urinuntersuchungen geben Aufschluss

Wenn nach einer ausführlich geschilderten Krankengeschichte (Anamnese) der Verdacht auf ein Multiples Myelom im Raum steht, gibt es verschieden Verfahren, die Diagnose zu stellen. Besonders Blut- und Urinuntersuchungen spielen eine wichtige Rolle. Die Proben werden auf das Protein Paraprotein untersucht. Große Mengen krankhafter Eiweiße im Blut weisen auf bösartige Veränderungen im Knochenmark hin. Die Werte von roten Blutkörperchen (Erythrozyten), weißen Blutkörperchen (Leukozyten) und Blutplättchen (Thrombozyten) geben Aufschluss über ein gesteigertes Infektionsrisiko oder eine Blutarmut (Anämie). Wichtige Proteinwerte sind: beta-2-Mikroglobulin und das Albumin. Je höher der Wert für das β2-Mikroglobulin und je niedriger der Wert für das Albumin im Blut ist, desto fortgeschrittener das Krankheitsstadium.

Weitere Untersuchungen: Sind Knochen und Nieren geschädigt?

Die Messung des Kalziumspiegels gibt Aufschluss, ob Knochensubstanz abgebaut wird. Eine Untersuchung eines 24-Stunden-Sammelurins zeigt, wie viel Eiweiß ausgeschieden wird und kann so eine Nierenschädigung aufdecken.

Der Zustand der Knochen wird mit Röntgenaufnahmen, Magnetresonanztomographie (MRT) oder Computertomographie (CT) untersucht. Sicher diagnostiziert werden kann die Erkrankung schließlich mithilfe einer Untersuchung des Knochenmarks. Dazu wird eine Knochenmarkpunktion aus dem Beckenkamm durchgeführt.

Behandlung abhängig vom Stadium der Erkrankung

Heilbar ist Knochenmarkkrebs nach heutigem Kenntnisstand der Wissenschaft nicht. Durch immer bessere Therapien kann das Leben der Betroffenen aber um Jahre verlängert und auch die Lebensqualität verbessert werden. Ziel ist es, einen Rückgang der Symptome und ein Zurückdrängen (Remission) der Erkrankung zu erreichen. Die Behandlung hängt vom Stadium des Multiplen Myeloms, vom Alter der Betroffenen, vom Allgemeinzustand und von der Organfunktion ab. Expertinnen und Experten raten zu einer Behandlung in einem spezialisierten Zentrum. Eine individuelle Therapie ist dabei wichtig, da die Ausprägung der Erkrankung stark variiert.

Hochdosis-Chemotherapie und Stammzelltransplantation

Meist erhalten Patientinnen und Patienten mit einer guten körperlichen Verfassung eine Hochdosis-Chemotherapie mit anschließender Stammzelltransplantation. Zunächst wird eine Medikamententherapie auf Basis der Substanz Bortezomib durchgeführt, die mit anderen Wirkstoffen kombiniert wird. Ziel ist es, möglichst viele Myelomzellen zu vernichten. Es folgt die sogenannte Stammzellmobilisation, um körpereigene Blutstammzellen entnehmen zu können.

Im Anschluss kommt eine Hochdosis-Chemotherapie zum Einsatz, um das fehlgeleitete Immunsystem komplett zu zerstören und es dann mit einer Stammzelltransplantation aus körpereigenen Stammzellen (autologe Blutstammzelltransplantation) wieder neu aufzubauen. Um das Risiko eines Rückfalls zu minimieren, schließt sich der Transplantation eine sogenannte Erhaltungstherapie mit Medikamenten an, um ein Wiederaufflammen der Erkrankung zu verhindern, in der Regel mit dem Medikament Lenalidomid.

Betroffene, bei denen eine Hochdosis-Chemotherapie und Stammzelltransplanatation nicht möglich ist, werden Kombinationen aus verschiedenen Medikamenten verabreicht. Die häufigsten sind: Bortezomib, Lenalidomid, Pomalidomid, Carfilzomib, Ixazomib, Elotuzumab, Daratumumab, Thalidomid und Panobinostat. Tritt - wie in wenigen Fällen - ein Tumor nur an einer Stelle auf (solitäres Plasmazytom) wird eine Strahlentherapie eingesetzt.

Hochrisiko-Myelom: Therapie mit neuartiger Wirkstoff-Kombination steigert Lebenserwartung

Die Therapie des Multiplen Myeloms verändert sich stetig - mit einer immer besseren Prognose für Betroffene. Bei sogenannten Standardrisikopatientinnen und -patienten hat sich das mittlere Überleben von drei auf über zehn Jahre verbessert. Hoffnung gibt es jetzt auch für Betroffene mit einem sehr hohen Rückfall-Risiko (Hochrisiko-Myelom) und sehr aggressivem Verlauf. Davon ist etwa ein Viertel der Erkrankten betroffen.

Eine Studie des Universitätsklinikums Hamburg zeigt, dass eine Kombination aus den Wirkstoffen Isatuximab, Carfilzomib, Lenalidomid sowie Dexamethason das Rückfallrisiko stark minimiert. An der klinischen Studie waren 20 deutsche Behandlungszentren beteiligt. Knapp 80 Prozent der Patientinnen und Patienten bis 70 Jahre sowie mehr als 60 Prozent der Patientinnen und Patienten über 70 Jahre waren zwei Jahre nach Abschluss der Therapie noch rückfallfrei.

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NDR Fernsehen | Visite | 06.02.2024 20:15

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