Epilepsie: Ursachen, Diagnose und Behandlung

Stand: 01.02.2023 21:51 Uhr | vom Norddeutscher Rundfunk-Logo

Bei Epilepsien sind Hirnbereiche übermäßig aktiv und geben zu viele Signale ab. Gefährlich ist dabei vor allem, dass die Anfälle so unvorhersehbar sind. Was sind die Ursachen und wie wird Epilepsie behandelt?

Ein epileptischer Anfall kann sich auf unterschiedliche Art äußern. Häufig treten Zuckungen einzelner Körperteile auf - genauso aber gibt es auch symptomlose Epilepsie-Anfälle, die gänzlich unbemerkt bleiben. In der Regel beginnt ein epileptischer Anfall plötzlich und ohne erkennbaren Anlass. Nach wenigen Minuten hört er von selbst wieder auf. Es gibt unterschiedliche Epilepsie-Arten - und es kann bei einer Epilepsie-Art zu individuell unterschiedlichen Symptomen kommen.

Epilepsien gehören zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen, in Deutschland sind rund 600.000 Menschen betroffen. Dabei sprechen Mediziner erst dann von einer Epilepsie-Erkrankung, wenn Anfälle mehrfach auftreten. Bis zu fünf Prozent aller Menschen haben einmal in ihrem Leben einen epileptischen Anfall, ohne dass diesem weitere folgen - sie haben dann keine Epilepsie.

Verschiedene Ursachen für Epilepsien

Es gibt genetische Veränderungen, die dazu führen, dass Nervenzellen im Gehirn grundsätzlich mehr dazu neigen, sich spontan synchron zu entladen. Neben solchen genetischen Ursachen, bei denen eine Epilepsie häufig schon im Kindes- oder Jugendalter auftritt, gibt es viele unterschiedliche erworbene Hirnveränderungen: Nach einem Schlaganfall zum Beispiel oder ausgelöst durch ein Schädelhirntrauma nach einem Unfall. Solche Ereignisse können Nervenzellen nachhaltig verändern, wodurch sie irritiert sind und es in der Folge zur Epilepsie kommen kann.

Allerdings wird oft auch keine eindeutige Ursache gefunden. Bei einer fokalen Epilepsie beginnen die Anfälle immer in einer bestimmten Hirnregion, dem Focus. Anfälle können aber auch ihren Beginn in beiden Hirnhälften nehmen.

Epileptische Anfälle treten auch als Zeichen von Entzündungen im Gehirn auf, beispielsweise bei akuten Infektionen mit Viren oder Bakterien (Meningitis, Enzephalitis) oder bei seltenen Autoimmunkrankheiten des Gehirns. Hier ist es wichtig, den Auslöser schnell zu finden und zu behandeln. Denn nur wenn ein bleibender Schaden entsteht, eine Narbe im Gehirngewebe, kann es in der Folge zu einer echten Epilepsie-Erkrankung kommen.

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Gefahr von Fehldiagnosen und Verwechslungen

Die Rate an Fehldiagnosen eines epileptischen Anfalls oder einer Epilepsie liegt laut Studien zwischen rund fünf und 30 Prozent. Bei leichteren Anfällen, die ohne motorische Symptome auftreten, werden epileptische Anfälle häufig nicht diagnostiziert. Auf der anderen Seite kommt es auch zu Fehldiagnosen: Ein Ohnmachtsanfall in Verbindung mit einer Erkrankung des Herz-Kreislaufsystems kann fälschlicherweise für einen epileptischen Anfall gehalten werden.

Auch schlafbezogene Bewegungs- und Verhaltensstörungen, Ticks oder Panikattacken werden mit epileptischen Anfällen verwechselt. Fieberkrämpfe können bei Kindern vorkommen - nur in sehr wenxigen Fällen entwickeln die Betroffenen danach eine Epilepsie.

Diagnose-Methoden nach einem epileptischen Anfall

Tritt ein Anfall zum ersten Mal auf, sollte umgehend medizinisch überprüft werden, ob es sich tatsächlich um einen epileptischen Anfall gehandelt hat. Voraussetzung für eine sichere Diagnose ist eine möglichst genaue Beschreibung des Anfalls auch durch Augenzeugen. Epilepsietypische Auffälligkeiten können sich im Elektroenzephalogramm (EEG) oder Kernspintomogramm (MRT) bereits nach einem erstmalig auftretenden epileptischen Anfall zeigen. Ist dies eindeutig der Fall, steigt die Wahrscheinlichkeit für einen erneuten Anfall auf über 60 Prozent.

Täglich eingenommene Medikamente helfen meistens

Zu den wichtigsten Therapiemöglichkeiten zählen bestimmte Medikamente: Täglich eingenommene Antiepileptika sorgen dafür, dass die Nervenzellen gehemmt und dadurch beruhigt werden. Bei knapp 70 Prozent der Patienten helfen solche Medikamente gut. Dabei reicht häufig bereits ein einzelnes Medikament aus, manchmal wirkt nur eine Kombination von zwei oder mehr Medikamenten. Mittlerweile gibt es rund 30 verschiedene Medikamente gegen Epilepsie. Moderne Wirkstoffe haben oft weniger Nebenwirkungen. Ziel der Behandlung ist Anfallsfreiheit bei möglichst geringen Nebenwirkungen.

Nichtmedikamentöse Therapien

Für Patienten, bei denen die Antiepileptika nicht ausreichend wirken, kommen weitere Therapiemöglichkeiten in Betracht. Bei einer Vagusnervstimulation wird ein Schrittmacher - ähnlich einem Herzschrittmacher - unter die Haut im Brustbereich implantiert. Das Gerät erzeugt elektrische Impulse, die vom Vagusnerv am Hals ins Gehirn geleitet werden. Das soll die Überaktivität der Nerven, die zu epileptischen Anfällen führt, hemmen.

Ebenfalls auf Basis einer Elektrostimulation arbeitet ein neueres Verfahren, bei dem eine dünne Silikonscheibe mit Platinkontakten unter die Kopfhaut geschoben wird. Auch bei diesem Verfahren gehen die elektrischen Impulse von einem Schrittmacher aus, der im Brustbereich unter die Haut gesetzt wird. Durch diese Therapie soll eine tiefgehende und fokussierte Stimulierung des Gehirns möglich sein, ohne das Gehirn selbst zu berühren. Es gibt hierbei bisher nur eingeschränkte Erfahrungen mit einem kleinen Patientenkreis.

Operative Verfahren kommen nur in Frage, wenn sicher festgestellt wird, von welcher Stelle im Gehirn die Anfälle genau ausgehen, also bei fokalen Epilepsien. Dann müssen weitere Untersuchungen in einem Neurochirurgischen Zentrum zeigen, ob die Entfernung des Focus ohne größere Gefahr möglich ist, oder ob der Eingriff zu Lähmungen, Sprachstörungen oder anderen Ausfällen führen würde. Im besten Falle kann eine Epilepsie-Operation zu einer langjährigen Anfallsfreiheit führen.

Ist Epilepsie heilbar?

Das Ziel der Epilepsie-Behandlung ist die Anfallsfreiheit. In der Regel müssen dafür dauerhaft Medikamente eingenommen werden. Ob ein Absetzen nach mehreren anfallsfreien Jahren sinnvoll sein kann, muss individuell abgewogen werden. Man spricht bei Epilepsie nicht von einer "Heilung" sondern davon, dass die Krankheit überwunden ist. Das ist dann der Fall, wenn man länger als zehn Jahre keinen epileptischen Anfall mehr hatte und seit über fünf Jahren kein Antiepileptikum mehr eingenommen hat. Weil auch bei diesen Menschen ein leicht erhöhtes Risiko eines Rückfalls besteht, spricht man dennoch nicht von einer Heilung.

Wie gefährlich ist Epilepsie?

Menschen mit Epilepsie können meist nicht vorhersagen, ob und wann sie einen epileptischen Anfall bekommen. Und genau das macht ihn gefährlich: Gerade bei einem großen Anfall - der Fachbegriff heißt "bilateral tonisch-klonischer" Anfall - kann es durch Bewusstlosigkeit zu Stürzen und damit verbunden zu Verletzungen kommen. Ebenso gefährlich wird es, wenn ein Betroffener bei einem Anfall zum Beispiel gerade ein Messer in der Hand hatte, an einem heißen Herd oder auf einer Leiter stand.

Aber auch die häufigeren kleineren Anfälle können Betroffene körperlich und psychisch belasten. Hinzu kommen Vorurteile und Stigmata, die den Alltag für Menschen mit Epilepsie zusätzlich erschweren. So ist im Verlauf der Erkrankung das Risiko für eine Depression erhöht. Insgesamt haben Menschen mit Epilepsie ein erhöhtes Sterberisiko. Plötzliche unerwartete Todesfälle (SUDEP, engl. Sudden unexpected death in epilepsy) kommen auch in eigentlich weniger gefährlichen Situationen vor, zum Beispiel nachts im Bett. Ursache ist meist ein Atemstillstand nach einem Anfall.

Welche Risiken sollen vermieden werden?

Menschen mit Epilepsie dürfen nicht selbst Auto fahren, wenn sie in den vergangenen zwölf Monaten einen Anfall hatten. Neben dieser gesetzlich vorgegebenen Regelung hinsichtlich des Autofahrens raten Neurologen ihren Patienten auch in anderen Bereichen zur Vorsicht, wenn es in den vergangenen zwölf Monaten zu einem Anfall gekommen ist.

In diesem Fall sollte man zum Beispiel nicht alleine schwimmen gehen. Denn wenn ein epileptischer Anfall im Wasser auftritt und nicht sofort ein Rettungsschwimmer zur Stelle ist, kann das tödlich enden: So ist auch die Haupttodesursache von Menschen mit Epilepsie ein Tod durch Ertrinken. Ebenfalls vorsichtig sein sollten Betroffene beim Baden in einer Badewanne sein – auch hier kann es zum Ertrinken kommen. Individuelle Aufklärung und Beratung von Betroffenen und ihren Angehörigen sind wichtig, um das  Risiko für einen SUDEP zu verringern. Dabei kann zum Beispiel eine nächtliche Überwachung mit mobilen Geräten (“Wearables”) erwogen werden.

Erste Hilfe bei epileptischem Anfall

Im Vordergrund steht, dass sich der Betroffene während eines Anfalls nicht verletzt. Wenn er oder sie bereits auf dem Boden liegt, zucken häufig Arme und Beine oder sie wirken versteift. Auch der Kopf kann zucken und dabei immer wieder auf den Boden aufschlagen. Deshalb sollte man eine Jacke oder einen Pullover unterlegen, aber nicht versuchen, die Person festzuhalten.

Manchmal kommt es zu einem Zungenbiss, dennoch sollte man niemals versuchen, während des Anfalls etwas in den Mund zu schieben. Der Blutverlust beim Zungenbiss ist sehr gering, durch die Verdünnung mit Speichel wirkt es mehr, als es ist. Daher gilt: Ruhe bewahren. Der Anfall selbst ist meist nach ungefähr einer Minute vorbei. Um die Zeit sicher zu messen, lohnt ein Blick auf die Uhr. Ansonsten sollte man den Betroffenen beobachten und mit ihm sprechen.

Die Beobachtungen der Augenzeugen liefern später oft entscheidende Informationen bei der Diagnosefindung. Wichtige Fragen dabei sind zum Beispiel: Was ging dem Anfall voraus? Wie sah der Sturz aus, wenn es einen gab? Waren die Augen geöffnet oder geschlossen? Auf welcher Körperseite begannen die Verkrampfungen? In welche Richtung war der Kopf gedreht? War die Person bewusstlos oder könnte sie auf Ansprache reagieren?

Was passiert nach dem Anfall?

Nach einem großen Anfall kann es sein, dass die Person nicht direkt wieder orientiert oder kommunikationsfähig ist. Dafür braucht es meist 15 bis 30 Minuten, bei älteren Patienten kann es auch länger dauern. In dieser Zeit sollte man mit dem Betroffenen sprechen.

Manche Menschen mit bekannter Epilepsie können sich aber auch schnell erholen und ihrer Tätigkeit weiter nachgehen. Nach einem ersten Anfall ist aber immer zügig eine ärztliche Untersuchung notwendig. Dauert der Anfall länger als 5 Minuten, folgen mehrere Anfälle hintereinander, gibt es Probleme mit der Atmung, starke Verletzungen oder kommt der Patient nicht wieder zu sich, sollte der Notruf 112 gewählt werden.

Hilfe für Betroffene

Für Betroffene und Angehörige in Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern gibt es ein Online-Hilfsangebot vom Epilepsiezentrum Kiel des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein und vom Norddeutschen Epilepsiezentrum des Deutschen Roten Kreuzes. Das Angebot umfasst sowohl Online-Schulungen als auch individuelle Beratung, um Ängste zu nehmen, Fragen zu beantworten und konkrete Probleme zu lösen. Ziel ist die vielfältige Unterstützung im Umgang mit der Erkrankung.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Fernsehen | Visite | 07.02.2023 20:15

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