Ärmere Kinder häufiger mit Corona im Krankenhaus
Ein deutsches Forscherteam konnte zeigen: Sozioökonomisch benachteiligte Kinder waren häufiger mit einer Coronavirus-Infektion im Krankenhaus als Kinder aus besser gestellten Familien.
Dass ärmere und unterprivilegierte Menschen größere Krankheitsrisiken haben, ist schon lange bekannt. Schlechtere Ernährung, mehr Risikofaktoren bei der Arbeit und weniger Wissen über Gesundheitsschutz, all das spielt dabei eine Rolle. Doch in der Vergangenheit hat sich die sozial-epidemiologische Forschung dabei vor allem auf chronische Krankheiten fokussiert: Krebs, Herz-Kreislauf-, teilweise auch psychische Erkrankungen. "Mit Covid hat es ein bisschen einen Perspektivenwechsel gegeben", sagt Olaf von dem Knesebeck, Direktor des Instituts für medizinische Soziologie am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf. Und das tue dem Thema gut, denn man habe Infektionskrankheiten bei der sozialen Ungleichverteilung zu wenig im Blick gehabt.
Dünne Forschungslage für Kinder
Bei Erwachsenen ist die Situation mittlerweile auch für die Pandemie international recht gut erforscht: Sozial benachteiligte Menschen infizieren sich häufiger mit dem Coronavirus und haben ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf, das haben verschiedene Studien gezeigt. Für Kinder allerdings fehlten dazu meist ausreichend Daten. Denn weil schwere Verläufe insgesamt gesehen bei ihnen so selten sind, braucht es große Datensätze, um Unterschiede sichtbar zu machen.
Nun ist es einem Forschungsteam um den Düsseldorfer Medizinsoziologen Nico Dragano gelungen, zu zeigen: Auch wenn eine Krankenhauseinweisung mit einer Corona-Infektion ein seltenes Ereignis blieb (0,2 Prozent in der Studie) - Kinder aus ärmeren Zusammenhängen waren häufiger betroffen als Kinder aus gut situiertem Elternhaus. Die Forscher werteten einen Datensatz der AOK Rheinland von fast 700.000 Kindern bis Mitte 2021 aus, quer durch alle Altersgruppen, aus ganz verschiedenen sozialen Schichten. Dabei wurde das Wohnumfeld der Kinder betrachtet, wie in anderen Studien auch, aber auch die individuelle wirtschaftliche Situation der Familie. "Wir haben für beides einen Zusammenhang gesehen", meint Nico Dragano.
Beengte Wohnverhältnisse als Risikofaktor
Kinder von Langzeitarbeitslosen hatten demnach ein um 30 Prozent erhöhtes Risiko, mit einer Corona-Infektion ins Krankenhaus zu kommen. Aber auch Kinder von Eltern mit Niedriglöhnen oder Arbeitslosengeld I waren offenbar stärker gefährdet. Besonders deutlich war der Unterschied, wenn man auf die Stadtviertel schaute. Im Vergleich hatten Kinder in Vierteln mit geringem Durchschnittseinkommen oder dicht besiedelten Landkreisen ein bis zu dreifach höheres Hospitalisierungsrisiko im Vergleich zu Kindern, die in bessergestellten Vierteln oder Regionen wohnen.
Diesen Unterschied haben auch Studien aus anderen Ländern schon gezeigt. Das könnte mit dem Ansteckungsrisiko zusammenhängen. "Denn beengte Wohnverhältnisse scheinen ein wichtiger, vermittelnder Faktor zu sein", so der Sozialepidemiologe Nico Dragano, "und Armut hängt mit engeren Wohnungen und mehr Leuten in der Wohnung zusammen."
Ursachen nicht ganz klar
Warum das höhere Hospitalisierungsrisiko den Daten zufolge besonders kleine Kinder und ältere Jugendliche betrifft, ist allerdings unklar. Und noch ein paar Fragezeichen bleiben, besonders wenn es um den Krankheitsverlauf geht. Vorerkrankungen der Kinder wurden zwar in den Daten erfasst, doch obwohl benachteiligte Kinder grundsätzlich häufiger vorerkrankt sind, scheint das nicht die einzige Ursache für die Schieflage zu sein. Andere Risikofaktoren konnten nicht berücksichtigt werden: Zum Beispiel weniger schwere Diagnosen, die nicht behandelt wurden, wie herkömmliches Übergewicht, oder umweltbezogene Risikofaktoren wie eine verkehrsreiche Straße.
Ärmere Kinder tragen höhere Risiken
Davor, die konkreten Zahlen aus der Studie zu absolut zu betrachten, warnen die Forscher allerdings. Denn zum Beispiel die Frage, ob die Kinder wegen einer Coronainfektion im Krankenhaus waren oder das nur eine Nebendiagnose war, konnte im Einzelfall nicht geklärt werden. Das ist auch im Vergleich nicht ganz unwichtig, weil ärmere Kinder womöglich generell häufiger im Krankenhaus landen. Kinderärzte könnten eher dazu neigen, Kinder aus beengten Wohnverhältnissen und schwierigen wirtschaftlichen Umständen stationär behandeln zu lassen als Kinder, die in einem günstigen Umfeld groß werden, betont Dragano. Trotzdem: Der Unterschied zwischen privilegierten und benachteiligten Kindern fällt trotz dieser möglichen Einschränkung deutlich aus.
Der Hamburger Medizinsoziologe Olaf von dem Knesebeck hält die Erkenntnisse aus der Studie auch vor einem anderen Hintergrund für bedenkenswert. Erst in der vergangenen Woche hatte das Bundesgesundheitsministerium die Ergebnisse der genannten Corona-KiTa-Studie veröffentlicht. Tenor in der Berichterstattung: Für Kinder ist Corona ganz generell betrachtet kein großes Problem. "Möglicherweise muss man da ein bisschen differenzierter argumentieren", meint von dem Knesebeck. Offenbar gebe es doch Kinder aus bestimmten Zusammenhängen, die höhere Risiken tragen. "Das ist ein Befund, der immer noch irgendwie erschreckend ist und über den wir noch mehr lernen müssen."
Ungleichheiten wurden verschärft
Auch Nico Dragano findet, die soziale Schieflage bei Krankheitsrisiken brauche besonders bei Kindern mehr Beachtung, auch weil es ja ohnehin genug grundlegende Probleme in der kinderärztlichen Versorgung gebe, durch hohen ökonomischen Druck auf die Kindermedizin beispielsweise. "Mein Eindruck ist, dass gerade die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie ein Thema war, das nicht ausreichend behandelt wurde. Diese sozialen Ungleichheiten haben wir bei verschiedenen anderen Erkrankungen bei Kindern vorher auch schon gesehen. Dann kommt so ein Ereignis wie die Pandemie. Da ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie besonders betroffen sind." Und so sei es letztlich auch gekommen: Bestehende Ungleichheiten wurden verschärft, und auch im Zusammenhang mit der Erkrankung selbst sind neue Ungleichheiten entstanden.
Infektionsschutz für Kinder nicht im Fokus
Wie genau eine bessere Aufklärung und Gesundheitsprävention für diese Risikogruppen aussehen könnte, würden die Wissenschaftler gern erforschen. Dazu bräuchte es allerdings mehr und bessere Daten. Doch zurzeit sieht es nicht danach aus, dass solche längerfristige Studien zu Kindern in Zukunft besonders gefördert werden. Der Bund hatte bei der Vorstellung der Corona-KiTa-Studie vor allem die Folgen der Pandemiemaßnahmen im Blick - von Infektionssschutz für Kinder war nicht die Rede.