Stand: 15.01.2016 09:00 Uhr

"Ein spektakulärer Farbenrausch"

Klarinettistin Sabine Meyer mit ihrem Instrument vor einer roten Wand © EMI Classics Foto: Thomas Rabsch
Ausnahme-Klarinettistin Sabine Meyer bringt Balkan-Klänge nach Hamburg und Lübeck.

Für ein ganz besonderes Konzert kehrt Klarinettistin Sabine Meyer nach Hamburg zurück: Gemeinsam mit dem NDR Sinfonieorchester und Dirigent Juraj Valčuha bringt sie ein Werk des ungarischen Komponisten Márton Illés zur deutschen Erstaufführung, das der NDR gemeinsam mit Lucerne Festival in Auftrag gegeben hat. Außerdem stehen Werke von Bartók, Ligeti und Janáček auf dem Programm.

Vorab erzählt uns die Ausnahme-Musikerin, was ihr Instrument so besonders macht und warum man diese Konzerte auf keinen Fall verpassen sollte.

Was schätzen Sie an Ihrem Instrument? Oder mal ganz dreist gefragt: Was kann die Klarinette, was andere Instrumente nicht können?

Sabine Meyer: Es gibt natürlich viele schöne Instrumente, aber die Klarinette ist vor allem sehr vielseitig. Sie kann wunderbar lyrisch sein, aber auch höchst virtuos. Sie hat einen sehr großen Tonumfang mit unterschiedlichsten Registern und vielen Farben, und sie hat ganz große dynamische Möglichkeiten. Wie kaum ein anderes Instrument wird sie daher auch in den verschiedensten Stilbereichen gebraucht, ob Klassik oder Jazz, Klezmer oder Volksmusik.

Im Konzert mit dem NDR Sinfonieorchester bringen Sie Márton Illés' Klarinettenkonzert zur Deutschen Erstaufführung. Das Konzert wurde für Sie geschrieben und ist Ihnen gewidmet. Wie fühlt es sich an, auf diese Weise quasi selbst Teil des Werks zu sein? Wie lange und wie gut kennen Sie Illès?

Meyer: Márton Illés kenne ich seit einigen Jahren. Er ist ein großer Fan der Klarinette und ein Komponist, der sehr farbenreich und atmosphärisch dicht komponiert. Die Arbeit mit dem Komponisten am entstehenden Werk ist sehr spannend, gerade wenn bei einem Komponisten wie Illés jedes kleinste Detail seinen Sinn hat und sich in der Partitur weiterspinnt und wenn ein Komponist so sehr auf der Suche ist nach Farben und neuen Klängen. Das war eine sehr fruchtbare und intensive Zusammenarbeit.

Wie sieht es in diesem Fall eines völlig neuen Werks eigentlich mit den Freiheiten als Interpretin aus? Wird vieles im Austausch mit dem Komponisten entschieden oder verhält es sich ähnlich wie bei einem bestehenden Werk eines verstorbenen Komponisten: Das meiste steht in den Noten und der Rest ist persönliche Auslegungssache?

Meyer: Ich sehe in keinem Werk eine "Freiheit als Interpretin". Es geht, egal um welche Musik es sich handelt, immer "nur" darum, dem Werk und der Idee des Komponisten gerecht zu werden. Auch bei Werken längst verstorbener Komponisten versucht man, die Werke über die Jahre immer besser zu verstehen. Bei einem noch lebenden Komponisten hat man aber den großen Vorteil, dass man ihn treffen und ihn direkt zu seinen Absichten befragen kann.

Wie wichtig ist Ihnen die Auseinandersetzung mit Musik unserer Zeit generell? Welche Rolle spielt zeitgenössische Musik auch in Ihrer pädagogischen Tätigkeit?

Meyer: Von Anfang an hat die zeitgenössische Musik für mich einen unverzichtbaren Stellenwert gehabt, weil ich der festen Überzeugung bin, dass die klassische Musik kein Museum sein dürfte, sondern dass auch unsere Zeit in der klassischen Musik ihren eigenen künstlerischen Ausdruck braucht. In der bildenden Kunst sind Ausstellungen zeitgenössischer Maler und Bildhauer teilweise unglaubliche Publikumsattraktionen, in der Literatur haben neue Werke teilweise Millionenauflagen - nur in der Musik möchte man sich offensichtlich ungern von neuen Ideen oder Ausdrucksformen überraschen, inspirieren oder auch in Frage stellen lassen. Das ist sehr bedauerlich.

Warum sollte man die deutsche Erstaufführung von Márton Illés' "Re-akvarell" mit Ihnen und dem NDR Sinfonieorchester auf keinen Fall verpassen?

Meyer: In der zeitgenössischen Musik beobachte ich seit vielen, vielen Jahren zwei sehr unterschiedliche Tendenzen. Da gibt es die gnadenlos kompromisslosen Künstler, die einerseits mit den auf unserem "normalen" Instrumentarium möglichen Klängen nicht mehr auskommen und zunehmend zu Verfremdungen greifen, die nur noch Spezialisten unter den Instrumentalisten möglich sind, und die andererseits einem "normalen" Publikum auch kein Verständnis für ihre Musik mehr zutrauen. Diese Komponisten sind in Nischen abgewandert und spielen sich auf speziellen Festivals wie z. B. Donaueschingen gegenseitig ihre Werke vor. Auf der anderen Seite gibt es in der letzten Zeit den Versuch, zeitgenössische Musik "erträglicher" zu machen. Da gibt es dann "tonale Zentren", jede Menge schöne Effekte und reichlich Eklektizismus, alles raffiniert vermischt natürlich. Einige dieser Komponisten sind sehr erfolgreich, aber ihre Musik erinnert dann schon an (gewagte) Filmmusik - ein "Hollywood" der Komposition sozusagen.

In meinem eigenen Schaffen - ich habe mehrere Dutzend Werke selber beauftragt und uraufgeführt - habe ich mich bemüht, Komponisten zu finden, die den Weg zwischen Donaueschingen und Hollywood finden und die Musik erschaffen, die ernsthaft ist und die jedem interessierten und unvoreingenommenen Hörer offen steht. Es gibt noch wenige Komponisten der alten Garde, die noch leben, wie György Kurtag oder Harrison Birtwistle, und ich bin überzeugt, dass Márton Illés in dieser Tradition steht und hier noch Maßgebliches leisten kann und Erfolg haben wird.

Das Werk "Re-akvarell" jedenfalls ist ein spektakulärer Farbenrausch, manchmal fast unhörbar leise und zart mit seinen Mikrointervallen, Spaltklängen und fahlen Farbenspielen, und dann wieder rauscht es wie ein Tornado durch das Orchester, dass man fast vom Sitz fällt. Ganz besonders schön finde ich den dritten Satz, eine Art Trauermarsch. Márton Illés sagte mir, er sei von der Tradition ungarischer Tanzbälle inspiriert worden, ganz am Ende des Festes, weit nach Mitternacht noch einen langsamen Satz zu spielen - zum Nachdenken und für die Wehmut!

Die Fragen stellte Julius Heile.

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