Klimawandel in SH: Die Kelpwälder vor Helgoland

Stand: 29.08.2022 05:00 Uhr

Unterwasserwälder aus großen Braunalgen können helfen, die globale Erwärmung einzudämmen. Dafür müssten sie aufgeforstet werden. Das ist nicht so leicht. Ein internationales Forschungsteam will vor Helgoland herausfinden, wie es gelingen kann - Philipp Jeß und Jonas Drescher sind mittendrin.

von Jonas Drescher

Philipp heult mir noch ein bisschen die Ohren voll, während wir an den Klippen der Nordseeinsel entlanglaufen. Die Überfahrt war zu wellig, es waren zu viele Menschen an Bord - der sonst immer positive gestimmte Kollege ist maulig. Das ändert sich, als wir unsere Ausrüstung die steile Treppe an der Nordseite von Helgoland zum Strand runterschleppen. Das Meer ist schön, wir sehen schon von Weitem die ersten möglichen Kelpwälder im Wasser. Dort wollen wir Schnorcheln. Nachdem wir beide unser Gepäck samt unserer toxischen Maskulinität zum Nordstrand geschleppt haben, probieren wir den Kelp ausfindig zu machen. Kelp, eine Makroalge, die in der Nordsee auf dem Hartsubstrat der Strände wächst, ist nämlich das Objekt der Begierde einiger Wissenschaftler. Und die wollen wir bei ihrer Arbeit besuchen.

Regenwälder in der Nordsee

Durch meine Zeit beim Alfred-Wegener-Institut kenne ich die Gegend unter Wasser ziemlich gut. Ein paar Mal sollten wir Forschungstaucher für die Studenten- und Arbeitsgruppen auf der Insel die ein oder andere Kelp-Pflanze aus der Nordsee fischen. Diesmal geht es aber nur mit Schnorchel und Maske rein, ganz ohne die unzähligen Gerätschaften. Während wir in das Wasser waten, erinnere ich mich plötzlich auch wieder an die frühen Zeiten des Aufstehens, nur um noch vor der Flut draußen zu sein: War doch gar nicht so lange her, die Tagesroutine.
Direkt nach dem ersten Abtauchen sehen wir das satte Grün und die wogenden Blätter der Braunalge Kelp. 

Diese haben sich ganz schön viel clevere Wege einfallen lassen, um unter Wasser das Beste aus dem Sonnenlicht für die Photosynthese rauszuholen, wie wir noch sehen werden. Das Ganze erinnert an einen Regenwald, wie es dort so undurchdringlich vor sich hin wabert, mit dem Geschrei der Basstölpel im Hintergrund. Kelpwälder speichern CO2 nämlich innerhalb der Küstenökosysteme in einem ähnlichen Ausmaß wie Regenwälder. Wir schauen uns eins dieser Prachtexemplare an: glitschig, grünlich und ganz schön fest an einen Stein geheftet. Jetzt haben wir uns zumindest mal gesehen, wofür sich so viele Institute und Wissenschaftler auf einem Schiff zusammenfinden.

Die Sonne knallt - die Tour geht los

Am nächsten Morgen geht es auf die "Littorina". Sie ist ein Forschungsschiff des Helmholtz-Instituts für Ozeanforschung Kiel, dem Geomar. Den weiten Weg hat der Kutter mit den Wissenschaftlern an Bord zurückgelegt, um die einzigen Kelpwälder auf deutschen Boden zu untersuchen. Und nicht nur das: An dem Projekt sind zahlreiche Institute unter dem Namen sea4society versammelt, die nach Lösungen für die aktuellen Probleme unserer Zeit forschen: Klimawandel, Ozeanversauerung, Artensterben.

Jens Schneider von Deimling als Leiter der Fahrt begrüßt uns durch die Sonnenbrille. Die Sonne knallt, auf dem Schiff herrscht reges Treiben. Jeder der größtenteils sehr jungen Wissenschaftler probiert, sich in seine Aufgaben für die kommenden Tage einzufinden. "Vielleicht können wir aus den Daten extrahieren aus welchen Raum- und Morphologiebedingungen das Kelp am liebsten wächst und das übertragen in andere Gebiete", sagt Jens Schneider von Deimling. In andere Gebiete übertragen - damit ist gemeint, Kelpwälder künstlich anzulegen oder sie wieder aufzuforsten. Die für uns nicht unerhebliche Menge an CO2, die sie speichern, kann unter bestimmten Voraussetzungen dem Kohlenstoffkreislauf entnommen werden. Dann nämlich, wenn die Pflanzen absterben und auf den Meeresgrund in der Tiefsee sinken. Das tote Material wird dann im Boden eingelagert.

Rückschläge und neue Hoffnung

Um die Pflanzen aus der Nähe zu untersuchen, sollte Geologin Jenny Friedrich von der CAU Kiel eigentlich Messungen mit dem kleinen Beiboot "Zostera" machen. Aber das verabschiedete sich kurz nach dem Ablegen mit viel Rauch in die Werft. "Das ärgert mich sehr, das war schon ein großer Traum", sagt sie. Wie im echten Actionfilm werden auch unsere Superhelden von finsteren Mächten von ihrer Arbeit abgehalten. Als wir zusammen mit dem Schlauchboot der "Littorina" rausfahren, um die Wälder unter Wasser mit der Kamera zu dokumentieren, streikt auch dessen Motor. Man merkt den Wissenschaftlern die Anspannung an. Die Stimmung schwankt. Die Mission ist noch nicht ganz gestartet und schon scheint es zwei Verluste zu geben. Aber diesmal kann sogar ich, als "akademisch rangniedrigster Forscher" in der Runde, etwas beisteuern: Die Verbindung des Benzinschlauchs war nur gekappt. Erleichterung macht sich breit. Es kann weitergehen.

Untersuchungen mit großem Ziel  

Mehr als 200 Wissenschaftler arbeiten an einer wirklich großen Sache und kämpfen weiterhin mit der Technik. Geologen, Biologen und Geografen aus Kiel und Bremen sowie Oldenburg untersuchen die Verbreitung von Kelp. Sie wollen alles so vermessen, dass später eine präzise, dreidimensionale Unterwasserkarte dabei herauskommt - also eine Art "Google Earth" unter Wasser. Aus der Karte sollen die Wissenschaftler Daten entnehmen können, die in Zukunft dabei helfen, noch mehr CO2 zu speichern.

Eine Möglichkeit wäre dann das künstliche Anlegen von Kelpwäldern. Philipp und ich sind nach dem Tag ein bisschen schlauer. Ich würde wirklich gerne noch mit den Wissenschaftlern fachsimpeln, aber die "Littorina" muss bald weiterfahren und wir können sie nicht ewig von der Arbeit abhalten. Nur Philipp hat Angst vor der Rückfahrt. Aber das wird er schon schaffen.

Weitere Informationen
Jonas und Philipp hinter der Eingangstür im SALTY Hauptquartier. © NDR Foto: NDR

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 29.08.2022 | 19:30 Uhr

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