Zeitreise: Lübecker Archäologie, das Barbarenland und die Römer

Stand: 09.09.2022 13:25 Uhr

Am Rand von Lübeck entsteht derzeit ein Gewerbegebiet. Aber vorher sind noch Lübecker Archäologen am Werk. Und die haben eine germanische Siedlung ausgegraben und gucken nach römischen Spuren.

von Philip Schroeder

Archäologen steht bei einer Ausgrabung am Stadtrand von Lübeck. © NDR
Am Rand von Lübeck entsteht derzeit ein Gewerbegebiet. Aber vorher sind noch Lübecker Archäologen am Werk.

Es war einmal ein Obstgut, ein Gewerbegebiet soll es werden - und im Moment ist es eine Ausgrabungsstätte. An der Kronsforder Landstraße, am Rande des heutigen Lübeck, sichern die städtischen Archäologen die Spuren der Vergangenheit. Das ist nicht ungewöhnlich in der Weltkulturerbe-Stadt. Aber hier geht es nicht um die mittelalterliche Hanse-Zeit. Die Zeichen im Boden lenken den Blick viel weiter zurück. In die Zeit, als die Macht des Römischen Imperiums bis ins heutige Norddeutschland reichte - als hier, jenseits der Elbe, nahe der Ostsee, noch tiefstes Barbarenland war. Zumindest aus Sicht der hochkultivierten Römer.

Pfostengruben erzählen Geschichte

Archäologe Kai Radloff blickt in die Kamera bei einer Ausgrabung am Stadtrand von Lübeck. © NDR
Grabungsleiter Leif Schlisio bei Ausgrabungen am Rand von Lübeck.

Grabungsleiter Leif Schlisio steht zwischen den vielen kleinen rechteckigen Grabungslöchern. "Wir haben dicht an dicht Pfostengruben gefunden", sagt er. Im germanischen Kulturraum wurden Häuser aus Holz, Lehm und Reet gebaut - als Gerüst dienten starke Pfosten, die im Erdreich verankert wurden. Von solchen Häusern bleibt nach 2.000 Jahren nicht viel übrig. Aber auch wenn das Haus später abgebrochen wurde oder abbrannte - dort, wo die Pfosten standen, bleibt im Boden eine Verfärbung zurück. Auf dem Grabungsplan sieht man, wie sich aus den einzelnen Pfostenlöchern Grundrisse erkennen lassen und wie sich diese Grundrisse überlagern. Schlisiso: "Manche der Strukturen, die wir gefunden haben, stammen aus der jüngeren Steinzeit - aber der Schwerpunkt liegt auf der sogenannten Römischen Eisenzeit." Römische Eisenzeit - benannt nach der antiken Supermacht, die mindestens ein halbes Jahrtausend lang den europäischen Raum prägte. Direkt dort, wo die römischen Legionen das Land eroberten und zum Teil des Imperiums machten. Und indirekt auch dort, wo die römischen Eroberer scheiterten.

Kulturtransfer auch ohne Eroberung

Eine Szene aus einem älteren Film zeigt ein römisches Heer auf einem Feld. © NDR
Roms große Niederlage in Germanien wird auch heute noch nachgestellt.

Die römische Hochkultur wirkte auch aus der Ferne. Wie in Germanien, dem Land rechts des Rheins, das kein einheitliches Gebiet war vor 2.000 Jahren, sondern von vielen verschiedenen und oft verfeindeten Stämmen bewohnt war. Um Christi Geburt führten römische Feldherren rund 30 Jahre lang immer wieder Krieg in den germanischen Gebieten. In der Forschung ist umstritten, wie nah das Gebiet zwischen Rhein und Elbe einer römischen Provinz kam. Aber nachdem drei Legionen - fast 20.000 Elitesoldaten - im Jahr neun in der sogenannten Varusschlacht untergegangen waren, brachten auch die folgenden Jahre der Vergeltungs-Feldzüge keinen wirklichen Sieg. Germanien, das war eine Art Afghanistan der antiken Supermacht Rom. Schließlich zog Kaiser Tiberius seine Soldaten auf die Rheingrenze zurück. "Das war aber kein Eiserner Vorhang", sagt Grabungsleiter Leif Schlisio. "Die Menschen sind mittelbar oder unmittelbar miteinander in Kontakt gewesen." Die Drehmühlen aus Stein zum Beispiel, mit denen die römischen Soldaten ihre Getreideration verarbeiteten - die seien so praktisch gewesen, dass sie sich auch nach und nach in den Gebieten verbreiteten, in denen nie ein Legionär gewesen ist.

Was ein Stück Bronze über die römische Kultur aussagt

Auch die namenlose germanischen Siedlung beim heutigen Lübeck, deren Spuren die Archäologen gerade sichern, hat wahrscheinlich nie ein römischer Soldat betreten. Eine römische Getreidemühle ist nicht unter den Funden - aber Schmuck und Münzen. Im Grabungsbüro vergleicht Archäologin Ingrid Sudhoff einige Funde mit der Fachliteratur. Dem Laien sagt das Stück Bronze auf dem Bildschirm nichts, der Fachfrau schon: "Das sind große Nadeln, mit einem Kopf in Form eines Pinienzapfens. Vergleichsbeispiele habe ich jetzt nur aus dem Niederrheingebiet gefunden - späte römische Kaiserzeit", sagt Sudhoff. Vielleicht wurden solche Nadeln im römischen Kulturraum zum Feststecken von Frisuren benutzt. Wozu die Germanen in dem Dorf sie benutzten, ist unsicher. Als Alltagsgegenstand? Oder waren die Stücke aus der fernen römischen Welt hier besonders kostbare Statussymbole?

Vielleicht war es Beute oder Söldner-Lohn

Es sind nicht die einzigen Spuren des Kontakts mit der fernen Hochkultur Rom. Münzen haben die Archäologen gefunden und ein geprägtes Bronzeblech mit dem Gott Neptun darauf. "Diese Dinge können durch Handel hierher gekommen sein, direkt oder über Zwischenstationen. Es kann Beute gewesen sein - oder jemand war im Römischen Reich und hat das mitgebracht, zusammen mit bunten Geschichten, wie die Römer so leben", sagt Grabungsleiter Schlisio. Aber das sei erstmal reine Spekulation. Ebenso wie die Frage, mit welcher Bedeutung diese Dinge aus Rom in der germanischen Welt aufgeladen worden seien. "Aber irgendeine Art von Kontakt muss es gegeben haben, sonst wären diese Dinge nicht hier." Für die Menschen in dem namenlosen Dorf, dessen Spuren hier bei Lübeck im Boden liegen, war das mächtige Rom zwar weit weg. Aber es war dennoch immer irgendwie präsent. Und wer weiß, was noch an Spuren zum Vorschein kommen. Das künftige Gewerbegebiet ist erst zur Hälfte untersucht. Die Archäologen haben noch viel Arbeit vor sich.

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Dampflokomotive aus dem 19. Jahrhundert. © dpa - report Foto: Votava

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 11.09.2022 | 19:30 Uhr

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