Wird Schleswig-Holstein wieder zum Straßenbahn-Land?
Kiel soll wieder eine Straßenbahn bekommen. Das hat die Ratsversammlung am Donnerstag entschieden. Auch Flensburg und Lübeck diskutieren über eine Wiedereinführung der Straßenbahn. Doch in den Führungsetagen der dortigen Stadtverwaltungen ist man skeptisch.
Der Markt im Lübecker Stadtteil Schlutup ist ein beschaulicher Ort: Kopfsteinpflaster, alte Häuser, jeden Mittwoch ist Markttag. Und es ist einer der letzten Orte in der Hansestadt, an dem man noch heute die Schienen der alten Straßenbahn sieht. 1959 fuhr sie zum letzten Mal. Wie in vielen anderen Städten galt sie als altmodisch, unflexibel und als Hindernis für den zunehmenden Autoverkehr. In der Bundesrepublik der Nachkriegsjahrzehnte wurden viele Straßenbahnnetze dicht gemacht. In Flensburg rissen Arbeiter 1973 die Schienen aus den Straßen, Kiel stellte 1985 den Betrieb ein. Seitdem ist Schleswig-Holstein - neben Hamburg - das einzige Bundesland ohne Straßenbahn.
Klimabewegung bringt Straßenbahn-Diskussion in Schwung
In Kiel lief zuvor die Diskussion um eine neue Straßenbahn seit Jahrzehnten. Doch seit Fridays for Future werden auch in Flensburg und Lübeck die Pläne konkreter. Im Jahr 2020 beschloss der Flensburger Planungsausschuss eine Machbarkeitsstudie, in der untersucht werden sollte, ob sich eine Straßenbahn für Flensburg wieder lohnt. Doch bis heute hat die Stadtverwaltung offenbar nicht viel unternommen. Man bereite gerade die Ausschreibung der Studie vor, heißt es auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein. Wann die Studie fertig sein soll, sagt die Stadt nicht. In Lübeck dagegen macht die Stadtverwaltung Tempo. Anfang kommenden Jahres soll eine Potentialanalyse fertig sein, berichtet Bürgermeister Jan Lindenau (SPD). Die Politik hatte sie vor rund einem Jahr beschlossen.
Pro Straßenbahn: Elektrisch, höhere Kapazitäten, bei Fahrgästen beliebt
Die Straßenbahnbefürworter meinen: Ohne die Bahn klappt die Verkehrswende nicht. In Lübeck etwa hat die Bürgerschaft beschlossen, dass im Jahr 2040 in Lübeck 40 Prozent der Wegstrecken mit dem ÖPNV zurückgelegt werden sollen. Und auch Flensburg will, dass mehr Menschen Bus und Bahn fahren. "Wenn so viele Menschen den ÖPNV nutzen sollen, sind auch Gelenkbusse zu klein", meint Charlotte Stenzel vom Verein Tram für Lübeck. "In eine Straßenbahn passen viel mehr Leute." Außerdem hätten Studien gezeigt, dass die Menschen viel lieber mit Bahnen fahren als mit Bussen. Ein weiterer Pluspunkt: Die Bahnen fahren elektrisch und brauchen - anders als E-Busse - keine umweltschädlichen Batterien.
Contra: Hohe Kosten, lange Planungszeit, überall Baustellen
Zurückhaltend sind die Verwaltungschefs der beiden Städte. Fabian Geyer (parteilos), ab Mitte Januar kommenden Jahres Flensburgs Oberbürgermeister, will die Machbarkeitsstudie seiner Stadtverwaltung zwar abwarten, meint aber: Flensburg ist inzwischen eine für Autos optimierte Stadt. Die Straßenbahn wieder einzuführen, sei schwierig. Außerdem bemängelt er hohe Investitionskosten. Lübecks Bürgermeister Jan Lindenau stört sich vor allem an der langen Planungszeit einer Bahn. Er fürchtet außerdem verärgerte Autofahrerinnen und Autofahrer während der Bauphase. In seinen Wahlkampf zur Wiederwahl als Bürgermeister im kommenden Jahr jedenfalls will er wohl nicht für eine Straßenbahn werben.
Bessere Busverbindungen und S-Bahnen statt Straßenbahn?
Die Verwaltungschefs setzen stattdessen auf eine Verbesserung des Busverkehrs. Fabian Geyer aus Flensburg will vor allem die Anbindung an das Umland verbessern. Und Lübeck will die Busse beschleunigen und Takte verdichten. Über erste Maßnahmen entscheidet die Bürgerschaft in der kommenden Woche. Außerdem setzen die Bürgermeister auf Verbesserungen des Regionalverkehrs. Geyer wünscht sich mehr Bahnhaltepunkte auf Flensburger Stadtgebiet und Lindenau träumt sogar von einem Lübecker S-Bahn-Ring. Vorteil für die Bürgermeister: Verbesserungen bei Regional- und S-Bahn müsste vor allem das Land bezahlen - nicht die Städte.