Tarifstreit im privaten Busgewerbe: Bilanz nach fünftägigem Warnstreik

Stand: 28.10.2022 20:45 Uhr

Nachdem die Busse der privaten Betriebe fünf Tage lang still standen, hat die Gewerkschaft ver.di für die kommende Woche keine neuen Streiks angekündigt. Damit ist der Weg frei für ein neues Verhandlungstreffen. Dennoch sind die Fronten im Tarifkonflikt verhärtet. Das liegt nicht nur an der Inflation, erklärt ein Experte für Arbeitsrecht.

Ein fünftägiger Warnstreik direkt nach dem Ende der Herbstferien - damit wollte die Gewerkschaft ver.di in dieser Woche weiter Druck in den Tarifverhandlungen mit dem Omnisbusverband Nord (OVN) aufbauen. Bereits seit Monaten streiten beide Seiten um einen neuen Tarifvertrag. Die Arbeitgeber hatten zuletzt zwei Verhandlungstreffen abgesagt, weil ver.di zeitgleich zum Warnstreik aufgerufen hatte. Am kommenden Dienstag sollen die Gespräche nun fortgesetzt werden.

Streikende Busfahrer stehen im Halbkreis um einen Redner herum. © Screenshot
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Streik an Verhandlungstagen erlaubt

An Verhandlungstagen zu streiken, sei grundsätzlich erlaubt und auch das gute Recht der Gewerkschaften, erklärt Christopher Krois, Anwalt für Arbeitsrecht. Dennoch sei die Auseinandersetzung in dieser Form ungewöhnlich, so der Experte: "Dass man als Gewerkschaft ankündigt, an jedem Verhandlungstag streiken zu wollen, ganztägig und dann auch noch vor den Verhandlungsräumlichkeiten, das ist schon eine sehr harte Verhandlungstaktik und rechtlich zumindest eine Grauzone." Beide Seiten müssten sich nun wieder aufeinander zubewegen.

Positionen weit auseinander

Bisher liegen die Positionen aber weit auseinander. Das sei unter anderem mit der Inflation begründet, sagt Krois. Es sei verständlich, dass die Gewerkschaft höhere Löhne heraushandeln wolle, weil die Arbeitnehmer mit höheren Lebenskosten konfrontiert seien. Gleichzeitig treffe die Inflation auch die Unternehmen, die dann nicht noch zusätzlich ihre Personalkosten erhöhen wollten.

Ver.di fordert unter anderem eine Erhöhung der Tarife von 1,95 Euro pro Stunde bei einer Laufzeit des Tarifvertrages von zwölf Monaten, weitere 1,95 Euro mehr für Werkstattmitarbeiter sowie die Übernahme des Jahresbeitrages einer Solidarkasse der Arbeitnehmerschaft. Der Omnibusverband Nord hat neben 300 Euro Inflationszuschuss bei einer Laufzeit von 30 Monaten eine Lohnerhöhung von 3,5 Prozent zum 1. Oktober angeboten, eine Erhöhung von 2 Prozent zum 1. Oktober 2023 sowie eine weitere Erhöhung zum 1. Oktober 2024.

Anwalt: Gewerkschaften wollen sichtbar sein

Außerdem beeinflusse auch die Verkehrspolitik des Bundes die Verhandlungen, meint Krois. Parallel beraten Bund und Länder nämlich über die Finanzierung des 49-Euro-Tickets, dabei geht es auch darum, wie viel Geld die Länder künftig für den Ausbau des ÖPNV zur Verfügung haben.

Laut Arbeitsrechtler Krois spielt aber auch die Mitgliedsentwicklung der Gewerkschaften eine Rolle. Im Pandemiejahr 2020 hätten Gewerkschaften fast 50.000 Mitglieder verloren. "Und vor dem Hintergrund kann man, glaube ich, nachvollziehen, wenn eine Gewerkschaft als Sieger auftreten will und von der Arbeitgeberseite stärker wahrgenommen werden möchte."

Bei den Streiks habe ver.di im Übrigen geradezu lehrbuchmäßig agiert, erklärt der Experte. "Sie haben angefangen mit kurzen Warnstreiks, dann hat man sehr frühzeitig angekündigt, dass man streikt, dann gab es einen ersten fünftägigen Warnstreik, den hat man noch in der Ferienzeit durchgeführt und dann mit wiederum mit sehr langer Ankündigungsfrist nach den Schulferien." Die Gewerkschaft wolle sich offenbar nicht vorwerfen lassen, in einem sensiblen Bereich wie der Schülerbeförderung den Arbeitskampf zu früh eskaliert zu haben.

Ver.di: Arbeitgeber haben Streik verursacht

Das betont auch ver.di-Verhandlungsführer Frank Schischefsky. "Wir wissen, dass es schwierig ist für manche Menschen in ländlichen Regionen, aber das geht nicht anders." Die Kritik müsse aber an die Arbeitgeber gerichtet werden. Sie hätten den Streik ausgelöst, so Schischefsky. Aus Sicht der Gewerkschaft war der Warnstreik ein Erfolg, man habe zeigen können, wie wichtig der ÖPNV sei. Mit der Ankündigung, die kommende Woche streikfrei zu halten, habe die Gewerkschaft eine Tür aufgemacht, sagt Schischefsky. "Wir erwarten jetzt von den Arbeitgebern, dass sie durch diese Tür gehen und mit einem vernünftigen Angebot unterm Arm da sitzen." Dennoch wolle sich die Gewerkschaft nicht von den Arbeitgebern vorschreiben lassen, wann gestreikt wird.

Arbeitgeber: Wollen besseres Angebot vorlegen

Nach Meinung der Arbeitgeber haben die bisherigen Streiks nichts gebracht. "Man hätte ja auch verhandeln können und dann am nächsten Tag streiken, wenn einem das Ergebnis nicht passt", findet OVN-Geschäftsführer Joachim Schack. Er kritisierte, dass ver.di nur Maximalforderungen stelle. Seinen Angaben zufolge wolle die Arbeitgeberseite am Verhandlungstreffen nochmal ein verbessertes Angebot vorlegen.

Auch Anwalt Christopher Krois ist zuversichtlich, dass beide Seite wieder zueinander finden. Eine finalen Tarifabschluss werde es zwar in der kommenden Woche vermutlich noch nicht geben, er könne sich aber vorstellen, dass man sich in einem weiteren Treffen einigen könne.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 28.10.2022 | 19:30 Uhr

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