Stutthof: Ein Prozess, der nachhängt
Vor dem Itzehoer Landgericht ist am Dienstag das Urteil gegen eine ehemalige KZ-Sekretärin gefallen. Wir blicken auf den letzten Tag eines historischen Prozesses.
Wirklich einladend ist die Außenstelle des Landgericht Itzehoes (Kreis Steinburg) nicht: Grau hängen die Wolken über dem Gelände des Logistikunternehmens, das als Verhandlungsort für den sogenannten Stutthof-Prozess dient. Trotzdem finden sich ab etwa kurz vor neun immer mehr Menschen vor dem Drehtor ein, um bei der Urteilsverkündung gegen die 97-Jährige dabei sein zu können. Darunter zahlreiche Kamerateams, Journalistinnen und Journalisten, nicht nur aus Deutschland, sondern beispielsweise auch aus Großbritannien. Und auch viele Privatleute: Prozessbeobachter, die schon bei einigen Verhandlungsterminen dabei waren und auch eine Gruppe von jungen Rechtsreferendaren aus Itzehoe.
Fast alle Plätze besetzt
Am Ende sind es so viele, dass im Zuschauer- und Pressebereich im Verhandlungssaal kaum noch einer der insgesamt knapp 100 Plätze frei ist. Abgetrennt durch eine Plexiglasscheibe sehen sie, wie um etwa 10 Uhr zunächst die ersten Vertreterinnen und Vertreter der Nebenklage ihre Plätze einnehmen, dann die Staatsanwältin und die beiden Verteidiger. Und sie sehen, wie auch Irmgard F. ein letztes Mal in ihrem Rollstuhl sitzend in den Verhandlungssaal geschoben wird. Von ihrem Gesicht ist dabei nicht viel zu erkennen. Sie trägt einen weißen Hut, eine Brille und eine FFP2-Maske.
Doch nicht ihr Auftritt, sondern erst die Durchsage "Bitte alle eintreten" sorgt dafür, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer zur Ruhe kommen. Wenig später erheben sich alle, als die Richter um Dominik Groß den Saal betreten. Von diesen Momenten dürfen Fotografen und Kameraleute noch Aufnahmen machen - vor der Plexiglasscheibe herrscht Gewusel - dann müssen sie den Saal verlassen. Erwartungsvolle Anspannung auf das Urteil macht sich breit, das Richter Groß nach über 14 Monaten Prozess gleich sprechen wird: Schuldig wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 10.000 Fällen. Zwei Jahre Jugendstrafe auf Bewährung. Im Saal bleibt es ruhig. Dann verliest Groß etwa eine Stunde lang die Urteilsbegründung. Im Saal herrscht weiter Stille, sowohl bei den Zuschauerinnen und Zuschauern als auch bei den zahlreichen Nebenklagevertreterinnen und -vertretern, die an fünf Tischreihen auf der rechten Saalseite sitzen.
Irmgard F. hört konzentriert aber regungslos zu
Auch Irmgard F. zeigt kaum eine Regung. Ihre Maske setzt sie zwischendurch ab. Aber aus ihrem Gesicht lässt sich nicht ablesen, was sie denkt oder fühlt. Konzentriert, aber regungslos hört sie zu. Ins Gefängnis muss sie nicht. Sie muss das Gericht in den kommenden zwei Jahren aber über jeden Wohnortswechsel informieren und muss straffrei bleiben. Hat sie dieses Urteil erwartet? Das weiß wohl nur sie selbst.
Dann beendet Richter Groß die Urteilsbegründung und damit die Hauptverhandlung in diesem historischen Prozess. Der Startschuss für das wieder trubelige Treiben der Journalistinnen und Journalisten. Die Kameraleute und Fotografen sind zurück im Saal. Es ist Zeit Anwälte, Staatsanwältin und Nebenklagevertreterinnen und -vertreter zu interviewen. Was denken Sie über das Urteil, wie ordnen sie es ein? Sind sie zufrieden?.
Für die Journalistinnen und Journalisten kommt jetzt der Hauptteil ihres Arbeitstages: Fernseh- und Radioliveschalten, Texte schreiben für Online-Seiten und Zeitungen.
Währenddessen können die Prozessbeobachter, die privat da waren, das Gelände wieder verlassen. Aber egal ob aus beruflichen oder privaten Gründen: Das Urteil und der gesamte Prozess wird wohl allen noch nachhängen.