"Praxis ohne Plastik" für ein nachhaltiges Gesundheitswesen

Stand: 04.12.2022 07:10 Uhr

Plastik findet man überall auf der Welt. Auch in Arztpraxen fällt viel Kunststoffabfall an. Aus Sicht von Nora Stroetzel muss das nicht so sein. Sie setzt sich mit ihrem Start-up "Praxis ohne Plastik" in Kiel für Nachhaltigkeit in Arztpraxen ein.

von Kai Peuckert

Nora Stroetzel sitzt an ihrem Schreibtisch in der sogenannten Starterskitchen im Kieler Wissenschaftspark. Die anderen Schreibtische im Großraumbüro des Coworking-Space für Start-up-Unternehmen lassen technische Themen vermuten. Doch Stroetzel hat sich mit ihrem Unternehmen "Praxis ohne Plastik" die Nachhaltigkeit in Arztpraxen zur Aufgabe gemacht. "Am Anfang haben wir direkt mit Praxen gesprochen und haben gefragt, was denn überhaupt verbessert werden kann. Und haben festgestellt, dass bei den Leuten das Interesse sehr, sehr groß ist", sagt die Gründerin. Allerdings hätten die meisten Ärzte im Arbeitsalltag zwischen Patientenversorgung und Bürokratie einfach keine Zeit, um sich nach Alternativen umzusehen.

Online-Shop für nachhaltige Medizinprodukte

Also machte sich Stroetzel mit ihrem Mitstreiter Nicolai Niethe auf die Suche nach nachhaltigen Medizinprodukten, um einen Online-Shop zu eröffnen, damit die Ärzte eine verlässliche Anlaufstelle haben. Komplett ohne Plastik geht es in den Praxen nicht. Gerade bei Produkten, die steril sein müssen, ist es sehr schwer auf Kunststoffverpackungen zu verzichten. Bei nicht-sterilen Produkten sei das hingeben nicht nötig, so Stroetzel. Ein Beispiel: "Auflagen für Patientenliegen aus Recyclingpapier sind bei manchen Herstellern noch in Plastik eingeschweißt. Und da sprechen wir dann mit den Herstellern und fragen nach, ob wir das auch einfach in der Kartonverpackung bekommen können."

Gummihandschuh ist nicht gleich Gummihandschuh

Seit einigen Wochen ist der Shop endlich online. Und die Liste der Produkte ist lang. Plastikbecher können einfach durch eine Glas- oder Edelstahl-Alternative ersetzt werden. So offensichtlich ist es nicht immer. Viele Arztkittel haben einen Polyesteranteil, es gibt aber auch welche aus 100 Prozent Baumwolle. Und bei Gummihandschuhen gibt es Unterschiede, erklärt Stroetzel: "Die Firma hat darauf geachtet, dass sie im Herstellungsprozess ihre Schritte so optimiert haben, dass weniger Energie und weniger Wasser verbraucht werden. Und so können sie insgesamt ihren CO2-Fußabdruck minimieren."

Bis zu 30 Prozent teurer seien die nachhaltigen Produkte im Shop im Vergleich zu Kunststoff-Varianten. Es gebe aber auch umweltfreundliche Alternativen ohne Mehrkosten für die Ärzte, sagt Stroetzel.

Workshops für Praxis-Teams

"Praxis ohne Plastik" ist aber mehr als ein Online-Shop. "Ein Ärzte-Netz aus der Region hat uns angesprochen und gesagt, sie würden gerne einen Workshop mit uns organisieren." Seitdem berät Stroetzel neben der Arbeit an der Online-Plattform auch Praxis-Teams. Gerade die Personen, die das Behandlungszimmer vor- und nachbereiten, seien dankbar für Anleitungen, etwas zu ändern. "Da fällt einfach häufig sehr, sehr viel Müll an, den sie dann ja auch wieder wegschmeißen müssen. Und wenn das jemand ist, der sich privat auch schon mit Nachhaltigkeit auseinandersetzt, dann fehlen denen häufig nur die Möglichkeiten, etwas zu ändern." Außerdem sei ein 90-minütiger Workshop als Teamevent angelegt, das zusammenschweißt, sagt Stroetzel.

Ganze Praxis im Blick

Neben den Workshops berät sie aber auch Praxen direkt - zum Beispiel den Kieler Zahnarzt Klaas Köppe. Sie besichtigt in der Praxis alle Räume, fragt nach den aktuellen Gas- und Stromtarifen. Auch im Wartezimmer lasse sich Plastik sparen. Wenn man den Patienten dort Wasser anbiete, könne man das mit Glasbehältern und Gläsern machen, dafür brauche man keine Einweg-Becher aus Kunststoff oder Papier. Die sucht Stroetzel bei Köppe aber auch vergeblich. Der Zahnarzt achtet bereits auf Nachhaltigkeit, hat im Praxisalltag aber keine Zeit seine Bemühungen zu intensivieren. Deshalb will er sich beraten lassen.

Idee auf Zahnarztstuhl

Eine Frau sitzt an einem Schreibtisch mit vielen Utensilien und blickt  in die Kamera mit einem dezenten Lächeln. © NDR
Nora Stroetzel will Praxen helfen, weniger Plastikmüll zu verursachen.

Stroetzel hat sich privat schon länger mit dem Thema beschäftigt, auf einer Reise während einer beruflichen Auszeit ist ihr das Ausmaß der Plastikverschmutzung richtig bewusst geworden, sagt sie. Die Idee zu dem Start-up ist ihr dann nach der Rückkehr auf einem Zahnarztstuhl gekommen: "Mein Zahnarzt damals hat noch Plastikbecher gehabt und ich habe gedacht, dass das doch wirklich etwas ist, wo wir auf Plastik verzichten können." Denn nach zehn Sekunden Mund ausspülen wurde der Becher bereits weggeworfen.

Zahnbürsten: Bambus statt Plastik

Stroetzel fällt allerdings auf, dass es in der Praxis Einmal-Plastikzahnbürsten für Patienten gibt, damit sie sich die Zähne vor der Behandlung putzen können. Dafür gebe es auch Bambus-Alternativen. Das größte Müllberg entsteht laut Zahnarzt Köppe beim Transport: "Häufig kommt ein kleines Teil in einem Riesenkarton mit fünf Umverpackungen." Zum Teil aus Hygiene-Gründen, aber es gebe Bereiche, in denen das nicht nötig sei. "Nur wenn ich als kleiner Zahnarzt da auf die Industrie zugehe, interessiert sie es meistens nicht besonders", sagt Köppe.

Verpackung wichtig für Nachhaltigkeit

Ein Aspekt, der auch dem "Praxis ohne Plastik"-Team bereits aufgefallen ist und bei den Produkten im Shop eine große Rolle spielt. Ausschlaggebend sei natürlich die CE-Zertifizierung, "dass sie auch als Medizinprodukt zugelassen sind". Zusätzlich recherchieren sie auf den Seiten der Hersteller und suchen das direkte Gespräch, wie der Versand erfolgt. "Wenn das nachhaltige Produkt hinterher trotzdem noch mal in Plastik eingeschweißt ist - doppelt und dreifach - und dann in einem riesengroßen Karton kommt, dann haben wir da wieder ganz viel verloren", schlägt die studierte Ingenieurin Stroetzel in dieselbe Kerbe.

Zahnarzt hofft auf Veränderung durch Marktmacht

Daher hofft Zahnarzt Köppe, dass sich durch "Praxis ohne Plastik" etwas verändern kann, "weil die sich eben rund um die Uhr damit beschäftigen, während ich mich hauptsächlich um die Zähne meiner Patienten zu kümmern habe. Und da können sie dann vielleicht auch mehr bewirken." An die Idee glaubt auch die Wirtschaftsförderung Schleswig-Holstein - sie unterstützt das Start-up mit einem Gründerstipendium finanziell.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 07.12.2022 | 19:30 Uhr

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