Nord-Stream-Lecks: Diese Versorgungsleitungen landen in SH

Stand: 29.09.2022 20:20 Uhr

An den Nord-Stream-Pipelines ist ein weiteres Leck entdeckt worden. Das schürt Sorgen um andere Versorgungsleitungen. An der Nord- und Ostseeküste landen zwar keine Gas-Pipelines, aber mehrere wichtige Kabel für Strom und Datenverkehr

Die schwedische Küstenwache hat nach eigenen Angaben in dieser Woche ein weiteres Leck in den Nord-Stream-Pipelines entdeckt. Es ist das insgesamt vierte. Zwei befinden sich in dänischen, zwei in schwedischen Hoheitsgebieten. Die Europäische Union geht von Sabotage als Ursache für die Risse aus.

Drei transatlantische Verbindungen führen nach Sylt

Angesichts dessen wächst die Sorge, dass auch andere Versorgungsleitungen in Deutschland Ziel solcher Angriffe sein könnten. An der Nord- und Ostseeküste von Schleswig-Holstein landen zwar keine Gasleitungen an, allerdings mehrere wichtige Kabel für Strom und Datenverkehr. So kommen zum Beispiel auf Sylt drei transatlantische Verbindungen an: Einmal das Datenkabel "Atlantic Crossing", das nördlich an Schottland vorbei direkt bis in den Raum New York führt. Zu diesem Kabel gibt es auch noch einen zweiten Strang nach Sylt, der aber zwischendurch, etwa in den Niederlanden, schon mit dem Festland verbunden ist. Außerdem landet auf Sylt das Telekommunikationskabel "Cantat", das Richtung Kanada führt und inzwischen der Anbindung von Ölplattformen dient. In Sachen Strom sind mehrere Offshore-Windparks über Brunsbüttel (Kreis Dithmarschen) und Wilster (Kreis Steinburg) angebunden. Außerdem verläuft das Seekabel Nordlink durch die Nordsee nach Norwegen. An der Ostsee führt ein Kabel von Lübeck aus nach Vellinge in Schweden, über das Schleswig-Holstein hauptsächlich schwedischen Strom importiert.

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Eine Karte zeigt den Verlauf von Gasleitungen in Nordeuropa. © OpenStreetMap contributers/OpenInfraMap/MapTiler/

Versorgungsleitungen für Strom, Daten und Gas

Hier finden Sie eine Übersichtskarte der Strom-, Gas-, Öl- und Telekommunikationsinfrastruktur rund um Schleswig-Holstein. extern

Leitungen im Meer sind schwer zu schützen

Strom-, Gas- oder Datenleitungen im Meer zu schützen, sei nur bedingt möglich, meint der Leiter der Abteilung maritime Sicherheit und Strategie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), Johannes Peters: "Allein schon aufgrund der großen Entfernung ist es nicht möglich solche Infrastruktur in der gesamten Länge zu schützen", so der Forscher. Dennoch gibt es Möglichkeiten, zum Beispiel Entfernungsmelder, also Sensoren, die melden, wenn sich Objekte einer Leitung nähern. Generell beklagt Peters, das Bewusstsein, solche Infrastruktur zu schützen, sei bisher nicht ausreichend vorhanden gewesen. Schwierig sei auch, dass die Verantwortung dafür bei den Betreibern der Leitungen liege. Die äußern sich zunächst nur zurückhaltend. Der Sprecher des Stromnetzbetreiber Tennet, Matthias Fischer, sagte: "Um eben jene Systeme und Infrastrukturen bestmöglich zu schützen, machen wir grundsätzlich keine Angaben zu den von uns ergriffenen Sicherheitsvorkehrungen."

Gasversorgung über Festland und Norwegen

Auch zu den Auswirkungen eines möglichen Angriffs geben die Betreiber nur vorsichtige Einschätzungen. "Als Betreiber kritischer Infrastrukturen nehmen wir die Gefahr von Angriffen auf unsere physischen und digitalen Systeme und Anlagen grundsätzlich sehr ernst", teilte Matthias Fischer von Tennet mit. Man arbeite eng mit den Sicherheitsbehörden zusammen.

Würde eines der Datenkabel über den Atlantik ausfallen, wäre das wohl verkraftbar, denn es gibt insgesamt mehr als ein Dutzend. Die Offshore-Windparks liefern ohnehin nicht durchgehend Strom. Fallen sie längerfristig aus, müssten die Energiemengen ersetzt werden, zum Beispiel mit Kohlestrom.

An Gasleitungen ist Schleswig-Holstein über das Festland angebunden. Eine leistungsfähige Nord-Süd-Pipeline führt vom Hamburger Raum nach Dänemark, vor wenigen Jahren wurde sie verstärkt. Die wichtigen Lieferungen aus Norwegen erreichen Deutschland über mehrere Pipelines, die aus der Gegend bei Stavanger an der norwegischen Westküste quer über die Förderstätten mitten in der Nordsee nach Ostfriesland und in die Niederlande gehen. In Norwegen wurden allerdings zuletzt verstärkt Drohnen vor der Küste beobachtet.

Kieler Sicherheitsexperte vermutet Russland hinter den Lecks

Unklar ist weiterhin, was zu den Schäden an den Nord--Stream-Leitungen geführt hat. An ein Unglück glaubt auch Johannes Peters von der CAU nicht. "Das Ausmaß und auch die Tatsache, dass in sehr enger zeitlicher Abfolge an diesen Pipelines massive Schäden aufgetreten sind, dann ist es doch relativ unwahrscheinlich, dass es sich um einen Unfall handelt", sagte er im ARD-Morgenmagazin.

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Das Bild zeigt ein kleines Gasleck bei Nord Stream 2 in der Ostsee, fotografiert aus einem Flugzeug der schwedischen Küstenwache. An den Nord-Stream-Gasleitungen in der Ostsee gibt es insgesamt vier statt wie bisher bekannt drei Lecks. © Swedish Coast Guard/dpa Foto: Swedish Coast Guard/dpa

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Inzwischen gibt es mehrere Spekulationen, wer die Schäden an den Gasleitungen verursacht haben könnte. Weniger wahrscheinlich ist laut Peters, dass die USA die Lecks verursacht haben, um zu verhindern, dass Europa sein Gas wieder aus Russland bezieht. Für viel wahrscheinlicher hält es der Experte, dass Russland für die Schäden verantwortlich ist. Das könnte mehrere Gründe haben: "Einer ist sicherlich, dass Russland jetzt ein starkes Signal senden kann, vor allem an Deutschland und Polen, zu zeigen: Was wir mit derzeit nicht in Betrieb befindlichen Pipelines tun können, das können wir auch mit Pipelines tun, die für eure Versorgungssicherheit deutlich wichtiger sind - nämlich die Pipelines aus Norwegen", erklärt der Experte. Außerdem könnte Russland die Schäden an den Pipelines dafür nutzen, die Inbetriebnahme von Nord-Stream 2 zu erzwingen. Damit über diese Leitung Gas geliefert werden könnte, müsste Deutschland sie laut Peters erst zertifizieren und die Sanktionen gegen Russland fallen lassen.

Umweltverbände in Sorge

Das Verteidigungsministerium kündigte am Mittwoch an, dass die Bundesmarine beim Klären der Umstände helfen werde. Das Kieler GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung habe bislang noch keine Anfrage von staatlichen Stellen erhalten, mit Forschungs-Tauchbooten die Lecks zu begutachten, sagte eine Sprecherin am Mittwoch.

Während die Aufklärung läuft, wächst bei Umweltverbänden die Sorge um die Auswirkungen der Gaslecks. Denn aus den Rissen steigt Methan an die Wasseroberfläche der Ostsee. Das ist 25 mal schädlicher als CO2. Wenn Explosionen zu den Schäden geführt haben, könnten die Druckwellen tausende Fische getötet haben. Außerdem könnten in den kommenden Wochen dutzende verendete Schweinswale an die Ostseestrände gespült werden. Das Gas, das sich in den Pipelines befindet, wird noch tagelang ausströmen.

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NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 29.09.2022 | 17:00 Uhr

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