Mit "Helfenden Händen" gegen den Fachkräftemangel in Kitas

Stand: 09.11.2022 14:41 Uhr

Kindertagesstätten müssen immer wieder Gruppen schließen oder die Betreuungszeiten kürzen, weil Fachkräfte fehlen. Die Stadt Kiel hat deshalb die Kitas für Ungelernte geöffnet - ein Projekt, das nun landesweit Schule machen soll.

von Kai Peuckert

Es ist Nachmittag in der Kindertageseinrichtung Buschblick in Kiel-Pries. Erzieherin Janett Pakula baut mit einigen der Kinder im Elementarbereich Türme aus Bauklötzen - kindshoch sind die inzwischen. Auf der anderen Seite des Raumes sitzen einige Kinder auf dem Boden und spielen mit Mahnaz Sayyar "Obstgarten" - ein Brettspiel, bei dem sie das Obst vor dem bösen Raben in Sicherheit bringen müssen. Eine erzieherische Ausbildung hat die gebürtige Iranerin nicht. Sie ist eine sogenannte "Helfende Hand" und unterstützt die Fachkräfte im Arbeitsalltag. "Ich liebe die Kinder", sagt Sayyar.

Betreuunugsangebot in Kitas trotz Corona aufrechterhalten

Renate Treutel (Grüne) ist seit Mai 2014 Stadträtin und seit November 2018 Bürgermeisterin der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel. © IMAGO / penofoto
Renate Treutel (Grüne) ist Stadträtin für Bildung, Jugend, Kultur und Kreative Stadt und seit 2018 Kiels Bürgermeisterin.

Die Idee der "Helfenden Hände" hatte Renate Treutel (Grüne), Bürgermeisterin der Stadt Kiel und Stadträtin für Bildung. Im Jahr 2020 war die Personalsituation in den städtischen Kindertagesstätten extrem angespannt, Corona und die üblichen anderen Erkältungskrankheiten führten zu vielen Ausfällen. Um das Betreuungsangebot aufrechtzuerhalten, musste die Stadt sich etwas ausdenken. "Unsere Idee war, dass es viele Menschen im Umfeld einer Kita gibt, die in der Kita schon sehr gut bekannt sind", sagte Treutel und dachte dabei an Lesepaten, Sprach- und Kulturmittler: "Wir haben die Kitas gebeten, doch einfach diesen Personenkreis einmal anzusprechen, ob sie sich vorstellen können, als "Helfende Hand" zu unterstützen."

200 "Helfende Hände" in Kiel unterwegs

Jede städtische Kita in der Landeshauptstadt, in der die Personaldecke dünn ist, kann "Helfende Hände" auf Stundenbasis einstellen. "Wir finanzieren das aus Mitteln von Planstellen, die nicht besetzt sind. Dadurch haben wir einen finanziellen Puffer", so Treutel. Die meisten Hilfskräfte arbeiten nicht Vollzeit, 65 Planstellen verteilen sich im Rahmen des Projektes auf 200 Personen.

Ohne die Zustimmung des Landes wäre es aber nicht möglich, ausbildungslos in einem Kindergarten mitzuarbeiten. Denn Mahnaz Sayyer und die anderen "Helfenden Hände" dürfen nicht alle Aufgaben in der Einrichtung ausführen - da gibt es klare Grenzen, sagt Bianca Sperling, Leiterin der Kindertageseinrichtung Buschblick: "Also wir haben ganz viele pädagogische Themen, die auch wirklich von den pädagogischen Fachkräften übernommen werden und nicht von der "Helfenden Hand"." Dazu zählen besonders sensible Situationen wie das Wickeln, die Eingewöhnung oder Elterngespräche. Diese klare Abgrenzung führe auch dazu, dass sich die ausgebildeten Teammitglieder nicht entwertet fühlten, da klar zu erkennen sei, dass viele pädagogische Aufgaben weiterhin nur zu ihrem Tätigkeitsgebiet zählten, so die Leiterin.

Mit Leidenschaft Kita-Lotsin und "Helfende Hand"

Die gebürtige Iranerin Mahnaz Sayyar hilft beim Essen. © SH-Magazin Foto: Kai Peuckert
In ihrem Heimatland Iran hat Mahnaz Sayyar den Studiengang "Allgemeine Hygiene" studiert.

Im Gruppenraum wird inzwischen gesungen. "Ich geh' mit meiner Laterne", singen die Kinder und mit ihnen Mahnaz Sayyer. Sie arbeitet bereits seit 2017 als Kita-Lotsin für zehn Stunden die Woche in der Einrichtung. Sie hilft dabei als Sprachmittlerin Sprachbarrieren zu überwinden. Sie spricht Persisch, Dari, Kurdisch und Arabisch, außerdem ein wenig Spanisch und Englisch. Vor mehr als 20 Jahren ist sie nach Deutschland gekommen, hat im Gesundheitsamt und als Übersetzerin gearbeitet, erklärt sie. Aber sie wollte mit Kindern arbeiten. Seit September ist sie zusätzlich eine "Helfende Hand" - für 15 Wochenstunden. Die Kolleginnen und Kollegen sowie die Kita-Leitung schätzen ihren Einsatz und ihre Übersicht: "Mahnaz merkt einfach, wenn eine Fachkraft gerade Unterstützung braucht - wenn zum Beispiel im Rollenspielbereich jemand alleine ist oder eine Fachkraft alleine mit 18 Kindern essen geht."

Von der "Helfenden Hand" in die Ausbildung

Das Projekt hat einen weiteren positiven Nebeneffekt. Es gibt immer wieder Interessierte, die sich vorstellen könnten, in dem Kita-Bereich eine Ausbildung zu machen. Sie wollen die Möglichkeit nutzen, in den Beruf hineinzuschnuppern, um erste Erfahrungen zu sammeln. "Die "Helfenden Hände" führen bei uns nicht nur zur Entspannung im Kita-Alltag, sondern wir erleben jetzt, das von 200 Personen schon zehn Personen in der Ausbildung angekommen sind, weil ihnen das so viel Freude bereitet hat", sagt Bilungsstadträtin Treutel.

Auch bei den Eltern kommen die unterstützenden Kräfte gut an, berichtet Sperling. "Die Familien waren sehr aufgeschlossen den "Helfenden Händen" gegenüber, weil sie einfach gemerkt haben, es ist noch eine Person zusätzlich für ihre Kinder da, die den Alltag begleitet", so die Kita-Leiterin.

Landesregierung will "Helfende Hände" landesweit fördern

Der Mangel an Erzieherinnen und Erziehern beschäftigt aber nicht nur die Stadt Kiel. Auch die Landesregierung versucht, die Personalsituation zu verbessern - und ist dabei auch auf das Kieler Modell aufmerksam geworden. Noch im November will die Regierungskoalition aus CDU und Grünen mit einer Änderung des Kindertagesförderungsgesetzes (KitaG) landesweit den Weg für "Helfende Hände" frei machen, denn bisher dürfen Ungelernte nur in genehmigten Projekten im Kita-Alltag mitarbeiten. Eine entsprechende Formulierungshilfe haben die Parteien in dieser Woche bereits ausgearbeitet.

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Stadt Kiel will Projekt verlängern

In der Kita in Kiel-Pries gibt es inzwischen den Nachmittagssnack. Mahnaz Sayyar ist es wichtig, dass es dabei gesund zugeht. Daher bekommen die Kinder auch Obst und Gemüse. Die gebürtige Iranerin hat noch einen Vertrag als "Helfende Hand" bis Ende des Jahres. Sie würde auch danach gerne weiterarbeiten. Doch eigentlich läuft das städtische Projekt dann aus. Renate Treutel widerspricht: "Wir haben uns gerade aktuell dafür entschieden, dieses Projekt weiterlaufen zu lassen." Es führe nicht nur zu Entspannung im Kita-Alltag, sondern sei auch ein Baustein gegen den Fachkräftemangel. Da es bald auch zusätzlich Geld vom Land geben könnte, stehen die Chancen für Mahnaz Sayyar recht gut, dass sie auch weiterhin eine "Helfende Hand" in der Kindertageseinrichtung Buschblick bleiben kann.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 09.11.2022 | 19:30 Uhr

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Kinderbetreuung

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