Warntag 2023: Schleswig-Holstein probt den Ernstfall

Stand: 14.09.2023 12:38 Uhr

Beim bundesweiten Warntag haben Bund, Länder und Kommunen heute ihre Alarmsysteme getestet - etwa Warn-Apps und den Mobilfunkdienst Cell Broadcast. Sirenen waren in SH kaum zu hören - wieder einmal. Der Ausbau der Anlagen stockt.

von Friederike Schneider

Heute sollten wieder Handys lautstark klingeln, Warn-Apps Alarm schlagen und Warnmeldungen im Radio und Fernsehen laufen. Am bundesweiten Warntag wurden zeitgleich um 11 Uhr vormittags verschiedene Systeme getestet. Konkret löste das Bundesamt für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz (BBK) das sogenannte Modulare Warnsystem (MoWaS) aus. Daran sind zum Beispiel Rundfunk- und Fernsehsender angeschlossen, außerdem Warn-Apps wie NINA, Katwarn und BIWAPP sowie der Mobilfunkdienst Cell Broadcast. Auch auf digitalen Anzeigetafeln erschienen Test-Warnmeldungen. Eine Dreiviertelstunde später wurde Entwarnung gesendet. "Die Menschen sollen einfach darauf aufmerksam gemacht werden, dass wir ein Warnsystem haben und sich damit auseinandersetzen", sagt Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU).

Innenministerin: Vorbereiten und informieren

Beim Warntag gehe es demnach nicht nur darum, die Technik an sich zu überprüfen, sondern auch so viele Menschen wie möglich zu erreichen. "Das geht am besten, wenn die Menschen mitmachen", sagte Sütterlin-Waack. Dazu gehört zum Beispiel, die aktuelle Software auf dem Mobiltelefon zu haben oder sich im Vorfeld mit der Funktionsweise von Warn-Apps auseinanderzusetzen. Sirenen seien schon früher regelmäßig getestet worden, das sei bei Bevölkerung bekannt, so Sütterlin-Waack - mit den digitalen Mitteln müsse dagegen mehr geübt werden.

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Beim bundesweiten Warntag werden Testmeldungen gesendet. Bürgerinnen und Bürger müssen also nichts tun.

Cell Broadcast nur auf Handys mit neueren Betriebssystemen

Eine wichtige Rolle bei den digitalen Warnmitteln spielt seit diesem Jahr der Mobilfunkdienst Cell Broadcast. Anders als bei Warn-Apps wie NINA muss dafür keine Anwendung auf dem Smartphone installiert werden. Die Warnmeldungen werden direkt an die Geräte gesendet - ähnlich wie eine SMS, allerdings nicht an die Telefonnummer, sondern über die Mobilfunknetze an alle Handys in einer bestimmten Funkzelle.

Es musste allerdings bei Android-Betriebssystemen mindestens Version 11 installiert sein, bei Apple mindestens iOS 16.1 (ab iPhone 6s). Beide Betriebssysteme sind schon länger auf dem Markt, wer sein Telefon in diesem Jahr schon einmal aktualisiert hat, dürfte eine der kompatiblen Versionen haben. Das BBK listet auf seiner Internetseite auch alle Geräte auf, die grundsätzlich Cell Broadcast-Mitteilungen empfangen können. Damit die Benachrichtigung ankommt, durfte das Handy außerdem nicht ausgeschaltet oder im Flugmodus sein.

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Bei den Meldungen gibt drei Gefahrenstufen. Während bei neueren Smartphones Warnungen der Stufen 2 (Gefahrenmitteilung, z.B. giftige Rauchwolke, Fenster und Türen geschlossen halten) und 3 (Gefahreninformation, z.B. Trinkwasser sollte nach einem Rohrbruch abgekocht werden) unterdrückt werden können, kann die höchste Stufe 1 (extreme Gefahr, z.B. Sturmflut, Amoklauf), die auch beim bundesweiten Warntag versandt wird, nicht abgestellt werden. Weitere Informationen über Cell Broadcast gibt es auf den Seiten des BBK.

Cell Broadcast beim bundesweiten Warntag 2022 effektiv

Beim vorangegangenen Warntag im Dezember 2022 wurde das System erstmals in Deutschland getestet - und erwies sich in einer Umfrage gleich als das Warnmittel, über das die Menschen am häufigsten Meldungen erhielten. Deutschlandweit wurden 53,7 Prozent der Befragten über Cell Broadcast erreicht. Das Innenministerium Schleswig-Holstein rechnete in diesem Jahr mit einem ähnlichen Wert. Das BBK erwartete, dass sogar mehr Menschen erreicht werden können, weil mehr neue Geräte im Umlauf seien als im Vorjahr. Außerdem seien durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit möglicherweise mehr Menschen sensibilisiert, ihr Handy eingeschaltet und die Software aktualisiert zu haben.

Bei niedrigen Gefahrenstufen wird in SH nicht über Cell Broadcast gewarnt

Nach dem Test 2022 wurde Cell Broadcast am 23. Februar 2023 offiziell eingeführt und wird seitdem auch regulär bei Gefahrenmeldungen genutzt. Laut BBK entscheiden im Alltag die diensthabenden Mitarbeitenden in den Leitstellen, ob und wann gewarnt werden soll, in welchem Gebiet und über welche Kanäle. Bisher ist das nach Angaben des Netzbetreibers Vodafone acht Mal über Cell Broadcast passiert - offenbar aber nicht immer geplant: "Nach der Einführung von Cell Broadcast musste von den Leitstellen die Auslösung von Cell Broadcast aktiv abgewählt werden", teilte das Innenministerium mit. "Dies wurde häufig übersehen, so dass vier bis fünf Mal in Warnstufe 3 über Cell Broadcast vor Brandrauchgasen gewarnt wurde." Die Nutzung von Cell Broadcast in Warnstufe 3 sei inzwischen untersagt worden.

Warum in Schleswig-Holstein am Warntag nicht überall Sirenen heulten

Klassische Sirenen wurden am bundesweiten Warntag in Schleswig-Holstein aber nicht überall gehört. Das lag zum einen daran, dass die kommunalen Behörden selbst entscheiden, ob am Warntag auch lokale Sirenen und Lautsprecher getestet werden. Sie sind nicht an das zentrale Warnsystem angeschlossen. Zum anderen wurden nach dem Kalten Krieg viele der Sirenen in Schleswig-Holstein abgebaut. Ende 2022 gab es landesweit noch etwa 2.600. Vor allem in größeren Städten wie Kiel, Lübeck oder Flensburg, aber auch in einigen Kreisen existieren zuletzt keine stationären Sirenen mehr.

Die Innenministerin empfahl deshalb, sich im Vorfeld des Warntages zu informieren, welche Warnmittel in der jeweiligen Kommune erprobt werden. "Dann kann man sich darauf einstellen. Und niemand muss sich beispielsweise darüber wundern, wenn in seiner oder ihrer Kommune keine Sirene ertönt, weil die flächendeckende Ausstattung mit digital anzusteuernden Sirenen dort noch nicht erreicht wurde."

Ziel: 5.000 Sirenen bis 2030

Naturkatastrophen wie im Ahrtal, aber auch der Überfall Russlands auf die Ukraine mit der daraus resultierenden Energiekrise haben ihnen jedoch eine neue Bedeutung gegeben. Gerade wenn zum Beispiel bei Stromausfällen andere Geräte nicht funktionieren, das Handynetz zusammenbricht oder Menschen keinen Zugriff auf das Internet haben, sind Sirenen wichtig. Das hat auch das Land Schleswig-Holstein erkannt, bis 2030 will die Landesregierung insgesamt 5.000 Sirenen aufgebaut haben.

VIDEO: Warntag 2023: Warum digitale Warnsysteme die Hauptrolle spielen (1 Min)

Mehr als 2.000 neue Sirenen gebraucht - 200 in Planung

Das bedeutet: Mehr als 2.000 neue Geräte müssen angeschafft werden. Die Kosten für die Modernisierung des Sirenennetzes schätzte das Innenministerium Ende 2022 auf 55 Millionen Euro - durch die Inflation könnte es noch teurer werden. Das Land selbst stellt bis 2030 rund 23 Millionen Euro zur Verfügung. Über ein Förderprogramm des Bundes flossen bis zum vergangenen Jahr außerdem 2,9 Millionen Euro nach Schleswig-Holstein - passiert ist damit aber bislang wenig.

Aus der Bundesförderung seien Haushaltsmittel für 200 Sirenenstandorte an die Kreise weitergegeben worden, heißt es aus dem Innenministerium. Aufgrund der aktuellen Lage am Markt seien bis jetzt nur wenige Vorhaben fertiggestellt. "Es ist eben schwierig, Sirenen zu bekommen", sagt Innenministerin Sütterlin-Waack. "Diejenigen, die die herstellen und damit handeln, das sind nur ganz wenige, eigentlich ist es nur einer. Und der ist natürlich völlig ausgebucht." Insgesamt spricht die Ministerin aber von einem guten Weg - man sei noch nicht da, wo man hin wolle und müsse, aber ein Stückchen weiter als beim vorangegangenen Warntag und vor allem als beim ersten bundesweiten Warntag 2020.

Defizite seit dem bundesweiten Warntag 2020 bekannt

Bereits damals waren erhebliche Defizite bei Warnmitteln, auch bei Sirenen festgestellt worden. "Lediglich in den Kreisen Dithmarschen, Herzogtum Lauenburg, Nordfriesland, Pinneberg, Schleswig-Flensburg und Steinburg konnte eine zentral in den Leitstellen ausgelöste Sirenenwarnung mit dem Signal zur Warnung der Bevölkerung ausgelöst werden", heißt es in einem 10-Punkte-Plan, den das Innenministerium danach formulierte. Im vergangenen Jahr funktionierte die Sirenenwarnung laut Ministerium in fünf Kreisen, in Schleswig-Flensburg gab es technische Probleme. Eine Umfrage des BBK ergab, dass vor allem im Nordosten Schleswig-Holsteins nur wenige Menschen Sirenen hörten - nämlich etwa 20 Prozent, im Südosten war es kaum besser (etwa 30 Prozent). Bundesweit hatten 47,9 Prozent der Befragten angegeben, Sirenen gehört zu haben.

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Land will Sirenen fördern - aber auch Geld vom Bund

Langfristig fordert Schleswig-Holstein weitere Unterstützung vom Bund. Die bisher vorgesehenen Fördermittel bewertet das Innenministerium als zu niedrig. Auch der Landkreistag kritisiert auf Bundesebene Kürzungen der Mittel für das BBK und für das Technische Hilfswerk. Aber auch auf Landesebene, vor allem aber für die unteren Katastrophenschutzbehörden müssten entsprechende Ressourcen bereitgestellt werden.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 14.09.2023 | 12:00 Uhr

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