Ganztagsbetreuung in Grundschulen: Tausende Fachkräfte fehlen
Ab 2030 hat jedes Grundschulkind in Deutschland einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. Eine Studie zeigt nun: In Schleswig-Holstein werden dafür mehr als 4.000 Fachkräfte fehlen.
Der von der Bundesregierung beschlossene Rechtsanspruch auf einen Platz in der Ganztagsbetreuung ist in Schleswig-Holstein möglicherweise nicht bis 2030 umsetzbar. Zu diesem Schluss kommt die Bertelsmann-Stiftung in einer am Dienstag vorgestellten Studie. Wenn es für jedes Kind eine Ganztagsbetreuung von 40 Stunden pro Woche geben soll, fehlen laut der Prognose bis 2030 mehr als 4.000 Fachkräfte.
Expertin und Gewerkschaft fordern Fachkräfte-Offensive
Nur mit genügend qualifiziertem pädagogischen Personal sei die ganztägige Förderung möglich, sagte Kathrin Bock-Famulla, Expertin für frühkindliche Bildung bei der Bertelsmann-Stiftung. Dieser Bedarf sei im nördlichsten Bundesland bis 2030 kaum zu decken. "Schleswig-Holstein muss gemeinsam mit allen Verantwortlichen sofort eine langfristige Fachkräfte-Offensive auf den Weg bringen, damit zumindest im nächsten Jahrzehnt ein ausreichendes Personalangebot verfügbar ist", so die Expertin.
Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Schleswig-Holstein fordert eine Qualifizierungskampagne, angestoßen vom Land. Die GEW habe schon länger auf den Mangel an Erzieherinnen und Erziehern und Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen hingewiesen - jetzt müsse schnell etwas passieren, mahnt die GEW-Vorsitzende Astrid Henke. Ihren Worten nach dürfen diejenigen, die sich weiterbilden wollen, nicht auf den hohen Kosten für eine Qualifizierung sitzen bleiben.
Der Grundschulverband im Land fordert generell, dass die Jobs der Sozialpädagogen und Erzieher attraktiver gemacht werden müssen. Bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung würden auch dafür sorgen, dass mehr Menschen diesen Beruf ergreifen. Die Landesvorsitzende des Grundschulverbands, Maren Barck, schlägt vor, dass die Tätigkeit auch für Menschen ohne pädagogische Qualifikation geöffnet werden müssen. "Dass denen mit einer Einarbeitungszeit und mit zusätzlichen Fortbildungen auch attestiert werden kann, dass sie geeignet sind - und dass sie auch entsprechend vergütet werden", sagt Barck.
Wenig Kinder in SH nutzen Ganztagsbetreuung
In Schleswig-Holstein nutzen aktuell vergleichsweise wenige Grundschulkinder ein Ganztagsangebot, nach Angaben der Bertelsmann-Stiftung 32 Prozent. Der bundesweite Durchschnitt liegt bei 54 Prozent. Doch auch, wenn 2030 nicht alle Kinder in Schleswig-Holstein Ganztagsförderung in Anspruch nehmen würden oder nur die kürzere Übermittagsbetreuung, würden tausende Fachkräfte fehlen.
SPD: Studie legt Finger in die Wunde
Martin Habersaat, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sagte, die Ergebnisse der Studie "legen den Finger in eine weitere offene Wunde". Schleswig-Holstein hinke hinter den Wünschen der Eltern hinterher, auch Lehrkräfte und Kita-Personal würden fehlen. "Studie um Studie zeigt uns auf, dass es reale Probleme im Land gibt, die auf konkrete Lösungen warten." Er appellierte an die Landesregierung, Ressourcen und Konzepte zu schaffen.
Die Regierungskoalition habe verabredet, ein Rahmenkonzept unter anderem zur Qualität des Ganztages zu erstellen, sagte eine Sprecherin am Dienstag. Das Bildungsministerium in Kiel betonte, dass schon viel erreicht worden sei: Habe es vor 16 Jahren im Land nur 100 Schulen mit Ganztagsbetreuung gegeben, seien es jetzt schon mehr als 400.
In MV fehlt Personal, HH steht gut da
In Mecklenburg-Vorpommern fehlen den Angaben zufolge ebenfalls Erzieherinnen und Erzieher sowie anderes pädagogisches Personal, bis 2030 müssten dort rund 5.000 Fachkräfte mehr eingestellt werden. In Niedersachsen fehlen bis 2030 demnach 11.000 Fachkräfte. Hamburg liegt dagegen im bundesweiten Vergleich vorn, dort nutzen bereits jetzt 97 Prozent der Kinder im Grundschulalter die Ganztagsbetreuung. Auch für die kommenden Jahre sei die Stadt gut aufgestellt, so die Bertelsmann-Stiftung.