Person legt ihre Hände auf angehäuftes Geld. © Fotolia.com Foto: apops
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AUDIO: Landesverfassungsgericht beschäftigt sich mit Finanzausgleich (1 Min)

Finanzausgleich: Klein gegen Groß - oder: Dörfer gegen das Land

Stand: 02.12.2022 17:01 Uhr

Rund 100 kleine Gemeinden aus Schleswig-Holstein halten die Verteilung des Geldes aus dem kommunalen Finanzausgleich für ungerecht. Ihre Beschwerde war am Freitag Thema vor dem Landesverfassungsgericht.

von Sylvia Aust und Constantin Gill

Wenn er auf das kahle Erdreich neben der Grundschule guckt, weiß Fritz-Wilhelm Blaas schon, was er mit dem zusätzlichen Geld machen würde. Der Bürgermeister von Barkelsby im Kreis Rendsburg-Eckernförde berichtet, dass es hier eigentlich einen Anbau für die Grundschule geben sollte - der wurde dann aber aus Kostengründen gestoppt. Die Baustelle liegt brach. "Deswegen hoffen wir wirklich sehr, dass wir da Gelder kriegen", sagt Blaas. "Und dann geht das auch sofort los mit dem Anbau."

Barkelsby liegt nördlich von Eckernförde und ist eine von rund 100 Gemeinden, die Beschwerde beim Landesverfassungsgericht eingereicht haben. Sie bemängeln, dass zentrale Orte beim Kommunalen Finanzausgleich bevorzugt werden. Ohne ausreichende Gründe. Den tatsächlichen Finanzbedarf der Kommunen habe der Gesetzgeber nicht richtig ermittelt, so der Vorwurf.

"Wir machen die Arbeit vor Ort"

Die größeren Orte und Städte in Schleswig-Holstein bekommen vom Land mehr Geld, weil sie Aufgaben fürs Umland mit erledigen. Genau das bestreiten die Beschwerdeführer aber. So berichtet Bürgermeister Blaas, dass die Schulkinder auch aus dem Umland in die Grundschule Barkelsby kommen, manche auch aus Eckernförde. "Wir machen die Arbeit vor Ort", sagt der Bürgermeister. "Und dementsprechend müssten wir auch das Geld bekommen." Und nicht Eckernförde - als zentraler Ort bekommt die Stadt mehr Geld aus dem Kommunalen Finanzausgleich - also dem Topf, mit dem das Land die Gemeinden für ihre Aufgaben ausstatten soll.

Feuerwehren und Kitas verursachen hohe Kosten

Amtsdirektor Gunnar Bock koordiniert die Verfassungsbeschwerde der Gemeinden. Er kann aus seiner Region diverse weitere Beispiele aufzählen, in denen Gemeinden Aufgaben wahrnehmen, die eigentlich als "zentralörtlich" definiert werden könnten: Grundschulen, Kinderspielplätze, Kindergärten, Sportplätze gebe es auch in den nicht-zentralen Orten im Amt-Schlei-Ostsee. "Wer glaubt denn, dass ein Kind aus der Gemeinde Fleckeby oder Rieseby nach Eckernförde auf den Kinderspielplatz geht? Die haben wir selbst", sagt Bock.

Dazu kommt das, was sich im Verwaltungsdeutsch "Flächenlast" nennt: Im ländlichen Raum ist es aus Bocks Sicht schwerer - und teurer - Angebote vorzuhalten. Etwa die 22 Feuerwehren im Amtsgebiet, die "nicht zum Spaß da sind, sondern die sicherstellen, dass wir die Hilfeleistungsfristen einhalten. Und das ist in urbanen Gebieten natürlich wesentlich einfacher sicherzustellen." Oder die Kinderbetreuung: "Wir haben Kindergärten, die vielleicht nur zwei Gruppen haben, und das ist natürlich wirtschaftlich anders, als wenn ich in der Stadt zehn Gruppen in einer Kindertagesstätte betreiben kann."

Wenn es nach Amtsdirektor Gunnar Bock geht, sollte das Geld, das bisher extra an zentrale Orte geht, auf alle Gemeinden verteilt werden. Einer entsprechenden Gutacher-Empfehlung sei das Land nicht gefolgt.

Land sieht besondere Aufgaben von zentralen Orten

Das schleswig-holsteinische Innenministerium dagegen meint, dass es den Extra-Topf für zentrale Orte weiter braucht. "Erstens, weil die zentralen Orte besondere Lasten haben, besondere Aufgaben wahrnehmen zugunsten der nicht-zentralen Orte und zweitens, weil viele zentrale Orte, was die Finanz- und Steuerkraft angeht, unterdurchschnittlich ausgestattet sind. Und die zentralen Orte haben auch in stärkerem Maße Soziallasten zu tragen als das im ländlichen Raum der Fall ist", sagt Innen-Staatssekretär Jörg Sibbel, zuständig für den Bereich Kommunales - und ehemaliger Bürgermeister von Eckernförde.

Zudem habe man mit "neuen finanzwissenschaftlichen Methoden und einer nie dagewesenen Datenbreite den Finanzausgleich an den tatsächlichen Bedarfen von Land und Kommunen ausgerichtet." Dabei haben man sich sehr stark an den Vorgaben des Landesverfassungsgerichts aus den ersten FAG-Urteilen orientiert, so Sibbel. Mit dem neuen Finanzausgleichgesetz (FAG) seien die nicht-zentralen Orte besser gestellt worden, als das vorher der Fall war. Auch "Flächenlasten" würden berücksichtigt.

Und mit Blick auf Barkelsby sagt Sibbel: Die Gemeinde verfüge eben nur über eine Grundschule, "so dass die Kinder und Jugendlichen aus Barkelsby, wenn sie eine weiterführende Schule besuchen, natürlich nach Eckernförde müssen."

Langjähriger Streit um Kommunalfinanzen

Vor fast sechs Jahren - im Januar 2017 - hatte das Landesverfassungsgericht in Schleswig geurteilt, dass das Gesetz über den kommunalen Finanzausgleich in Teilen nachgebessert werden müsse. Damals hatten CDU, FDP und Piraten und die Kreise geklagt. Auch damals ging es unter anderem um die Frage, ob "der Gesetzgeber zu Lasten des ländlichen Raumes zu hohe Beträge für Kommunen mit zentralörtlicher Funktion zur Verfügung stelle." Die Regelung selbst sah das Gericht nicht als problematisch an, es fehle aber an einer "für die Aufteilung der Gesamtmasse auf die verschiedenen Gruppen kommunaler Aufgabenträger an einer den Verfassungsvorgaben genügenden bedarfsorientierten Sachverhaltsermittlung."

Das Land besserte nach, der Streit ging trotzdem weiter. 2020 einigten sich Land und Kommunen dann auf einen sogenannten Stabilitätspakt, nach dem die Kommunen über mehrere Jahre insgesamt 500 Millionen Euro mehr Geld bekommen. Außerdem wurde festgelegt, dass die Regelungen regelmäßig geprüft werden. Und zwar einerseits die Verteilung der Gelder zwischen den kommunalen Ebenen, als auch die Gesamtmasse, also die Gesamtsumme, die an die Kommunen geht. 2024 steht die Überprüfung an.

Spätestens dann werden die Kommunen neu verhandeln wollen. Ulf Kämpfer, Vorsitzender des schleswig-holsteinischen Städtetags und Kieler Oberbürgermeister sagt: "Es ist dem Land nicht gelungen, über den kommunalen Finanzausgleich Frieden und Einheit herzustellen. Wir haben ja nur mit allergrößtem Zähneknirschen diesem Kompromiss damals zugestimmt. Und jetzt sehen wir, auch die Gemeinden sind nicht zufrieden. Das zeigt, dass wir da gemeinsam wieder ran müssen."

Hoffnung auf mehr Klarheit

Die Argumente der kleinen Gemeinden kann Kämpfer allerdings nicht nachvollziehen. Und ihre Klage sieht er kritisch: "Ein Geschwisterstreit innerhalb der kommunalen Familie bringt uns nicht weiter, wir sollten uns lieber unterhaken und das Land in die Pflicht nehmen", so Kämpfer.

Der Gemeindetag vertritt die meisten zentralen Orte und fast alle nicht zentralen Gemeinden - und unterstützt die Verfassungsbeschwerde nicht. Dennoch sieht Geschäftsführer Jörg Bülow der Gerichtsverhandlung mit großem Interesse entgegen - weil sie aus seiner Sicht eine Reihe von spannenden Rechtsfragen aufwirft: "Es wäre zu begrüßen, wenn das Urteil bei der Finanzierung zentraler Orte möglichst viel Klarheit schafft", sagt Bülow.

Amtsdirektor Gunnar Bock geht davon aus, dass die Beschwerde der Gemeinden erfolgreich sein wird. Auch das Innenministerium sieht sich auf der sicheren Seite.

In Barkelsby sind 22 Schulkinder nun erst einmal auf den Gemeindetreff ausgewichen. Bürgermeister Blaas meint: "Wir sind vollkommen autark. Wir brauchen eine Stadt Eckernförde gar nicht." Als einzige Ausnahme nennt er Textilien - Klamotten kaufen müssen die Barkelsbyer also in Eckernförde. "Aber dafür braucht Eckernförde nicht mehr Millionen vom Land kriegen. Die sollen sie lieber uns geben."

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 01.12.2022 | 19:00 Uhr

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