Ein Nationalpark in der Ostsee - ja oder nein?

Stand: 03.12.2022 05:00 Uhr

Der Ostsee geht es nicht gut: zu viel Müll, eine zu starke Nutzung, zu viele Schadstoffe. Um sie zumindest vor der Küste Schleswig-Holsteins besser zu schützen, hat Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) einen großen Plan: einen Nationalpark in der Ostsee.

von Julia Schumacher

Die Ostsee hat mindestens zwei Gesichter: Auf der einen Seite fasziniert sie mit wilden Tieren wie dem Schweinswal, mit naturnahen Stränden, mit Seegraswiesen. "Auf der anderen Seite sieht man ihr an, wie schlecht es ihr geht", sagt Umweltminister Goldschmidt. Er hat sich gemeinsam mit dem Meeresbeauftragten der Bundesregierung bei einer Ausfahrt mit dem Gewässerüberwachungsschiff "Haithabu" ein Bild gemacht.

"Wir haben viele Nährstoffeinträge in der Ostsee. Wir haben gesehen, dass die Seegraswiesen an der Oberfläche ganz gut ausgeprägt sind. Aber sobald wir in Gewässer kamen, wo es tiefer wurde, waren sie dann plötzlich nicht mehr da", meint Goldschmidt. Das habe damit tun, dass mehr Stoffe da sind, die das Sonnenlicht abschirmen. "Das ist ein großes Problem, weil Seegraswiesen wichtig für den Klimaschutz sind."

"Naturschutz mit allen"

Goldschmidt will ein Bewusstsein für den Zustand dieses Meeres schaffen, wie er sagt. Dafür hat er sich ein gewaltiges Projekt vorgenommen: an der Küste Schleswig-Holsteins einen Nationalpark in der Ostsee einzurichten. "Ein Nationalpark ist Naturschutz mit allen Akteuren - mit dem Tourismus, mit der Fischerei, mit den klassischen Naturschutzverbänden", sagt Goldschmidt.

Die Idee zu einem Nationalpark in der Ostsee hat Goldschmidt schon länger, sie war auch Teil der Koalitionsverhandlungen mit der CDU. Und sie hat es in den Koalitionsvertrag geschafft. Da steht, dass die Idee mit allen Ostsee-Anrainerkreisen und -kommunen sowie den Interessensvertretungen diskutiert werden soll. In der Mitte der Legislaturperiode - im Jahr 2024 - will die Koalition dann darüber entscheiden, ob und in welcher Form ein solcher Nationalpark auf den Weg gebracht werden kann. Dieser Dialogprozess soll im neuen Jahr beginnen. Trotzdem ist die Diskussion schon in vollem Gange.

15 Bürgermeister mit großen Sorgen

Porträt von Karsten Kruse, Bürgermeister von Hohwacht © NDR Foto: Alexandra Bauer
Karsten Kruse, Bürgermeister von Hohwacht, findet die Idee zu einem Nationalpark in der Ostsee grundsätzlich gut.

Zum Beispiel mit einem Brief von 15 Bürgermeistern der Gemeinden im Amt Lütjenburg: Sie haben einerseits Bedenken und andererseits sind sie verstimmt darüber, von Goldschmidts Plänen aus den Medien erfahren zu haben. "Da sind wir sehr unglücklich darüber, weil es eben keine Kommunikation gibt, keinerlei Informationen, keine Gespräche mit den betroffenen Kommunen", sagt Karsten Kruse, Bürgermeister von Hohwacht. "Das Wichtigste ist eigentlich, dass wir überhaupt erst mal ins Gespräch kommen, bevor Tatsachen geschaffen werden."

Tatsachen, die aus den Regeln eines Nationalparks folgen könnten: Denn ein Nationalpark muss laut Gesetz sogenannte Null-Nutzungs-Zonen aufweisen, in denen die Natur sich selbst überlassen wird. Kruse befürchtet, dass Strandabschnitte und Sportboothäfen gesperrt werden könnten: "Null-Nutzungs-Zonen wären das Schlimmste, was dem Tourismus passieren kann - aber für die Natur eventuell eine gute Sache." Die Sorge Kruses ist, dass einige Gäste wegbleiben und andere Strandabschnitte voller würden. Dabei sei der Tourismus der Hauptwirtschaftszweig, mit dem man sorgsam umgehen müsse. Der Idee zu einem Nationalpark kann er aber grundsätzlich etwas abgewinnen.

Goldschmidt setzt auf nachhaltigen Tourismus

Ziel des Umweltministers ist es nach eigenen Worten hingegen, mit einem Nationalpark den Tourismus sogar zu stärken: "Ein Nationalpark übt erstmal eine große Faszination aus. Wir kennen das von der Westküste. Die Menschen reisen dorthin, weil da ein Nationalpark ist." Es sei eine Chance für nachhaltigen Tourismus. Zum Brief mit den Sorgen der 15 Bürgermeister sagt Goldschmidt: "Es ist gut, dass die Punkte auf den Tisch kommen, die werden wir im nächsten Jahr in aller Ruhe miteinander besprechen." Ihm gehe es darum, Naturschutz mit der Region, dem Tourismus, den Wirtschaftsunternehmen und den Verbänden zu machen.

Fischereiverband: "Will man denn keine Fische mehr haben?"

Porträt von Ole Eggers, Landesgeschäftsstellenleiter BUND Schleswig-Holstein. © NDR Foto: Alexandra Bauer
Ole Eggers, Landesgeschäftsstellenleiter vom BUND Schleswig-Holstein, kritisiert, dass der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer nicht genügend Null-Nutzungs-Zonen hat.

Der schleswig-holsteinische Fischereiverband sieht die Pläne dagegen skeptisch. "Wenn das ganze Gebiet als Null-Nutzungs-Zone geschlossen wird, gibt es keinen Fischfang mehr. Dann würde ein Kulturzweig aussterben", warnt Verbandsvorsitzender Lorenz Markwardt. "Wir haben noch 150 Fischereibetriebe, davon sind 78 Kutter. Die würden dann auch kaputt sein. Da ist die Frage: Will man denn keine Fische mehr haben?"

"Schon heute ist es so, dass wir in der Ostsee starke Fangquoten haben und dass die Fischerei eingeschränkt ist, weil die Ostsee eben in einem sehr, sehr schlechten Zustand ist", sagt Goldschmidt. Mit dem Nationalpark solle es darum gehen, den Schutz zu verbessern. "Dazu gehört dann auch, dass bestimmte Nutzungen eingeschränkt werden. Das heißt aber nicht, dass man in der ganzen Ostsee auch im ganzen Küstenmeer nicht fischen darf."

Kaum noch Fische in der Ostsee

Porträt von Lorenz Markwardt, Vorsitzender des Landesfischereiverbands © NDR Foto: Alexandra Bauer
Lorenz Markwardt, Vorsitzender des Landesfischereiverbands, findet Null-Nutzungs-Zonen sinnlos.

Dass es der Fischerei in der Ostsee schlecht gehe, habe mit dem Zustand der Fische zu tun, so der Minister. "Da sind kaum noch welche drin, die gefischt werden können. Und genau das will ich ändern. Dass die Ostsee wieder in einen guten Zustand kommt, die Fischerei dann auch wieder möglich ist." Der Umweltminister freue sich auf den Dialog mit der Fischerei.

Klar ist jetzt schon, dass die Fischerei in diesem Punkt widersprechen wird: "Wenn Herr Goldschmidt sagt, Null-Nutzungs-Zonen wären gut für die Fischbestände und die können sich dort erholen, dann hat er sich ins Knie geschossen", sagt Markwardt vom Fischereiverband. "Die Klimaerwärmung ist schuld daran, dass der Nachwuchs nicht aufwachsen kann. Wo nichts aufwachsen kann, brauchen wir keine Null-Nutzungs-Zonen. Das ist sinnlos."

Kritik auch vom Naturschutz

Sorgen bei dem Projekt haben nicht nur Bürgermeister und Fischer, sondern auch die, die sich doch eigentlich darüber freuen müssten: die Naturschutzverbände: "Wie realistisch ist ein Nationalpark, wenn nicht einmal bestehende Schutzgebiete Schutz bieten und Maßnahmen der ohnehin unzureichenden Maßnahmenpläne nicht umgesetzt werden?" fragt Dagmar Struß vom NABU Schleswig-Holstein. Es sei mit den bisherigen Maßnahmen nicht gelungen, Schweinswale, Fische oder Tauchenten zu schützen oder Riffe und Seegraswiesen erhalten. "Der NABU wird sich nicht mit dem Fake eines Nationalparks zufriedengeben", meint Struß.

Einen Nationalpark gibt es Schleswig-Holstein bereits, bei dem laut Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) nicht eingehalten wird, was das Gesetz vorschreibt: den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer: "Seit 30 Jahren sind dort die Bedingungen, die das Bundesnaturschutzgesetz vorschreibt, nämlich die Hälfte der Fläche als Null-Nutzungs-Zone zu begreifen, nicht durchgeführt", sagt Ole Eggers vom BUND Schleswig-Holstein: "Im Moment sind es drei Prozent."

Eine weitere Forderung des Umweltverbandes: Ein Nationalpark Ostsee müsse auf jeden Fall eine sehr große, einheitliche Fläche umfassend und dürfe nicht zerstückelt sein. "Zum Beispiel bei militärischen Übungen überträgt sich der Schall auf sehr weite Flächen. Haben Sie kleine Flächen, wird die gesamte Fläche durchdrungen. Haben Sie eine große Fläche, kann das nur im Randbereich stattfinden", erklärt Eggers. So gebe es im Mittelpunkt eines großen Gebietes tatsächlich Schutzzonen, während das in kleinen Flächen grundsätzlich gar nicht möglich sei.

Zerstückelung möglich

Im Bundesnaturschutzgesetz steht, Nationalparke sind Gebiete, die großräumig und weitgehend unzerschnitten sein müssen. Das will auch Minister Goldschmidt: "Ziel ist es natürlich, ein zusammenhängendes Großschutzgebiet zu haben." Doch es gebe auch Nationalparke, die verschiedene Flächen haben, zum Beispiel an der Müritz. "Aber wie das ganz genau aussieht und ob es wirklich eins ist oder doch mehrere, das besprechen wir in aller Ruhe dann nächstes Jahr", erklärt Goldschmidt.

Das Forschungsschiff "Haithabu" ist auf der Kieler Förde unterwegs. © NDR
Umweltminister Goldschmidt und der Meeresbeauftragte der Bundesregierung, Unger, haben sich auf dem Forschungsschiff "Haithabu" den Zustand der Ostsee angesehen.

Von der Bundesregierung in Berlin wünscht sich Goldschmidt Unterstützung - besonders, wenn es um die Null-Nutzungs-Zonen geht. "Die Ostsee ist ein großes Meer. Wir als Schleswig-Holstein haben nur einen kleinen Teil in der Zuständigkeit", sagt der Minister und fügt an: Der Bund hingegen habe große Zuständigkeiten in der ausschließlichen Wirtschaftszone. "Und wenn wir zum Beispiel einen Ostsee Nationalpark auf den Weg bringen würden mit Null-Nutzungs-Zonen, dann hätte das natürlich eine sehr viel größere Kraft, wenn auch der Bund solche Schutzzonen in seinen Teilbereichen der Ostsee einrichten würde."

Ein Nationalpark in der Ostsee - diese Idee findet der Meeresbeauftragte der Bundesregierung, Sebastian Unger, gut: "Das würden wir unterstützen. Das wäre eine Entscheidung, die auch in Anbetracht der Krise des Artenverlustes ein deutliches Signal ist. Europa hat sich das Ziel gesetzt, Meeresschutzgebiete aber auch Schutzgebiete an Land bis zum Jahr 2030 massiv auszuweiten." Dabei sollten auch streng geschützte, also nutzungsfreie Zonen, kreiert werden, so Unger. "Und damit würde das Land Schleswig-Holstein ein deutliches Zeichen setzen, wie ernst dieses Anliegen genommen wird."

Jedes Argument soll auf den Tisch

Ob, wie und wo ein Nationalpark in der Ostsee kommt, ist noch offen. Der Prozess steht ganz am Anfang. Als Grundlage für den Prozess werde derzeit ein Kommunikations- und Beteiligungskonzept erarbeitet, heißt es aus dem Umweltministerium. Oder wie Tobias Goldschmidt es ausdrückt: "Wir wollen, dass alle Argumente auf den Tisch kommen, jedes Argument wird gehört und dokumentiert und am Ende schauen wir, ob wie und wann wir einen solchen Nationalpark haben werden."

Die Idee zu einem Nationalpark in der Ostsee

Für einen besseren Schutz der Ostsee soll der Schutzstatus bestehender Schutzgebiete vertieft werden. Deswegen sind die bestehenden Schutzgebiete der Ausgangspunkt für den Suchraum eines möglichen Nationalparks, heißt es aus dem Umweltministerium. Das bedeute jedoch nicht, dass die gesamte Schleswig-Holsteinische Ostseeküste mitsamt ihren Schutzgebieten zu einem Nationalpark werden soll: Es gebe keine Festlegung, wie ein möglicher Nationalpark aussehen soll. Zu dieser sogenannten Suchkulisse gehören 24 Naturschutzgebiete, zwölf Vogelschutzgebiete und 55 Fauna-Flora-Habitat-Gebiete.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 02.12.2022 | 19:30 Uhr

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