Eine Ingenieurin trägt einen Helm und Gehörschutz. Sie steht auf einer Baustelle und hält ein Klemmbrett. © IMAGO Foto: IMAGO / Cavan Images

Behörden suchen Bauingenieure: Keine Planer, keine Projekte

Stand: 13.07.2022 19:07 Uhr

Vielen Verwaltungen in Schleswig-Holstein fehlen Bauingenieurinnen und Bauingenieure. Allein in Ahrensburg im Kreis Stormarn müssen sechs von sieben Stellen besetzt werden. 

von Hannah Böhme

Peter Kania, Fachbereichsleiter im Bauamt der Stadt Ahrensburg, steht am Geländer neben der Unterführung Woldenhorn im Ahrensburger Stadtzentrum. Das Bauwerk ist ein Sanierungsfall. "Die muss komplett erneuert werden", erklärt Kania mit Blick auf die Fahrbahn, die unter der Brücke liegt und sich an einigen Stellen leicht aufwellt. Mehrere Schächte unterhalb der Asphaltdecke der Straße stehen komplett unter Wasser, weil die Abdichtungsschicht nicht mehr funktioniert, erklärt der Fachdienstleiter. Das hatten entsprechende Voruntersuchungen gezeigt: "Da muss unbedingt Abhilfe geschaffen werden. Wir hatten das als Maßnahme für das nächste und übernächste Jahr geplant."

Bauingenieure sind fast überall Mangelware

Aber daraus wird voraussichtlich nichts. Denn der Ahrensburger Stadtverwaltung fehlen zu viele Bauingenieure und Bauingenieurinnen, um die Maßnahme umzusetzen. Sie müssten das Projekt begleiten und beaufsichtigen. Insgesamt sechs Bauingenieursstellen müssen laut Kania im Ahrensburger Tiefbauamt besetzt werden: Zwei Stellen sind schon seit eineinhalb Jahren ausgeschrieben. In diesem Jahr verlassen vier weitere Planer das Tiefbauamt. Und nicht nur Ahrensburg fehlen diese Fachkräfte, sagen Städteverband und Gemeindetag in Schleswig-Holstein. Kaum eine der größeren Städte im Land ist nicht gerade auf der Suche, wie ein Blick auf die jeweiligen Online-Auftritte zeigt: Lübeck, Flensburg, Kiel, Itzehoe – überall sind Bauingenieursstellen ausgeschrieben.

Infrastrukturprojekte verzögern sich

Der Personalmangel in diesem Verwaltungsbereich verzögert laut Jörg Bülow vom Gemeindetag nicht nur Projekte im Straßenbau, sondern auch andere Infrastrukturmaßnahmen, in die Kommunen investieren: die Sanierung von Schulen, den Ausbau von Ganztagsschulen und Kitas oder auch die Bauleitplanung für Wohnungsbau beispielsweise. "Wenn das Fachpersonal für die Planung und Begleitung dieser Vorhaben fehlt", sagt Bülow, "kommt es zu Verzögerungen, zu Kostensteigerungen auch zum drohenden Verlust von Fördermitteln."

Kaum Bewerbungen auf ausgeschriebene Stellen in Ahrensburg

Eine asphaltierte Straße in Ahrensburg. © NDR Foto: Elin Halvorsen
Auch für die Beseitigung von Spurrillen fehlen der Verwaltung in Ahrensburg Planer.

Das weiß auch Peter Kania in Ahrensburg. Um die Spurrillen in der Straße Reeshoop auszubessern, hatte die Stadt Fördermittel zugesagt bekommen. "Die können wir jetzt nicht in Anspruch nehmen, weil wir nicht das Personal haben, um das Ganze entsprechend umzusetzen", so der Fachbereichsleiter. Auf die bisher ausgeschriebenen Stellen hat er kaum Bewerbungen erhalten. Aktuell liegen ihm zwei vor. Doch einer der Bewerber erfüllt die Voraussetzungen nicht. Der andere kommt aus einem anderen Ingenieursbereich und ist ohne Berufserfahrung, der Kandidat wird aber trotzdem eingeladen. Wählerisch kann Kania nicht sein. "Die Auswahl ist leider nicht so, dass wir sagen können, wir laden nur Tiefbauingenieure oder Straßenbauingenieure ein", erklärt er.

Öffentlicher Dienst konkurriert mit Wirtschaft

Dass es so wenige Bewerberinnen und Bewerber auf die Stellen gibt, liegt aus seiner Sicht daran, dass es ohnehin nur wenige Bauingenieure auf dem Markt gibt und noch weniger, die sich in ihrem Studium auf Tief- und Straßenbau spezialisiert haben. Und wer das Anforderungsprofil genau erfüllen würde, entscheidet sich nach Angaben des Fachdienstleiters oft für einen Job in der freien Wirtschaft: "Da sind die Gehaltszahlungen nicht an einen Tarifvertrag gebunden und fallen entsprechend höher aus." Ähnlich sieht es auch Eckhardt Bode. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kieler Institut für Weltwirtschaft und forscht unter anderem zum Thema Fachkräftemangel. Ingenieursberufe gehörten zu den Mangelberufen, so der Experte. Hinzu komme der demografische Wandel: "Viele Babyboomer gehen in Rente. Der öffentliche Dienst in den Verwaltungen ist im Durchschnitt älter als die Privatwirtschaft. Da brechen eine Menge Mitarbeiter in den Ruhestand weg."

Wissenschaftler sieht eher langfristige Lösungen

Um dem Fachkräftemangel speziell bei den Bauingenieuren zu begegnen, würde es nach Bodes Meinung helfen, Planungsprozesse in den Verwaltungen zu vereinfachen und da, wo es geht, zu digitalisieren. "Intelligente Technologien könnten eine ganze Menge menschliche Arbeit ersetzen", erklärt der Forscher. Die Folge: "Die Ingenieure, die noch verfügbar sind, können sich auf die Arbeit konzentrieren, die wirklich nur sie machen können. Den Rest soll die Digitalisierung erledigen." Chancen sieht Bode auch in einer besseren Vernetzung von Stadt- und Gemeindeverwaltungen untereinander. In Verwaltungsgemeinschaften lägen einige Synergiepotenziale. Und nicht zuletzt das Schulsystem ist für ihn ein Ansatzpunkt: "Wenn wir es schaffen würden, aus Schulabbrechern Ingenieure zu machen, dann hätten wir keinen Fachkräftemangel mehr", so Bode. Aber hier blieben aus diversen Gründen viele auf der Strecke.

Stadt Ahrensburg setzt auf Headhunter

Alles keine kurzfristigen Lösungen, weiß Bode. Aber die Maßnahmen in Ahrensburg drängen: Die Unterführung Woldenhorn ist nur eine von vielen Baustellen, die aufgrund des Personalmangels gerade auf der Strecke bleiben. Auch andere Straßen in der Stadt im Kreis Stormarn sind sanierungsbedürftig, außerdem müssten auch einige Ampelanlagen erneuert werden. Um schnell jemanden zu finden, überlegt die Stadt, es nun mit einem Headhunter zu versuchen, also jemanden zu engagieren, der Bauingenieure von Unternehmen abwirbt.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 13.07.2022 | 19:30 Uhr

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