Baustart für erstes CO2-neutrales Zementwerk in Norddeutschland

Stand: 22.04.2024 15:41 Uhr

Im Kreis Steinburg ist am Montag der Spatenstich für ein klimaneutrales Zementwerk erfolgt. Holcim will Vorreiter für die Technik werden. Mit dabei in Lägerdorf war unter anderem Bundeswirtschaftsminister Habeck.

von Christoph Deuschle und Marian Schäfer

Wer heutzutage etwas bauen will, kommt an einem Baustoff selten vorbei: Zement. Denn der wird für Beton benötigt. Bei der Produktion des Zements aus Kalk entstehen aber enorme Mengen klimaschädliches CO2. Rund acht Prozent der globalen Emissionen gehen laut Verband der deutschen Zementindustrie auf das Konto des grauen Pulvers, aus dem Häuser gemacht sind. In Deutschland ist die Zementherstellung auf Platz drei der industriellen CO2-Verursacher, wenn man die Energiewirtschaft nicht mitrechnet. Nur Stahlwerke und Raffinerien sind noch schlechter fürs Klima.

Spatenstich mit vielen geladenen Gästen

Die Firma Holcim beginnt nun an ihrem Standort in Lägerdorf (Kreis Steinburg) mit dem Bau einer neuen Produktionsanlage, die die Herstellung des wichtigen Baustoffs revolutionieren könnte. Zum ersten Spatenstich kamen am Montag auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Die Anlage in Lägerdorf muss allerdings noch final genehmigt werden. Das Planungsverfahren läuft noch. Auch wenn das neue Zementwerk also erst in frühestens vier Jahren in Betrieb genommen wird, zeigte sich Habeck überzeugt, dass die Technik zur Klimaneutralität Deutschlands beitragen werde. Rund 350 geladene Gäste aus Politik und Wirtschaft nahmen am Festakt auf dem Gelände teil, zudem waren viele Mitarbeitende des Zementherstellers dabei.

Habeck: Standortvorteil erneuerbarer Strom

Habeck lobte insbesondere Holcim dafür, an den Plänen trotz stark gestiegener Energiepreise im Zuge des Ukraine-Kriegs festgehalten zu haben. Für den Wirtschaftsminister zeigt sich insbesondere an der Westküste, dass erneuerbarer Strom zu einem Standortvorteil werde: "Und diese Botschaft, die darf man gerne in Deutschland hören, da wo man zaudert und zögert", so Habeck.

Thorsten Hahn, CEO von Holcim Deutschland, Robert Habeck (Grüne), Daniel Günther (CDU), Cetin Nazikkol, CEO Middle East & Africa Thyssenkrupp, und Andreas X. Müller, Vice President Linde Gas Germany, stehen beim Spatenstich für ein klimaneutrales Holcim Zementwerk nebeneinander. © dpa-Bildfunk Foto: Georg Wendt
Spatenstich für ein klimaneutrales Zementwerk - mit dabei waren: Thorsten Hahn, Robert Habeck, Daniel Günther, Cetin Nazikkol und Andreas X. Müller.

Auch Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) betonte den Wert der grünen Energien in Schleswig-Holstein: "Der Weg, den wir in Schleswig-Holstein und an der Westküste gehen, bleibt richtig", so Günther. Er wolle sich dafür einsetzen, dass die benötigte Infrastruktur - wie zum Beispiel Pipelines für CO2 - schnell gebaut werden.

Erste Pilotanlage im industriellen Maßstab

Künftig soll in Lägerdorf im Zementwerk neben der alten eine zweite Produktionslinie entstehen, die nach dem "Oxyfuel"-Prinzip funktioniert. Dabei wird zu Beginn des chemischen Prozesses in der Zementherstellung statt Umgebungsluft reiner Sauerstoff genutzt. Dadurch kann am Ende der Produktionsstraße dann sehr sauberes CO2 aus den Abgasen gewonnen werden.

Das hoch reine CO2 wird abgefangen, gelangt also nicht in die Atmosphäre und soll im Anschluss in der chemischen Industrie genutzt werden - oder sogar in der Lebensmittelproduktion. Zu diesem Zweck wird neben dem neuen Zementofen auch eine neue Pipeline in den nahen Industriepark Brunsbüttel gebaut. Hier soll das Gas weitergenutzt werden. Das Ziel: 100 Prozent Rückgewinnung und Nutzung des Kohlenstoffdioxids und damit der erste klimaneutrale Zement in Deutschland. Der Bau der neuen Produktionsanlage in Lägerdorf soll bis 2029 abgeschlossen sein.

Kosten im dreistelligen Millionenbereich

"Bisher konnten wir nicht anders, als das CO2 zu emittieren", sagt Werksleiter Torsten Krohn. Denn es sei im Rohstoff Kalk gebunden. Und ohne den könne man schlicht keinen Zement herstellen. "Aber mittlerweile ist die Technik so weit, dass wir das Gas komplett auffangen und abspalten können." Um das Werk fit für die Zukunft zu machen, werde es nun im laufenden Betrieb auf links gekrempelt. Die neue Produktionslinie entsteht direkt neben der alten, während diese weiterläuft. "Und dann können wir hier hoffentlich auch die nächsten hundert Jahre noch Zement herstellen", so der Werksleiter.

Die Investitionskosten liegen bei 500 bis 600 Millionen Euro. Rund 110 Millionen für das Projekt kommen aus Fördermitteln der EU für innovative Projekte. Denn die Anlage in Lägerdorf soll eine europaweite und globale Vorlage werden - vorausgesetzt, sie wird final genehmigt. Denn noch befindet man sich bei Bauherr und Behörde mitten im Planungsverfahren. Deshalb sind zuerst die Verwaltungsgebäude dran. Ab Sommer soll dann die eigentliche Anlage entstehen.

Der Standort in Lägerdorf sei optimal, so Projektleiter Sven Weidner. "Das Werk in Lägerdorf ist seit 160 Jahren immer schon bei Technologien vorangegangen. Und wir haben hier optimalen Zugang zu grünen Energien, vor allem aus Wind von der Nordsee." Für energieintensive Branchen werde das immer mehr zum wichtigsten Standortfaktor.

Neue Anlage spart CO2-Verbrauch einer Stadt mit 100.000 Menschen

Für den Weg zur Klimaneutralität Deutschlands ist die Zementindustrie ein wichtiger Baustein. Immerhin produziert sie laut Umweltbundesamt knapp 21 Millionen Tonnen CO2, das sind etwa drei Prozent der jährlichen CO2-Emissionen der Bundesrepublik. Allein der Umbau des Werkes in Lägerdorf spart in Zukunft 1,2 Millionen Tonnen CO2 jährlich - mehr als die gesamte Stadt Flensburg im gleichen Zeitraum verursacht.

"Ich halte das für absolut realistisch, tatsächlich die gesamte Menge CO2 aufzufangen und einer weiteren Nutzung zuzuführen", sagt Prof. Dr. Ulf-Peter Apfel vom Fraunhofer Institut Oberhausen. Gerade perspektivisch sei die Industrie auf hochwertiges Kohlenstoffdioxid angewiesen. Denn man brauche auch in Zukunft Kohlenstoff, der dann nicht mehr aus Erdöl gewonnen werden soll. Perspektivisch könnte das Klimagas so also zu einem wichtigen Rohstoff werden.

Viel Lob für Projekt - aber auch Kritik

Lothar Wittorf vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sieht das Projekt mit gemischten Gefühlen. "Wir begrüßen natürlich jede Maßnahme, die darauf ausgerichtet ist, CO2 zu reduzieren oder ganz zu vermeiden." Aber es sei bisher weder geklärt, wie das abgespaltene CO2 tatsächlich in der Industrie sinnvoll weitergenutzt werden kann, noch welche Folgen der dadurch drastisch steigende Energie- und Wasserverbrauch des Werkes hat. "Der Energieverbrauch soll sich Stand jetzt verdreieinhalbfachen, der Wasserverbrauch verfünfzehnfachen." In Zeiten von zunehmenden Dürren und Flächenmangel für den Ausbau erneuerbarer Energien müsse man da schon drüber sprechen, so Wittorf.

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NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 22.04.2024 | 13:00 Uhr

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