Stand: 21.01.2013 10:52 Uhr

Rot-Grün gewinnt nervenraubenden Wahl-Krimi

Spitzenkandidat der SPD Stephan Weil bei der SPD-La Ola. © dpa-Bildfunk Foto: Rolf Vennenbernd
Als der Sieg von Rot-Grün feststand, brach die Freude aus SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil heraus.

Es war ein unglaubliches Wechselbad der Gefühle. Bei der Landtagswahl in Niedersachsen veränderten sich die Mehrheitsverhältnisse beinahe von Hochrechnung zu Hochrechnung. Mal lag Schwarz-Gelb vorn, dann wieder Rot-Grün. Bis kurz vor Mitternacht zitterten die Parteien und ihre Anhänger, erst dann stand fest: SPD und Grüne haben das Kopf-an-Kopf-Rennen mit gerade mal 12.409 Stimmen Vorsprung gewonnen. Der designierte Ministerpräsident Stephan Weil feierte den Sieg ausgelassen, während der kurz zuvor noch siegessichere David McAllister sichtlich geschockt die Wahlparty der CDU verließ.

69 Sitze für Rot-Grün, 68 für Schwarz-Gelb

Die Zahlen des Wahl-Krimis im Einzelnen: Die CDU holt 36 Prozent der Stimmen (-6,5), die SPD 32,6 Prozent (+2,3). Die FDP kommt auf 9,9 Prozent (+1,7), die Grünen auf 13,7 Prozent (+5,7). Die Linke schafft es mit nur 3,1 Prozent nicht wieder in den Landtag (-4). Die Piratenpartei liegt bei 2,1 Prozent. Rot-Grün kommt damit auf 69 Sitze, Schwarz-Gelb auf 68.

Durch den Regierungswechsel verschieben sich auch die Machtverhältnisse im Bundesrat. Sollten SPD und Grüne wie angekündigt eine Koalition bilden, gäbe es im Bundesrat erstmals seit 1998 wieder eine Mehrheit der nur von SPD, Grünen und Linkspartei regierten Länder.

Ein gnadenloser Nervenkrieg

Nach der ersten Hochrechnung gegen 18.15 Uhr waren beide Lager praktisch gleichauf, nach der zweiten immer noch. Stunde um Stunde verstrich und mal war Schwarz-Gelb, mal Rot-Grün hauchdünn vorne. Mit dem Druck gingen die Politiker unterschiedlich um: SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil war zurückhaltend, sagte, der Abend sei noch nicht entschieden, blieb betont ruhig. Und gewann das Kopf-an-Kopf-Rennen - trotz des grandiosen Überraschungserfolgs der FDP. Deren Mitglied und Wirtschaftsminister Jörg Bode sah ein "klares Signal", dass die Koalition fortgesetzt werden soll - damit war er einer der wenigen, der in den vorläufigen Zahlen irgendetwas "Klares" erkannte.

Nachricht von Abwahl im Live-Interview

Die CDU-Anhänger feierten ihren Spitzenkandidaten McAllister schon mit "David, David"-Rufen, McAllister sprach von der "Superpartei" CDU. Ganz wohl zu fühlen schien er sich gleichwohl nicht: Am gereichten Bier nippte er nur kurz. In den Jubel der um ihn herumstehenden und applaudierenden Parteifreunde fiel er nur zaghaft ein. Er behielt sein Pokerface auch, als es dann ernst für ihn wurde: Offenbar erst im Live-Interview in den ARD-Tagesthemen erfuhr er, dass es aller Voraussicht nach nicht gereicht hatte für ihn und seine Koalition. Da hieß es Fassung bewahren.

Überraschung bei der FDP

Bei der FDP herrschte so oder so zuerst einmal Freude und große Erleichterung. Mit fast 10 Prozent hätten wohl auch die größten Optimisten nicht gerechnet - bei der letzten Umfrage hatte die FDP schließlich noch bei 4 bis 5 Prozent gelegen. Spitzenkandidat Stefan Birkner sagte, ihm seien viele Steine vom Herzen gefallen. "Wer hätte vor drei oder vier Monaten gedacht, dass die FDP da stehen würde, wo sie jetzt ist." Und nun reicht es trotzdem nicht für eine Fortsetzung der Regierungskoalition - auch das hatte kaum jemand erwartet.

Freude bei den Grünen

Die Grünen sind glücklich, nicht nur über den Sieg von Rot-Grün, sondern auch über ihr bisher bestes Ergebnis in Niedersachsen. Landeschef Jan Haude freute sich über die Rekord-Zahlen: "Wir haben starke Themen gesetzt - das haben die Wähler belohnt. Wir haben klar zugelegt, Schwarz-Gelb hat verloren."

Lange Gesichter bei Linken und Piraten

Enttäuschung dagegen bei den Linken und bei den Piraten. Beide Parteien verpassten den Einzug in das Landesparlament deutlich. Ursula Weisser-Roelle, Spitzenkandidatin der Linken, war mit dem Wahlkampf zufrieden, aber die Zuspitzung auf die Frage nach der künftigen Regierungskoalition habe Stimmen gekostet. "Viele Wähler hat das abgehalten. Sie haben gedacht, dass eine Stimme für die Linke eine verlorene Stimme sei." Der Spitzenkandidat der Piratenpartei in Niedersachsen, Meinhart Ramaswamy, zeigte sich enttäuscht über das Ergebnis. "Das ist so viel weniger als das, was ich erwartet habe", sagte Ramaswamy.

CDU verliert am meisten

Bei der Landtagswahl vor fünf Jahren war die CDU auf 42,5 Prozent gekommen - damals hieß der Spitzenkandidat noch Christian Wulff. Die SPD holte mit Wolfgang Jüttner 30,3 Prozent. Die FDP schaffte 8,2 Prozent, die Grünen 8,0 Prozent. Als fünfte Partei schaffte die Linke mit 7,1 Prozent den Einzug in den Niedersächsischen Landtag.

Wahlbeteiligung höher als vor fünf Jahren

Die Wahlbeteiligung lag bei 59,4 Prozent und damit etwas höher als bei der letzten Landtagswahl 2008. Damals gaben nur 57,1 Prozent der wahlberechtigten Bürger ihre Stimmen ab. Dabei ging es auch diesmal verhalten los: Um 12.30 Uhr hatten erst 23,03 Prozent der wahlberechtigten Niedersachsen gewählt. Das war nur wenig mehr als 2008 (22,65 Prozent).

Dieses Thema im Programm:

NDR//Aktuell | 20.01.2013 | 19:30 Uhr

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