Stand: 11.10.2017 12:03 Uhr

Harter Schlagabtausch zwischen Weil und Althusmann

von Marc Wichert

Innere Sicherheit, VW, Bildung: Es war das einzige TV-Duell und das letzte große, öffentliche Aufeinandertreffen der beiden Spitzenkandidaten für die niedersächsische Landtagswahl am kommenden Sonntag. Und es waren vor allem diese Themen, die am Dienstagabend zeigten: Die harte Auseinandersetzung im Landtag in den letzten Jahren hat sich im Fernseh-Duell zwischen Stephan Weil (SPD) und Bernd Althusmann (CDU) fortgesetzt. Der Ministerpräsident trifft auf den Herausforderer - kurz vor Ende eines Wahlkampfes, der am Ende zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen wird. Und der nur dadurch früher als vorgesehen begonnen hat, weil die Abgeordnete Elke Twesten von der Grünen-Fraktion zur CDU-Fraktion gewechselt ist.

"Das war Ihr schwerer Fehler"

Weil nannte Twestens Abgang im TV-Duell einen groben Verstoß gegen demokratische Spielregeln. "Der Vorgang hat auch bei vielen Menschen in Niedersachsen Empörung ausgelöst." Althusmann erwiderte: "Lassen wir die Kirche im Dorf." Das habe es oft gegeben in Deutschland, auch in Niedersachsen. "Das war Ihr schwerer Fehler", sagte Althusmann an Weil gerichtet. Twesten sei in ihrer Fraktion gemobbt worden.

Weil: Niedersachsen Spitze bei Ganztagsschulen

Hart ging es weiter beim Thema Bildung. Althusmann bescheinigte Rot-Grün eine chaotische Bildungspolitik. Die Unterrichtsversorgung sei gesunken, obwohl es mehr Lehrer bei weniger Schülern gebe. Althusmann: "Das, was wir zum Schuljahresbeginn erlebt haben, schlug dem Fass den Boden aus." Dass Tausende Lehrer von Gymnasien an die Grundschulen abgeordnet worden seien, sei ein Organisationsversagen. Unter Rot-Grün seien Studienplätze für Lehrer abgebaut worden. Weil konterte, dass Niedersachsen in den knapp fünf Jahren seit Regierungsantritt bundesweit Spitze bei den Ganztagsschulen sei und das "Turbo-Abitur" abgeschafft habe. Unter anderem wegen des Flüchtlingszuzugs sei die Situation an den Schulen aber schwierig gewesen. Die Landesregierung habe jedoch viel geschafft - auch wenn es durchaus noch "Baustellen", etwa bei der Unterrichtsversorgung, gebe. Im kommenden Jahr sollen jedoch Lehrer und Seiteneinsteiger eingestellt werden. Das Ziel: eine Unterrichtsversorgung von 100 Prozent erreicht werden.

Althusmann: "Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen"

Beim Thema VW, dem wegen der Diesel-Affäre und Einflussnahme auf die Politik massiv kritisierten Wolfsburger Autobauer, kochte es: Althusmann fragte rhetorisch, wie weit "der Ministerpräsident der Realität entrückt" sei. An Weil gerichtet sagte er zur Aufarbeitung des Abgas-Betrugs: "Sie haben die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen. Sie haben Millionen-Abfindungen unterschrieben." Weil konterte, dass die Fehlentwicklungen in der Zeit einer CDU-geführten Landesregierung begonnen hätten. Er warf Althusmann zudem vor, das Thema VW polemisch zum Spielball des Wahlkampfes zu machen. Das sei genau das, was sich Zehntausende Beschäftigte des Konzerns in Niedersachsen gerade nicht wünschten. Althusmann: "Sie haben sich treiben lassen." Weil: "Sie überblicken nicht, worüber Sie reden." Althusmann: "Sie haben sich am Ring durch die Manege führen lassen." Weil wiederum: "Ich mache Ihnen keine Vorwurf. Das ist nicht leicht zu verstehen."

Weil: Ausbildungsplätze für Polizisten verdoppelt

Ähnlich aufgeheizt war die Stimmung beim Thema Innere Sicherheit.Althusmann konstatierte, das Niedersachsen ein "Wohlfühlland" für religiöse Fanatiker geworden sei. "Ihre Regierung hat dem Thema keine ausreichende Bedeutung zugemessen." Weil verwies darauf, dass Niedersachsen im Jahr 2016 führend gewesen sei bei Rückführungen von Asylbewerbern. "Und Niedersachsen hat als erstes Land durchgesetzt, dass Gefährder abgeschoben werden." Zudem seien unter seiner Führung die Ausbildungsplätze für Polizisten verdoppelt worden. Althusmann blieb bei seinem Vorwurf, Rot-Grün gehe zu lax beim Thema Innere Sicherheit vor und schob nach: "Sie haben bislang erst zwei Gefährder abgeschoben."

Althusmann: Keine Koalitionsaussage

NDR Fernseh-Chefredakteur Andreas Cichowicz, der das Duell moderierte, ging schließlich auf mögliche Koalitionen nach der Wahl ein. Nach derzeitigem Stand hätten sowohl Rot-Grün als auch Schwarz-Gelb keine Mehrheit. Weil schloss eine Koalition mit den Linken und den Grünen nicht explizit aus, sagte aber: Er hoffe, dass die Linken nicht in den Landtag gewählt werden. Althusmann verweigerte eine klare Koalitionsaussage. "Wie werden nach der Wahl auf alle demokratischen Parteien zugehen." Die Linke und die AfD schloss er hingegen als Koalitionspartner aus.

Der Sieger? Unklar

Ob nun Weil oder Althusmann das Duell für sich entscheiden konnten, darüber sind Beobachter uneins. "Das Duell entsprach insgesamt den Umfragen: SPD und CDU liegen Kopf an Kopf", befand die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" (HAZ). Die "Lüneburger Landeszeitung" sah "Nervosität", ein ständiges "Sich-ins-Wort-Fallen", das "aber weniger ein Ausweis von Temperament als von schlechter Debattenkultur" gewesen sei. "Ein klarer Sieger war nicht auszumachen", meint ebenfalls "Spiegel Online". "Weil dominierte die erste halbe Stunde - Althusmann legte in der zweiten Hälfte zu."

Medienexperten unterschiedlicher Meinung

Auch Medienexperten wollen sich nicht auf einen Sieger festlegen. Kommunikationswissenschaftler Joachim Trebbe von der FU Berlin empfand den Herausforderer als "konfrontativer". Deshalb würde er "vermuten, dass Althusmann einen hauchdünnen Vorsprung hatte." Sein Kollege Wilfried Köpke von der Hochschule Hannover sieht das anders. "Weil lag in der Performance deutlich vorne", sagte er. Das mache er unter anderem an der Faktenstärke fest.

"Langweilig war dieses Duell nicht"

Insgesamt sahen Beobachter ein ausgeglichenes - und somit spannendes Duell. "Langweilig war dieses TV-Duell nun wirklich nicht", konstatierte die "Welt". Das habe auch an Moderator Cichowicz gelegen, der den Schlagabtausch "geschickt" geleitet habe, befand "Spiegel Online". Und die "Süddeutsche Zeitung" fragte gar: "Wie wäre die Bundestagswahl wohl gelaufen, wenn es dieses klassische, klare Format eines TV-Duells auf dem Messegelände von Hannover auch in Berlin zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Herausforderer Martin Schulz gegeben hätte?"

Kleines Duell mit Grünen, Linken, FDP und AfD

Bereits vor dem TV-Duell von Weil und Althusmann debattierten die Spitzenkandidaten der Grünen (Stefan Wenzel), der FDP (Stefan Birkner), der Linken (Anja Stoeck) und der AfD (Dana Guth) im Studio des NDR. Sie standen den Moderatoren Susanne Stichler und Thorsten Hapke Rede und Antwort zu den wichtigsten landespolitischen Themen. Dabei wurde deutlich: Die Grünen und die Liberalen liegen inhaltlich weit auseinander - was sich zum Beispiel an der Diskussion über die Bildung zeigte. Während Birkner der Regierung vorwarf, Politik gegen die Gymnasien gemacht zu haben, entgegnete Wenzel, dass die Schulen durch die Rücknahme des von Schwarz-Gelb initiierten Turbo-Abis entlastet worden sein. Die große Distanz zwischen den beiden Parteien könnte Auswirkungen auf eine mögliche Regierungsbildung haben. Schließlich scheint laut aktuellen Umfragen ein Zwei-Parteien-Bündnis von Schwarz-Gelb oder Rot-Grün nicht möglich. Ein Jamaika-Bündnis oder eine Ampel-Koalition liegen dagegen im Bereich des - zumindest rechnerisch - möglichen.

Weitere Informationen
Der Spitzenkandidat der CDU, Bernd Althusmann (l) und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) reichen sich im Fernsehstudio des ZDF für den Wahlabend in Hannover bei Bettina Schausten die Hand. © dpa Foto: Christian Charisius

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Dieses Thema im Programm:

NDR//Aktuell | 10.10.2017 | 21:00 Uhr

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