Stand: 07.10.2015 21:49 Uhr

VW-Aufsichtsrat wählt Pötsch zum Chefkontrolleur

Der VW-Aufsichtsrat hat den bisherigen Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch zum Vorsitzenden des Gremiums gewählt. Es sei sein persönliches Anliegen, dass der Skandal um die manipulierten Abgas-Werte von Diesel-Motoren aufgeklärt werde, sagte er am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Wolfsburg. "Ich bin mir dieser Verantwortung bewusst. Ich will und ich werde meinen Beitrag leisten." Diese Aufgabe würden alle Mitglieder des Kontrollgremiums sehr ernst nehmen. Er betonte auch, dass vor dem Konzern große Herausforderungen lägen: "Ich bin überzeugt, dass Aufsichtsrat und Belegschaft das schaffen können." Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufsichtsratsmitglied Stephan Weil (SPD) äußerte sich nach der Ernennung. Er verteidigte Pötschs Wahl gegen Kritik: "Wir sind überzeugt davon, dass Herr Pötsch aufgrund seiner großen Erfahrung und seines strategischen Weitblicks an dieser Stelle der richtige Aufsichtsratsvorsitzende ist."

Handlungsfähigkeit von VW müsse gestärkt werden

Bis zuletzt war die Personalie Pötsch auch im Aufsichtsrat umstritten. Der direkte Wechsel des neuen Aufsichtsratsvorsitzenden vom Konzernvorstand in das Kontrollgremium ohne "Abkühlungsphase" und seine nach wie vor ungeklärte Rolle im Abgas-Skandal habe für großen Gesprächsbedarf unter den Mitgliedern gesorgt. So hieß es aus Teilnehmerkreisen. Schlussendlich habe sich aber die Familie Porsche/Piëch mit ihrer Forderung zugunsten von Pötsch durchgesetzt. Die Kritik habe auch in der Diskussion des Aufsichtsrates "eine Rolle gespielt", so Weil. "Durch die Entscheidung des Amtsgerichts Braunschweig ist aber an dieser Stelle unseres Erachtens nach sehr klar, dass die rechtlichen Bedenken nicht greifen." Entscheidend sei zudem, dass "die Handlungsfähigkeit von Volkswagen" in der Krise gestärkt werde.

Huber bleibt vorerst im Aufsichtsrat

Pötsch löst Berthold Huber ab, der den Posten als Chef des Aufsichtsrats Ende April nach dem Rücktritt des früheren VW-Patriarchen Ferdinand Piëch übernommen hatte. Huber selbst bleibt offenbar vorerst im Kontrollgremium des Wolfsburger Konzerns. Er solle erst nach dem Gewerkschaftstag der IG Metall, der vom 18. bis 24. Oktober stattfindet, vom designierten neuen IG-Metall-Chef Jörg Hofmann im VW-Aufsichtsrat abgelöst werde. Das berichtete die Deutsche Presse-Agentur am Mittwochabend und berief sich dabei auf Gewerkschaftskreise.

VW-Aktie steigt

Am Mittwochvormittag hatte das Amtsgericht Pötsch zum Mitglied des Aufsichtsrates bestellt. Die Bestellung war eine Voraussetzung dafür, dass der Aufsichtsrat Pötsch zum Vorsitzenden des Gremiums wählen konnte. Die Personalentscheidung verhalf der angeschlagenen VW-Aktie an den Börsen offenbar ein wenig auf die Sprünge. Der Kurs stieg am Nachmittag zwischenzeitlich um acht Prozent.

Kraftfahrtbundesamt: VW legt Maßnahmenplan vor

In der Frage, wie die manipulierten Autos möglichst schnell umgerüstet werden können, hat Volkswagen am Mittwochabend dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) fristgerecht einen Maßnahmen-Plan vorgelegt. Darin werde von einer Rückrufaktion gesprochen, bestätigte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) in Berlin. Wie aus dem "umfangreichen Schreiben" hervorgehe, plant VW für die von Manipulationen betroffenen 2-Liter-Autos eine Software-Lösung. Diese neue Software solle noch in diesem Jahr vorliegen und von Anfang 2016 an eingebaut werden. Bei den 1,6-Liter-Motoren, die in Europa in 3,6 Millionen Autos verbaut sind, sei "mit großer Sicherheit" eine zusätzliche motortechnische Anpassung nötig, diese sei nicht vor September 2016 zu erwarten. Zu den betroffenen 1,2-Liter-Autos nannte Dobrindt keine Details.

KBA braucht einige Tage Zeit

Das KBA brauche nun einige Tage Zeit, um die Pläne zu prüfen, so Minister Dobrindt. Es werde dann "eine unabhängige Entscheidung über die von Volkswagen umzusetzenden Maßnahmen treffen und diese gegenüber Volkswagen anordnen". Der Minister betonte, er gehe davon aus, dass VW in der Lage sei, das Problem technisch zu lösen.

Müller: "Rückruf erst ab Januar"

Gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Mittwochausgabe) hatte der neue VW-Chef Matthias Müller bereits angekündigt, dass der Konzern erst im Januar des kommenden Jahres mit dem Rückruf der betroffenen Autos beginnen werde. VW müsse die "jeweilige Lösung" auf jedes Modell abstimmen und die notwendigen Teile bestellen. Sorgfalt gehe dabei vor Geschwindigkeit. "Bis Ende 2016 sollen dann alle Autos in Ordnung sein", sagte Müller im Interview, in dem er auch das Fußball-Engagement des Konzerns infrage stellte.

Entschuldigungsbrief für US-Kunden

Unterdessen verschickte der Wolfsburger Autobauer Entschuldigungsbriefe an Kunden in den USA. "Volkswagen hat Ihr Vertrauen verletzt. Ich kann Ihren Ärger und Frust voll und ganz verstehen und nachvollziehen", heißt es in dem von VW-US-Chef Michael Horn unterzeichneten Schreiben. Zudem berichten Kunden, dass sie von amerikanischen VW-Händlern Treueprämien in Höhe von umgerechnet rund 1.777 Euro angeboten bekommen hätten. Für eine Stellungnahme war der Konzern zunächst nicht zu erreichen. In einer vorab veröffentlichten Stellungnahme für eine Anhörung Horns vor dem US-Kongress bittet er im Skandal um Entschuldigung.

Deutsche Kundin fordert Rückabwicklung des Kaufvertrags

Derweil reichte eine VW-Kundin aus Bochum eine Klage auf Schadensersatz ein. Sie wolle ihren Wagen zurückgeben und fordere deshalb die Rückabwicklung des Kaufs. Das teilte ihr Anwalt mit, das Landgericht Braunschweig bestätigte den Eingang der Klage. Die Frau habe sich bewusst für ein Auto der vermeintlich schadstoffärmeren "Blue Motion"-Reihe entschieden und auch Extrakosten bei der Anschaffung in Kauf genommen. Jetzt sei sie enttäuscht und halte die Weiternutzung eines nicht schadstoffarmen Kfz für unzumutbar.

Betriebsratschef macht 22.000 Mitarbeitern Mut

Am Dienstag hatte die Konzernführung die Belegschaft über die möglichen Folgen des Abgas-Skandals informiert. Bei der Betriebsversammlung versammelten sich laut VW mehr als 22.000 Beschäftigte und hörten von Betriebsratschef Bernd Osterloh den entscheidenden Satz: "Derzeit, das ist die gute Nachricht, gibt es noch keine Konsequenzen für Arbeitsplätze." Aktuell seien durch den Abgas-Skandal und die drohenden Milliardenkosten keine Jobs bei Volkswagen gefährdet, so Osterloh. Dies gelte sowohl für die Stammbelegschaft als auch für Leiharbeiter. VW-Chef Matthias Müller schloss jedoch kurz darauf in seiner Rede einen Stellenabbau nicht ausdrücklich aus.

Weil sagt wegen VW Afrika-Reise ab

Wegen des Abgas-Skandals bei VW und den Problemen bei der Unterbringung von Flüchtlingen haben Ministerpräsident Weil und Innenminister Boris Pistorius (SPD) ihre Afrika-Reise Mitte Oktober abgesagt. In einem Brief rief Weil zudem die VW-Mitarbeiter zur Geschlossenheit in der Krise auf. "Bei Volkswagen arbeiten viele hunderttausend Menschen, die sich jeden Tag mit aller Kraft für das Unternehmen einsetzen und sehr gute Arbeit leisten", heißt es darin. "Es ist unerträglich, wenn jetzt das ganze Unternehmen und damit auch die Beschäftigten unter einen Generalverdacht gestellt werden."

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 06.10.2015 | 08:00 Uhr

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