Agrarsoziologin Pieper: Bauernproteste überwiegend demokratisch
Bei den "Bauernprotesten" gibt es Blockaden und Vereinnahmungsversuche von rechts. Janna Luisa Pieper, Agrarsoziologin an der Universität Göttingen, hält den Protest aber grundsätzlich für demokratisch.
Frau Pieper, was haben die Landwirtinnen und Landwirte mit ihrem Protest erreicht?
Janna Luisa Pieper: Zunächst haben die Landwirt*innen erreicht, dass Teile der Haushaltskürzungen in ihrem Bereich zurückgenommen wurden. Darüber hinaus scheint es so zu sein, als wäre dieser Bauernprotest Opfer seines eigenen Erfolgs geworden. Der Protest hat sich auf die Spitze des Eisbergs bezogen, die Kürzungen der Ampelregierung. Der darunterliegende Rest an Existenzängsten wurde bisher eigentlich wenig vermittelt. Hier besteht ein Kommunikationsproblem. Dann gab es eine Abgrenzung nach Rechts und ins Verschwörungsmilieu, die erfolgte aber zeitverzögert. Zwar haben sich die großen Verbände mal mehr, mal weniger scharf abgegrenzt. Dennoch ist es so, dass die Abgrenzung nach Rechts auch dem Einzelnen obliegt, das ist auch in deren Verantwortung. Hinzu kommt, dass die Radikalität mancher Aktionen viele Bürger*innen verstört hat. Nicht erst seit der Blockade der Fähre mit Minister Habeck in Schlüttsiel. Und es scheint auch so, dass sich manche andere Berufsgruppen durch den Protest benachteiligt fühlen. Was ich auch bemerkenswert finde, ist, dass Landwirt*innen aller Couleur demonstrieren. Also große Agrarlobby und kleine Verbände, das ist ein großer Erfolg. Gleichzeitig bedeutet das aber auch, dass alle Landwirt*innen über einen Kamm geschoren werden können.
Was meinen Sie damit, "über einen Kamm geschoren"?
Pieper: Es wird gerade, so beobachte ich das bei Social Media, von einigen Landwirt*innen kritisiert, dass sie ins rechte Lager geschoben werden. Oder dass jetzt gesagt wird, die ganze Protestbewegung sei radikalisiert. Und da kann ich nur sagen: Natürlich besteht die Gefahr rechter Vereinnahmung. Teilweise melden rechtsradikale Gruppen, die gar nichts mit der Landwirtschaft zu tun haben, Veranstaltungen an. Es wird auch von vereinzelten Sichtungen vom Emblem der historischen rechtsextremen Landvolkbewegung berichtet. Und das Verschwörungsmillieu ruft ebenfalls zur Teilnahme an den Bauernprotesten auf. Da ist es natürlich schwierig, diese ganze Protestbewegung vom rechten Rand zu distanzieren. Daher droht die Gefahr, dass die gesamte Protestbewegung über einen Kamm geschoren wird.
Wie erfolgreich sind denn die Vereinnahmungversuche durch rechtsextreme Gruppen Ihrer Einschätzung nach?
Pieper: Das kann ich so gar nicht sagen. Dazu bräuchte ich empirische Studien, um das beantworten zu können. Meines Erachtens nach und den Medienberichten nach, die ich gelesen habe, ist es im Moment so, dass es Radikalisierungstendenzen gibt und Vereinahmungsversuche von Rechts, etwa von den "Freien Sachsen", um das Momentum für sich zu nutzen. Wie erfolgreich das letztendlich sein wird? Ich glaube, das kann uns der Ausgang der verschiedenen Wahlen in diesem Jahr zeigen.
Worum geht es denn den Landwirtinnen und Landwirten?
Pieper: Den Landwirt*innen geht es eigentlich darum, erst einmal den Koalitionsbeschluss um Agrardiesel und KfZ-Steuer rückgängig zu machen. Das ist ihnen zum Teil gelungen. Und dieser Koalitionsbeschluss um Agrardiesel und KfZ-Steuer war eigentlich auch der letzte Tropfen, der die Landwirt*innen auf die Straße gebracht hat. Der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Eigentlich geht es bei der Bauernprotestaktion um viel mehr. Wie auch schon 2019 und 2020 geht es um das Überleben des Berufsstandes, Anforderungen an die Landwirtschaft und Zukunftsängste. Dieses Mal sind aber Landwirt*innen aller Richtungen mobilisiert. Und das hat ein enormes Potential.
Es gab massive Blockaden, zum Beispiel von Verkehrsadern. Aber auch von Unternehmen, wie etwa dem Volkswagenwerk in Emden, oder eines Containerterminals in Bremerhaven. Dazu tagelage Proteste und eine globale Regierungskritik. Was sagt denn dieser Protest aus über das Verhältnis der Landwirtinnen und Landwirte zur demokratischen Gesellschaft?
Pieper: Ich würde sagen, es geht hier um Existenzängste. Existenzängste können rigide Abwehrreaktionen in Form von Feindbildkonstruktionen, Verschwörungsmythen und Hass hervorrufen. Die vehemente Kritik an "der Ampel" und an den "Berliner Eliten" in Form der vermeintlich "links-grün-versifften" Medien, an den Verbrauchern, "der" Politik, "den" Grünen greift ein typisches rechtspopulistisches Narrativ auf: Man operiert mit einfachen Feindbildern und simplifizierenden Erklärungen für komplexe Probleme, stilisiert sich als Opfer und betreibt pauschale Mobilmachung gegen "die da oben". Es geht andererseits aber auch um Anerkennung. In diesen Kämpfen, so deute ich es jedenfalls, ringen die landwirtschaftlichen Akteur*innen um Wertschätzung ihrer Leistungen. Sie empfinden gegenwärtig oft einen Statusverlust und soziale Deklassierung. Es entsteht somit der Eindruck, dass die protestierenden Landwirt*innen ihren gesellschaftlichen Beitrag nicht gewürdigt sehen und sie nicht den Respekt erhalten, der ihnen ihrer Meinung nach gebührt.
Hat das Ganze auch eine demokratiefeindliche Komponente?
Pieper: Ich möchte dieser gesamten Protestbewegung nicht unterstellen, demokratiefeindlich zu sein. Nichtsdestotrotz sind einige Gruppierungen, die sich in dem Momentum dieses Protests bewegen, demokratiefeindlich. Wenn man sich beispielsweise gewisse rechtsextreme Bewegungen ansieht oder Verschwörungsideolog*innen, die zum Umsturz unserer Regierung aufrufen. Man muss das klar differenzieren und darf nicht den Fehler begehen, die ganze Bewegung als demokratiefeindlich einzustufen. Es gibt Elemente, die versuchen, diesen Protest zu kapern. Und es gibt auch einige Landwirt*innen, die demokratiefeindliche Parolen bedienen. Wie viele das sind, lässt sich schwer sagen. Das geschieht aus Verunsicherung, Zorn und Existenzängsten. Und diese Gefühlslage ist leicht durch Rechtspopulist*innen zu vereinnahmen.
Das Interview führten Wieland Gabcke, Uwe Day und Christina Herz.