"Zehn Jahre Lehrermangel" - Ministerin löst Diskussion aus

Stand: 21.12.2022 08:15 Uhr

Kultusministerin Julia Willie Hamburg hat im NDR Interview Klartext in Bezug auf die Situation an den Schulen gesprochen. Sie geht davon aus, dass der Lehrkräftemangel mindestens zehn Jahre anhält.

von Torben Hildebrandt

Die Reaktionen auf ihre ehrliche Einschätzung fallen überwiegend positiv aus - aber es gibt auch Kritik. Der niedersächsische Philologenverband, ein gewerkschaftlicher Zusammenschluss von Lehrern an Schulen, freut sich über die Äußerung Hamburgs. "Es ist hervorragend, dass sie sich der Realität stellt", sagte der Vorsitzende Christoph Rabbow. Die Kultusministerin habe mit ihrer Einschätzung recht. Die Schulen stünden vor "Jahren der Überbrückung", glaubt Rabbow. "Das Personal reicht hinten und vorne nicht". Für den Philologenchef ist klar, dass die Landesregierung nun auch Tatsachen schaffen müsse. Rabbow fordert, das Lehramtsstudium neu zu organisieren - damit dann in "sieben bis acht Jahren" mehr Lehrkräfte ins System kommen. "Wir müssen beginnen", verlangt der Lehrerfunktionär.

CDU sieht "politische Bankrotterklärung"

Kritik kommt dagegen von der CDU im niedersächsischen Landtag; die Oppositionsfraktion spricht von einer "politischen Bankrotterklärung". CDU-Bildungspolitiker Christian Fühner wird deutlich: "Sie gibt offen zu, dass sich der Lehrkräftemangel und die daraus resultierende schlechte Unterrichtsversorgung zu einem Dauerzustand in Niedersachsen entwickeln werden." Aber anstatt Wege aus der Krise und konkrete Lösungen aufzuzeigen, spreche die Kultusministerin nur davon, dass nun eine bundesweite Diskussion geführt werden sollte, so Fühner. Für ihn steht fest: Hamburg habe einen Fehlstart hingelegt. Er verweist auch darauf, dass das Kultusministerium in den vergangenen zehn Jahren SPD-geführt war. Die Sozialdemokraten haben aus seiner Sicht einen "bildungspolitischen Scherbenhaufen" hinterlassen.

VNL: "Hamburg steht vor Quadratur des Kreises"

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verlangt Reformen - keine Ausbesserungen, sondern den großen Wurf. Das Land müsse endlich "bedarfsgerecht ausbilden". "Unsere Forderung war immer, sich mit den echten Zahlen zu beschäftigen", erläutert GEW-Sprecher Christian Hoffmann. Das passiere nun offenbar. Der Verband Niedersächsischer Lehrkräfte (VNL) begrüßt, dass die Grünen-Politikerin den Personalmangel offen einräumt. "Kultusministerin Julia Willie Hamburg steht quasi vor der Quadratur des Kreises", sagt VNL-Landeschef Torsten Neumann. "Es wird nicht leicht für sie werden. Wir werden ihr Gesprächsangebot gerne annehmen."

Schulleitungsverband: "Richtig guter Schritt"

Das verspricht auch René Mounajed, der Vorsitzende des Schulleitungsverbands Niedersachsens (SLVN). Er lobt die neue Offenheit der Ministerin. "Das ist ein erster richtig guter Schritt. Wenn man nicht sagt‚ ach, das wird schon irgendwie - sondern, dass es ein riesengroßes Problem gibt." Er hofft, dass die Kultusministerin mit ihrer Zehn-Jahres-Äußerung die Tür für grundsätzliche Reformen geöffnet hat. Mounajed wirft Fragen auf: Ist der Unterricht in seiner jetzigen Art noch zeitgemäß? Braucht es so viele Schulformen? Wie können Lehrpläne entschlackt werden? Darüber müsse jetzt gesprochen werden.

Schülerrat fordert am Unterricht orientierte Ausbildung

Der Landesschülerrat reagierte ebenfalls positiv auf die Aussage der Ministerin. "Es ist endlich eine Prognose, die ehrlich ist, auf die man sich einstellen und mit der man arbeiten kann", sagte Vorstandsmitglied Yanik Möller laut Mitteilung vom Mittwoch. Ein wichtiger Schritt sei es, die Ausbildung von Lehrkräften attraktiver und näher am Unterricht zu gestalten. Alle Schüler hätten schon mal eine Referendarprüfung miterlebt und "man kann nicht sagen, dass auch nur eine dieser Prüfungen ansatzweise nahe am wirklichen Unterrichtsgeschehen orientiert ist". Das seien Punkte, die jedem Schüler auffielen und die die Berufswahl beeinflussten, sagte Möller weiter.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Funkbilder - der Tag | 20.12.2022 | 16:00 Uhr

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