Zehn Jahre Anspruch auf Kita-Betreuung: Wird jedes Kind versorgt?
Das Recht auf einen Betreuungsplatz schon im Kleinkindalter: Auf den Tag genau vor zehn Jahren wurde es eingeführt. Nun gibt es zwar mehr Kinder in den Einrichtungen - es fehlen aber Erzieherinnen und Erzieher.
Die beiden Söhne von Marie (Namen geändert) waren noch gar nicht geboren, als der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz Realität wurde. Jahre später bekamen auch sie einen Betreuungsplatz. Über den gesetzlich verbrieften Anspruch, der für alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr gilt, ist die Mutter froh. "Ich möchte arbeiten, und ich muss auch arbeiten", sagt sie im Gespräch mit dem NDR in Niedersachsen. "Ohne Krippenplatz wären wir aufgeschmissen."
Zahl der Kita-Kinder verdoppelt
Fast doppelt so viele Kleinkinder wie noch vor zehn Jahren besuchen inzwischen eine Kita, mehr als 61.000 waren es im vergangenen Jahr. Das geht aus Zahlen des Kultusministeriums hervor. Wurden 2013 noch knapp 19 Prozent aller Kinder unter drei Jahren in einer Kita betreut, waren es zuletzt 26,7 Prozent. Auf dem Papier scheint der Rechtsanspruch also gewirkt zu haben.
Suche nach Kita-Platz: "Man nimmt, was man kriegt"
In der Praxis gestaltet sich die Suche nach einer Kita oder Krippe aber äußerst schwierig für Eltern. "Man nimmt, was man kriegt", sagt Marie. Es gebe immer noch zu wenig Betreuungsplätze. Tatsächlich kommt es weiterhin vor, dass ein Kind leer ausgeht und keinen Platz bekommt. Wie häufig das passiert, kann das Kultusministerium nicht beziffern.
Mehr Kinder - aber nicht mehr Personal
Das Problem: Überall herrscht Personalmangel. Ein Paragraf im Gesetz kann schließlich keine Erzieherinnen und Erzieher herbeibestimmen. "Es gehen viel mehr Kinder in die Einrichtungen - ohne dass die Erziehungskräfte aufgestockt wurden", beschreibt Melanie Krause die Auswirkungen des Rechtsanspruchs. Die Vorsitzende des Kita-Fachkräfteverbands Niedersachsen berichtet von neu gebauten Kindertagesstätten, die nicht eröffnen konnten, weil das Personal fehlte. Sie befürworte den Rechtsanspruch, doch es müsse auch in den Einrichtungen nachgesteuert werden, sagt Krause.
Betreuungszeiten werden verkürzt
Der Personalmangel sorgt derzeit beispielsweise in Osnabrück dafür, dass die Kinderbetreuung in den städtischen Kitas bereits um 14 Uhr endet. Mehr ist mit dem vorhandenen Personal nicht zu schaffen. Anderenorts werden Gruppen zusammengelegt, weniger Betreuerinnen müssen sich dann um mehr Kinder kümmern.
Quantität vor Qualität?
"Wir stecken mehr in die Quantität als in die Qualität", befürchtet Krause. Qualität, das bedeute für sie als Erzieherin, mehr Zeit für die Kinder zu haben, auf sie persönlich einzugehen - und sie auch für den Weg in die Grundschule vorbereiten zu können. "Das können wir gar nicht mehr in dem Ausmaß leisten, wie wir es gerne hätten,", sagt Krause. Sie warnt: Wenn es so weiter geht, "dann sind wir nachher in der Betreuung, wo wir vor 20 Jahren waren".
Eltern in der Zwickmühle
Viele Eltern stecken in einer Zwickmühle: "Sie sind froh, wenn sie überhaupt einen Krippenplatz bekommen und arbeiten gehen können", sagt Janine Herzberger von der Landeselternvertretung niedersächsischer Kindertagesstätten. Andererseits verzichteten die Eltern "gezwungenermaßen auf Qualität und bessere frühkindliche Bildung". Nicht zuletzt Kinder mit besonderen Förderbedarfen gingen in dieser Situation unter.
Kultusministerin: Personalmangel wird andauern
Mehr Erzieherinnen und Erzieher werden also händeringend gesucht. Das heißt: Der Job müsste attraktiver werden. Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) betont, dass bereits mehr Fachkräfte ausgebildet werden. "Wir haben in den letzten Jahren auf der einen Seite immer mehr Plätze geschaffen und gleichzeitig die Qualitätsstandards erhöht", sagt die Ministerin. Auch der Quereinstieg aus ähnlichen Berufen soll vereinfacht werden. Bis ausreichend Fachkräfte da seien, werde es aber noch ein paar Jahre dauern.
"Keine Verwahranstalten"
Ein großer Anreiz wäre es, so Melanie Krause, wenn die Auszubildenden von Anfang an Geld verdienen würden - so, wie in handwerklichen Berufen auch. Viel wichtiger sei aber, dass die Politik die Kindertagesstätten als Bildungseinrichtungen ernst nimmt. "Wir sind nämlich keine Verwahranstalten", sagt Krause.