Mehr als ein Zuhause - Pflegeeltern händeringend gesucht

Stand: 29.09.2023 09:13 Uhr

In Niedersachsen fehlen Pflegefamilien, die Kinder aufnehmen, deren Wohl bei den leiblichen Eltern gefährdet ist. Sie müssen bereit sein, ihr Leben radikal zu ändern. Denn sie brauchen nicht nur viel Zeit.

von Sabine Hausherr

"Liebe allein und ein schönes Zuhause reichen nicht", sagt Nevim Krüger, die sich vor elf Jahren selbst dazu entschieden hat, zusammen mit ihrem Mann ein Pflegekind aufzunehmen. Denn meist hätten die Kinder Probleme ihrer leiblichen Eltern miterlebt, wie zum Beispiel Drogen- oder Alkoholmissbrauch. Oder sie haben körperliche Gewalt erlebt oder wurden vernachlässigt. "Viele von ihnen sind traumatisiert und müssen erst wieder lernen, Vertrauen und eine Bindung zu Erwachsenen aufzubauen", sagt Nevim Krüger. Das müssten potenzielle Pflegeeltern wissen und auch bereit sein, sich dementsprechend weiterzubilden. Gerade in der Anfangszeit sei außerdem oft eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung nötig, damit die Kinder gut in der neuen Familie ankommen können.

"Manche Kinder horten Essen"

Nevim Krüger ist Vorsitzende des Landesverbands der Pflege- und Adoptivfamilien in Niedersachsen (PFAD Niedersachsen e.V.) und vertritt nach eigenen Angaben rund 300 Pflegeeltern in Niedersachsen. "Manche Kinder horten Essen, weil sie in ihrer Ursprungsfamilie zu wenig bekommen haben", erzählt Nevim Krüger. "Oder aber sie ecken immer wieder in der Schule an oder machen ihren Pflegeeltern haltlose Vorwürfe, dass diese sich zu wenig kümmern", erzählt Nevim Krüger. Alles Geschichten, die sie an ihrem Beratungstelefon für Pflegeeltern immer wieder hört. Das alles müsse man bereit sein, auszuhalten und auch immer wieder Verständnis für die Situation der Kinder aufbringen.

Voraussetzungen für Pflegeeltern

Laut Nevim Krüger müssen Pflegeeltern viel mitbringen, wenn sie ein Pflegekind aufnehmen wollen:

  • viel Zeit, insbesondere in den ersten ein bis zwei Jahren, um dem Kind zu zeigen, wichtig und gewollt zu sein und es genau kennenzulernen
  • sich auf die Kinder und das, was sie erlebt haben, einzulassen
  • Belastbarkeit, Geduld, Toleranz und Humor, um auch Krisen und Rückschläge gemeinsam mit dem Kind zu überstehen
  • Die Bereitschaft, sich nach dem Bedarf der Kinder fort- und weiterzubilden
  • Kooperationsbereitschaft mit Menschen im System Pflegekind (Jugendamt, Kindergarten, Schule) 

Bedarf an Pflegefamilien im ganzen Land hoch

Wie viele Pflegefamilien in Niedersachsen fehlen, dazu gebe es keine belastbaren Zahlen, sagt eine Sprecherin des Landesjugendamtes in Niedersachsen. Doch immer wieder suchen Kommunen nach geeigneten Familien. Die bekommen laut Krüger je nach Alter und Bedarf des Kindes Pflegegeld in Höhe rund 950 Euro pro Monat. Doch meist müsse ein Elternteil seinen Beruf aufgeben, um sich voll und ganz um das Pflegekind zu kümmern. Und während früher viele Mütter wegen der Kinder und der Familie zumindest eine gewisse Zeit aus dem Job ausstiegen, könnten sich das heute immer weniger Frauen vorstellen. Auch das ist ein Grund, warum die Suche schwieriger geworden ist. 

Ein sicherer Platz fürs Kind

Viele hätten zudem die Sorge, dass ihnen die Kinder jederzeit wieder weggenommen werden könnten. "Das aber kommt in der Praxis seltener vor, als befürchtet", berichtet Nevim Krüger. Für sie jedenfalls gebe es nichts Erfüllenderes im Leben, als einem Kind einen sicheren Platz zu geben. Deswegen würde sie sich auch immer wieder für ein Pflegekind entscheiden. Mit allen Vor- und Nachteilen.

Dieses Thema im Programm:

Hallo Niedersachsen | 28.09.2023 | 19:30 Uhr

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