"Die schlimmste Zeit meines Lebens": Referendare unter Druck

Stand: 18.01.2024 08:43 Uhr

In Niedersachsen absolvieren etwa 4.000 angehende Lehrkräfte ein Referendariat. Viele schildern die Ausbildungsphase dabei als belastend: Sie berichten von hohem Druck und einem harschen Umgangston.

von Birgit Stamerjohanns

Besonders in der Kritik: das Studienseminar Oldenburg. Auch Michael (Name von der Redaktion geändert) hat an diesem Studienseminar für Gymnasiallehramt in Oldenburg sein Referendariat gemacht. Seine Erinnerungen an diese Zeit seien geprägt von Überlastung und Unsicherheit: "Es wird einem immer wieder gesagt, man habe fachlich nichts drauf und müsste zu Hause ganz viel nacharbeiten", erinnert sich Michael, der nur anonymisiert sprechen möchte. In seinem Studium freute er sich zunächst auf die praktische Ausbildungsphase, sagt er. Diese Freude sei aber oft überschattet gewesen von Druck und Versagensängsten.

Viele Kritikpunkte an Lehrer-Ausbildung

Einem anderen Referendar aus Oldenburg erging es ähnlich, auch er möchte nur anonym sprechen. "Nach dem Studium konnte ich endlich das machen, worauf ich hingearbeitet habe: vor einer Klasse stehen, unterrichten, mit Schülern diskutieren", sagt Stefan (Name von der Redaktion geändert). An das Referendariat selbst hat er nur wenig gute Erinnerungen. Stefan spricht von Druck am Oldenburger Studienseminar, fehlenden Ausbildungskriterien, sogar von Willkür in der Notengebung.

VIDEO: Angehende Lehrkräfte bereits im Referendariat am Limit (20.06.2023) (3 Min)

Referendar: "Für mich ist eine Welt zusammengebrochen"

Irgendwann habe Stefan von einem Ausbilder erfahren, dass er in einem Fach auf einer Fünf stehe: "Für mich ist eine Welt zusammengebrochen. Ich dachte, ich sei auf einem guten Weg, es gab positive Rückmeldungen auf meinen Unterricht und ich habe die Verbesserungsvorschläge der Seminarleitung immer aufgegriffen", sagt er. Mit den Schülern und dem Kollegium habe es nie Probleme gegeben, wohl aber mit den Ausbildern. Der Referendar habe sich ausgeliefert gefühlt. Stefan bricht die Ausbildung erst einmal ab, obwohl der Lehrerberuf nach wie vor sein Traumjob sei.

Studie: Etwa die Hälfte der Referendare bricht Ausbildung ab

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verweist auf eine repräsentative Studie des Stifterverbandes, einem Zusammenschluss von Unternehmen und Wissenschaftsorganisationen: Demnach gibt etwa die Hälfte der Lehramtsstudierenden im Laufe ihrer Ausbildung auf, entweder schon während des Studiums oder im Referendariat. Von den 41 angehenden Lehrern, die im August 2021 ihre Ausbildung für Gymnasiallehramt am Studienseminar Oldenburg begonnen hatten, haben 18 das Referendariat nicht auf Anhieb geschafft oder abgebrochen, das entspricht etwa 43 Prozent.  

Bessere Verzahnung in der Ausbildung gewünscht

Dabei wird der Lehrernachwuchs dringend gebraucht: Zu Schuljahresbeginn 2023 waren nach Angaben des Kultusministeriums in Niedersachsen 300 Lehrerstellen unbesetzt und in den kommenden Jahren gehen zudem etliche Lehrerinnen und Lehrer in Pension. Laut GEW fehlen in Niedersachsen sogar etwa 7.500 Lehrkräfte. Der Oldenburger Erziehungswissenschaftler Till-Sebastian Idel fordert eine bessere Verzahnung von Studium und Praxis: "Wichtig ist, dass man die Ausbildung an der Schule weiterentwickelt, dass man die Unterstützung, Beratung und das Coaching intensiviert." Außerdem müsse die Beratung von der Bewertung entkoppelt werden, sprich: Die angehenden Lehrer sollten sich an der Schule ausprobieren können, ohne negative Folgen für ihre Beurteilung befürchten zu müssen.

Homepage für Austausch und Hilfe im Referendariat

Einige ehemalige Referendare aus Oldenburg haben nach ihren negativen Erfahrungen eine Homepage ins Leben gerufen, um auch anderen eine Stimme zu geben. Zu lesen: auch Gutes über das Referendariat, es überwiegt aber die Kritik: "Man wird krank gemacht und ist komplett ausgeliefert.", schreibt ein Referendar. Ein anderer: "Das Durchfallen durch die Prüfungen schien geplant und abgesprochen." Oder auch: "Für mich war es die schlimmste Zeit meines Lebens." Die kritischen Stimmen kommen nicht nur aus Oldenburg, sondern auch aus Osnabrück, Celle und Wilhelmshaven.  

Kultusministerium setzt sich mit Kritik auseinander

Im Kultusministerium sind die Vorwürfe aus Oldenburg bekannt, diese werden aktuell aufgearbeitet. Auf Anfrage schreibt das Ministerium, dass gerade das Studienseminar dort für das Lehramt an Gymnasien bei jedem Einstellungstermin sehr nachgefragt sei: "Das ist ein Indiz dafür, dass die Situation an diesem Standort keineswegs aus der Sicht aller Auszubildender kritisch gesehen wird." Und: "Die überwiegende Mehrzahl der Lehrer im Vorbereitungsdienst bestehe die Staatsprüfung erfolgreich und mit erfreulich guten Noten."

Erster Schritt: Beratungsangebot geschaffen

Das Studienseminar Oldenburg selbst antwortet nicht auf Fragen, reicht diese stattdessen weiter an die Pressestelle der regionalen Landesämter für Schule und Bildung (RLSB) in Lüneburg. Von dort heißt es, man sei in guten Gesprächen mit den Betroffenen, um die Kritik aufzuarbeiten. Man nehme die Vorwürfe sehr ernst, vor allem auch den der hohen mentalen Belastung. Es sei bereits kurzfristig ein Vorort-Beratungsangebot geschaffen worden. Das Angebot werde sehr gut angenommen. Die ehemaligen Oldenburger Referendare hoffen nun, dass sich die Situation verbessert und ihre Stimmen nun endlich gehört werden.

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Dieses Thema im Programm:

Hallo Niedersachsen | 16.01.2024 | 19:30 Uhr

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