Streit um Mängel: Rostocker Flüchtlingsunterkunft schließt

Stand: 24.11.2022 05:23 Uhr

Schon seit Jahren gibt es Probleme mit der Geflüchtetenunterkunft in Rostock Langenort. Die Stadtverwaltung wirft dem Vermieter vor, nicht genug gegen Mängel zu tun. Dieser Streit ist nun eskaliert, die Unterkunft soll in einigen Wochen geschlossen werden.

von Jürn-Jakob Gericke

Ziemlich abgelegen im Rostocker Nordosten, in Langenort sind etwa 150 Menschen in einem ehemaligen Bürogebäude untergebracht. Unter ihnen ist Marzieh Moeinisahka aus dem Iran, sie hat hier zwei Zimmer mit ihren Söhnen Taha und Liam sowie mit ihrem Mann Amir, der etwas später als sie nach Rostock kam. Marzieh wohnt schon seit 2018 in der Unterkunft- ohne eigene Küche oder ein eigenes Bad. Für jeden Flur gebe es eine Küche, die sich viele Leute teilen müssen. Aber mehrere Herde seien kaputt, berichtet Marzieh. Lange Zeit habe es für die Frauen in der Unterkunft nur einen Duschraum in der siebten Etage gegeben, vor mehreren Wochen seien zwei neue Bäder eröffnet worden. Derzeit sei ein Duschraum für Männer wegen eines Schimmelproblems gesperrt, sagt Marzieh weiter.

Schimmelproblem in Duschräumen

Der Vermieter des Gebäudes, Matthias Boywitt, bestätigt dem NDR, dass es Schimmelbefall in Bädern im Gebäude gab und gibt. Zwei Duschräume seien deswegen noch in Bearbeitung, die übrigen habe er dieses Jahr erneuern lassen. Die Unterkunft sei aber nicht anfällig für Schimmel, der Befall sei durch eine unsachgemäße Nutzung der Bäder entstanden. Einige Bewohner hätten das Wasser aus den Duschkabinen laufen lassen, sodass der Boden geflutet war. Die neuen Bäder seien darum mit zentralen Wasserabläufen gebaut worden. Eine Gefahr für die Bewohner besteht oder bestand durch den Schimmel nicht, sagt Boywitt.

Fotos zeigen schlechte Zustände im Gebäude

Außer den Problemen mit den Bädern sei die Geflüchtetenunterkunft "top", so der Vermieter weiter. Mehrere Personen, die in den vergangenen Wochen im Gebäude waren, zeichnen aber ein anderes Bild. Es rieche noch stark nach Schimmel, sagt ein Besucher. Auf Bildern, die kürzlich in der Unterkunft gemacht worden sein sollen, ist offenbar grob übermalter Schimmel an der Decke eines Waschraums zu sehen. Zudem viele schmutzige Stellen und große Flecken an Wänden im Flur.

Stadtverwaltung gibt sich zugeknöpft

Überprüfen lassen die Angaben und Eindrücke nicht. Denn die Stadt als Mieterin lässt keine Journalistinnen und Journalisten in die Unterkunft. Der zuständige Senator Steffen Bockhahn (DIE LINKE) äußert sich nach mehrmaliger NDR-Anfrage nicht selbst. Im Gespräch mit dem NDR vermuten mehrere Flüchtlingshelferinnen und -Helfer, dass der Senator zu dem Thema lieber schweigt. Über die Pressestelle der Stadtverwaltung lässt Bockhahn ausrichten: "Die Gemeinschaftsunterkunft ist bewohnbar, wenngleich sie unbestritten Mängel aufweist. Genau deswegen sind wir seit Jahren mit dem Vermieter im Streit." Dieser Streit ist offenbar eskaliert. Der Vermieter habe den Mietvertrag zum 31. Dezember 2022 gekündigt, so die Stadtverwaltung weiter.

Stadt zahlte teils keine Miete mehr

Die Auseinandersetzung zwischen Stadt und Vermieter hat die Zustände für die Menschen in der Unterkunft offenbar verschlimmert. Über mehrere Wochen gab es dieses Jahr kein warmes Wasser im Gebäude, denn laut Matthias Boywitt war eine Umwälzpumpe defekt. Er habe sich erst geweigert, das "nicht ganz billige" Gerät zu ersetzen, weil die Stadt aufgrund des Streits um den Schimmel in den Bädern teilweise keine Miete gezahlt hatte. Wie der Vermieter weiter erklärt, musste er aufgrund einer einstweiligen Verfügung den Umbau dann doch realisieren.

Containerdorf als alternative Unterkunft

In den kommenden Wochen sollen die etwa 150 Bewohnerinnen und Bewohner der Unterkunft in ein Containerdorf umziehen. Dieses soll in unmittelbarer Nähe des S-Bahnhofs Rostock-Marienehe aufgebaut werden. Noch fehlt allerdings die Baugenehmigung. Die Stadtverwaltung rechnet jederzeit mit einer Erlaubnis für den Start, es seien nur noch Details zu klären. Der Verein "Rostock hilft", der Geflüchtete in Rostock zusammenbringt und berät, sieht die geplante Unterkunft aus Stahlmodulen dagegen kritisch. Das Containerdorf sei keine optimale Lösung.

"Rostock hilft" plädiert für mehr Unterkünfte

"Langenort hat der Stadt immer wieder Probleme bereitet. Für uns hat dieser Prozess eindeutig zu lange gedauert, man hätte früher nach Alternativen suchen müssen", sagt Ronja Thiede, eine Sprecherin von Rostock hilft. Der Verein habe besonders seit dem Beginn der Corona-Pandemie immer wieder angemahnt, dass die Stadt nicht genügend Unterbringungsmöglichkeiten hat. Thiede rät zum Neubau einer Gemeinschaftsunterkunft, wenn Rostock im kommenden Dreivierteljahr keine weiteren Räumlichkeiten für Geflüchtete findet.

Wohnungssuche für Geflüchtete schwierig

Eine Wohnung zu finden- das sei für Schutzsuchende in Rostock sehr schwierig. Zum einen gebe es das Problem, dass Vermieter nicht so gern an Geflüchtete vermieten wollen, sagt Ronja Thiede weiter: "Rassismus auf dem Wohnungsmarkt ist leider immer noch ein Problem, auch bei Wohnungsgesellschaften!" Zum anderen gebe es in der Hansestadt für Familien wenig Wohnraum, dessen Kosten durch das Sozialamt oder das Jobcenter übernommen werden. Allgemein müssten laut Thiede viel zu viele Schutzsuchende in Rostock viel zu lange in Unterkünften leben. Auch Menschen, die eigentlich schon eine Berechtigung hätten für eine eigene Wohnung, zum Beispiel afghanische Ortskräfte.

Stadt muss keine Wohnungen stellen

Die Stadtverwaltung entgegnet auf Anfrage, dass Geflüchtete mit Aufenthaltstitel wie alle anderen Menschen in der Stadt selbst für die Wohnungssuche zuständig sind. Man biete dafür zwar Unterstützung an. Die Berechtigung außerhalb von Gemeinschaftsunterkünften zu leben, führe aber nicht zu einer Berechtigung oder gar einen Anspruch auf eine von der Stadt gestellte Wohnung.

Happy End für Marzieh und Familie

Die Iranerin Marzieh Moeinisahka und ihre Familie hatten nun Glück- nach Jahren der Suche. Vor wenigen Tagen hat sie einen Vertrag für die erste eigene Wohnung in Rostock unterschrieben. Nicht nur sie und ihr Mann können es kaum erwarten, sagt Marzieh: "Seit acht Jahren haben wir keine Wohnung. Wir haben den Iran verlassen, als mein Sohn drei Jahre alt war und sind seitdem unterwegs. Jetzt ist er elf Jahre alt und hatte noch kein eigenes Zimmer für sich. Er freut sich sehr darauf!"

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 24.11.2022 | 08:00 Uhr

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