Stand: 23.10.2015 18:04 Uhr

Prora: Luxus-Wohnungen im Nazi-Bau

von Elena Kuch

Es gilt als das längste Gebäude der Welt. Viereinhalb Kilometer Stahlbeton ragen hinter den Dünen am Strand auf Rügen hervor. Wie kaum ein anderes Gebäude symbolisiert der Koloss von Prora den Größenwahn der Nazis. In dem "Kraft durch Freude"-Komplex sollten einst 20.000 Deutsche gleichzeitig Urlaub machen. Hitler höchstpersönlich soll es in Auftrag gegeben haben.

VIDEO: Prora: Luxus-Wohnungen im Nazi-Bau (7 Min)

Die Architektur des Gebäudes sollte Macht ausstrahlen, im Seebad der 20.000 sollte das Individuum in der Masse untergehen. 1936 starteten die Bauarbeiten. Doch als der Krieg begann, wurden sie eingestellt: Hitler brauchte seine Arbeiter für den Krieg. Jahrelang standen die Blocks einfach nur da und erinnerten nach dem Ende der NS-Zeit an die Geschichte.

"Ein Schmetterling, der sich entpuppt"

Heute, fast 80 Jahre später, beziehen die ersten Urlauber in dem gigantischen Bau ihre Ferienwohnungen. Verkaufsleiter Rico Gierke von der Berliner Immobilienfirma Myhome Irisgerd führt Interessenten durch eine Musterwohnung. Seine Firma baut Block I von innen komplett um. Wo in der Nazizeit gut zwölf Quadratmeter für zwei Personen reichen sollten, entstehen jetzt große, moderne Ferienwohnungen für die ganze Familie, die sich auch mal ein bisschen Luxus gönnen will. Prora ist für den Makler Rico Gierke "wie ein Schmetterling, der sich entpuppt".

Wohnzimmer einer Musterwohnung in Prora. © WDR/NDR
So sehen sie die neuen Luxusobjekte von innen aus.

Gut 4.000 Euro pro Quadratmeter kosten die Wohnungen im Schnitt, Meerblick inklusive. Und das Geschäft läuft gut: 80 Prozent der Wohnungen sind bereits verkauft. Bedenken wegen der historischen Bedeutung des Gebäudes hört er von Kunden nie, erzählt er. "Ich sage immer: 'Er' hat damals für 1.000 Jahre gebaut und wir haben jetzt die Aufgabe das schön zu machen", so Gierke.

Die monumentale NS-Architektur verschwindet

Auch die anderen vier der fünf noch erhaltenen Blöcke hat der Bund an private Immobilienfirmen verkauft. Block IV ist bereits bewohnt, die Außenfassade zur Meerseite hin erinnert kaum noch an die wuchtige NS-Architektur. Modern designte Balkone und bodentiefe Fenster lockern die einschüchternde Fassade auf.

Katja Lucke, Leiterin des privaten Dokumentationszentrums Prora gefällt das gar nicht. Denn das Gebäude steht seit 1994 unter Denkmalschutz. Eigentlich sollte die Einheitlichkeit der Außenfassade gewahrt bleiben, in der sich der Machtgedanke der Nazis widerspiegelt. "Das Problem ist, dass der Bund die Blöcke an private Investoren verkauft hat und die Gebäude vor allem wieder dem Massentourismus dienen sollen", beklagt Lucke. "Der Umgang mit dem Gebäude ist jetzt sehr kommerziell, und es wäre schön, wenn man auch Kultur- und Bildungsangebote ermöglicht hätte."

Denkmalschutz als Steuersparmodell

Die Nutzung ehemaliger Gebäude der Nationalsozialisten ist von je her umstritten. Es steht die Frage im Raum, wie sie als Mahnmal dienen können und gleichzeitig genutzt werden können? Markus Sommer-Scheffler von der Denkmalschutzbehörde des Landkreises Vorpommern-Rügen bedauert, dass sich bisher zu einseitig die wirtschaftlichen Interessen der Investoren durchgesetzt haben. Da ist er, der Konflikt. Natürlich macht es Sinn, dass Ferienwohnungen Balkone haben. Zumal mit Blick auf das Meer. "Das Denkmalrecht lässt es zu, hier eine entsprechende Nutzung reinzubringen", so Sommer-Scheffler. Im Gesetz stehe, dass der Denkmalschutz für Besitzer nur im Rahmen des Zumutbaren zu befolgen ist. Und eine moderne Ferienwohnung ohne Balkon sei eben nicht zumutbar.

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Deshalb musste die Denkmalschutzbehörde die Bebauungspläne abnicken. Und so schwindet mit den Balkonen, die dem strengen Denkmalschutz eigentlich entgegenstehen, auch ein Stück der symbolkräftigen Außenfassade. Für die Bauherren hat dies einen doppelten Effekt. Die Wohnungen werden attraktiver. Gleichzeitig sind sie, da sie in einem denkmalgeschützen Gebäude liegen, sogar steuerlich absetzbar. Für die Investoren ist der Denkmalschutz damit auch ein Steuersparmodell.

Geschichte zweier Diktaturen

Mit der Entwicklung erlebt Prora aber auch einen Aufschwung. Andere Pläne scheiterten bisher. Eine Machbarkeitsstudie namens "Prora für Rügen" sprach sich in den 90er Jahren für eine künftige Mischnutzung aus. Die massige Gebäudeschlange sollte nicht nur dem Massentourismus dienen, sondern auch der ernsthaften Auseinandersetzung mit der Geschichte zweier Diktaturen dienen: der NS- und der DDR-Geschichte. Museen, Galerien, ein Archiv sollten entstehen, mindestens 20 Prozent des Gebäudes sollten dafür reserviert sein. Doch über viele Jahre fand sich einfach kein Käufer.

Raymund Karg hat die Gebäude nach fast 20 Jahren für die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben verkauft. "Es erfüllt mich mit Freude, dass sich Prora jetzt so entwickelt", sagt er. "Die Erhaltung des Denkmals ist nur möglich, wenn auch eine Nutzung dafür gefunden wird. Ansonsten wäre es tot gewesen, wäre weiter verfallen."

Nur ein Block ist noch in öffentlicher Hand

Nur Block V gehört noch dem Landkreis Vorpommern-Rügen. Die eine Hälfte wird von der Jugendherberge belegt, die andere Hälfte ist noch unsaniert. Nach Auffassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern "ideale Bedingungen für die Aufnahme eines Zentrums, in dem die Geschichte Proras dokumentiert wird und in dem vor allem junge Menschen sich mit dieser Geschichte auseinandersetzen und ihren Standpunkt erarbeiten können." Die Pläne, ein solches Zentrum einzurichten, liegen zwar seit vielen Jahren in der Schublade, doch eine konkrete Umsetzung ist in weiter Ferne. Es scheitert vor allem am Geld: Weder der Landkreis noch das Land haben sich bislang bereit erklärt, maßgeblich in die Sanierung und den Aufbau eines solchen Zentrums zu investieren.

Seebad Prora vollendet

Und so bleibt der Koloss von Prora vorerst den Plänen der Investoren überlassen. Makler Rico Gierke will hier demnächst eine Eisdiele eröffnen. Er träumt von einer neuen Stadt, die hier entstehen soll, mit Tausenden, die dann in Prora Urlaub machen. Das Ostseebad Binz plant eine durchgehende Promenade, die Prora mit dem drei Kilometer entfernten Ort verbinden soll. Dann wird die größte Hinterlassenschaft der Nazis belebt sein. Auf eine Art wird der Koloss von Prora rund achtzig Jahre nach Baubeginn nun doch noch vollendet. Nur dass die neuen Bauherren von der Geschichte so gar nichts wissen wollen.

Weitere Informationen
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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 27.10.2015 | 21:15 Uhr

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