Ein kleines Mädchen schaut durch einen Türschlitz ©  Picture Alliance / dpa / Ole Spata Foto: Ole Spata

Konferenz: Zu wenig Schutz für Kinder nach Gewalt gegen Mütter

Stand: 24.05.2022 14:52 Uhr

Die Kriminalstatistik des Jahres 2020 weist rund 146.000 Fälle von häuslicher Gewalt aus. Selbst wenn sie keine Gewalt direkt ertragen müssen, sind Kinder auch immer die Opfer.

Familiengerichte und Jugendämter haben nach Einschätzung der Deutschen Kinderhilfe bei Sorgerechtsstreitigkeiten nach häuslicher Gewalt gegen Mütter zu selten das Wohlergehen der Kinder im Blick. "Die Gerichte orientieren sich kaum an strafrechtlichen Ermittlungen. Die mutmaßlichen Täter können dann oft weiter Umgang mit den Kindern haben", sagte Rainer Becker von der Kinderhilfe vor der Fachtagung "Umgangs- und Sorgerechtsfragen im Zusammenhang mit partnerschaftlicher Gewalt" in Güstrow.

Kontakt zum "gefährlichen Elternteil" wichtiger als drohende Gefahr?

"Gerichte und Jugendämter sind oft der Meinung, dass das Kindeswohl eher dadurch gefährdet ist, wenn das Kind keinen Umgang mit dem Vater mehr hat." Es stelle sich die Frage, ob der Kontakt zum "gefährlichen Elternteil" wichtiger für das Kindeswohl ist als die dem Kind drohenden Gefahren, sagte Becker. Denn es bestehe die Möglichkeit, dass die Kinder verwirrt sind, beeinflusst werden oder sogar selbst in Gefahr geraten.

Experten kritisieren "Umgang um jeden Preis"

Unterstützung bekommt Becker von Experten wie dem Juristen Professor Ludwig Salgo, der als Berater für Ministerien oder den Deutschen Bundestag agiert. Mit Blick auf Gewalt in der Familie sagt Salgo, dass es in vielen Fällen besser wäre, wenn zum Beispiel Kinder, die mit ihren Müttern ins Frauenhaus geflohen sind, erst einmal keinen Umgang mit dem Vater hätten: "Diesen Fall nimmt man nicht ernst, sondern ist davon beseelt Umgang um jeden Preis zu machen, und wir haben da auch sehr viele, sehr negative Erfahrungen und deshalb müssen wir uns das, wenn häusliche Gewalt vorkam, das uns ganz genau angucken, ja."

Gerichte folgen oft der Einlassung gewalttätiger Väter, Mütter seien hysterisch

Nach Fällen von Gewalt gegen die Mütter müsse der Umgang mit den Kindern so lange ausgesetzt werden, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind oder der Täter nachgewiesen hat, dass er nicht mehr gefährlich ist. Dies könne etwa durch ein Anti-Gewalt-Training oder eine Psychotherapie nachgewiesen werden, sagte Becker. Es sei auch zu beobachten, dass Gerichte oft der Einlassung von gewalttätigen Vätern folgen, wenn diese den Frauen Hysterie unterstellen. "Dann wird in einer unglaublichen Vielzahl von Fällen den Müttern die Kinder weggenommen." Der Kriminalstatistik zufolge wurden im Jahr 2020 in Deutschland mehr als 146.000 Fälle von partnerschaftlicher Gewalt registriert, dabei wurden 139 Frauen und 30 Männer getötet.

"In Bezug auf betroffene Kinder wurden keine separaten Zahlen erhoben", sagte Becker. Allerdings sei festzustellen, dass mindestens jedes vierte Tötungsdelikt gegen ein Kind in Zusammenhang mit einer Trennung der Erziehungspersonen beziehungsweise mit einem Streit ums Sorge- oder Umgangsrecht verbunden war.

Stärkere Sensibilisierung von Richtern und Mitarbeitern der Jugendhilfe

Auch Lösungsansätze werden bei der Güstrower Tagung diskutiert. Zum einen sollen Richter in den Familiengerichten, aber auch die Mitarbeiter in der Jugendhilfe viel stärker sensibilisiert werden. Seit Januar sind Fortbildungen für Richter sogar gesetzlich vorgeschrieben. Auch eine stärkere Vernetzung von Justiz, Frauenhäusern, Gutachtern und Beratungsstellen würde helfen. nicht zuletzt besteht offenbar auch noch reichlich Forschungsbedarf.

 

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 24.05.2022 | 16:40 Uhr

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