Bürgergeld: Einige Branchen fürchten um ihre Attraktivität
Mehr als 80.000 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern beziehen Bürgergeld - und das ist zum Jahreswechsel gerade kräftig erhöht worden. Einige Wirtschaftsbranchen fürchten, dass viele Menschen lieber die Hilfe vom Staat annehmen, anstatt sich eine Arbeitsstelle zu suchen.
Mehr Fairness und Respekt für Menschen in schwierigen Lebenslagen - das war das Ziel des Bürgergeldes. Doch anders als in den Zeiten von Hartz IV als Massenarbeitslosigkeit herrschte, werden heutzutage händeringend Arbeitskräfte gesucht. Allein in Mecklenburg-Vorpommern gibt es mehr als 16.000 offene Stellen - und das in fast allen Branchen. Auch Fassaden- und Gebäudereiniger werden händeringend gesucht. Dabei haben die Firmen nicht nur Probleme neue Mitarbeiter zu finden, sondern auch die alten zu halten.
Viele denken ans Kündigen
Schuld sei auch das Bürgergeld, heißt es in der Branche: Laut einer Umfrage denken in jedem vierten Unternehmen Mitarbeiter an Kündigung. Wolfgang Molitor, Hauptgeschäftsführer des Bundesinnungsverbands der Gebäudereiniger, fasst die Stimmungslage so zusammen: "Der allgemeine Eindruck ist, dass sich viele Beschäftigte fragen: Lohnt sich arbeiten eigentlich noch?" Das äußere sich darin, dass in den Unternehmen ganz offen über Kündigungen gesprochen werde, weil der Bezug von Bürgergeld in ihren Augen attraktiver sei.
Fehlen die Arbeitsanreize?
Für Jan Schnellenbach, Professor für Volkswirtschaft an der Technischen Universität Cottbus, liegt hier ein entscheidendes Problem, die Höhe des Bürgergelds senke die Bereitschaft, einen Job anzunehmen: "Wenn ich eine große Familie habe mit vielen Kindern, die dann auch wieder die Sätze bekommen nach dem Bürgergeld, dann muss ein Familienvater schon relativ viel verdienen, damit es sich lohnt, mit Arbeit sein Geld selbst zu verdienen." Allerdings gebe es nach nur einem Jahr Bürgergeld noch keine belastbaren Zahlen dazu, wie groß dieser Effekt ausfällt.
Zahl der Leistungsempfänger gesunken
Derzeit beziehen in Mecklenburg-Vorpommern weniger Menschen staatliche Leistungen als vor einigen Jahren. Waren es 2018 noch 102.000, so betrug die Zahl im vergangenen Jahr gut 83.000. Zuletzt stieg die Zahl nur wegen der Geflüchteten aus der Ukraine wieder leicht an. Wir fragen im Jobcenter der Landeshauptstadt Schwerin nach, ob es viele Fälle gibt, in denen Menschen wegen des Bürgergeldes keine Arbeit aufnehmen wollen. Die Antwort von Annica Geese, der stellvertretenden Leiterin des Jobcenters, fällt eindeutig aus: "Nein". Zwar gebe es Kunden, die sich sträubten, eine Arbeitsstelle anzunehmen,. Aber: "Das sind Diskussionen, die wir auch vor dem Bürgergeld schon hatten, das ist aber nur ein minimaler Prozentsatz der Kunden, mit denen wir auch schon unter ALG II solche Diskussionen hatten."
Integration der Flüchtlinge nimmt Fahrt auf
Eine Herausforderung ist die Integration von Geflüchteten aus der Ukraine in den Arbeitsmarkt. Etwa 3.700 von ihnen, gut 20 Prozent, haben einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz, 14.700 Menschen beziehen dagegen Bürgergeld in Mecklenburg-Vorpommern. Doch die Zahl der Flüchtlinge mit Job werde bald zunehmen, sagt uns das Schweriner Jobcenter, denn viele hätten inzwischen ihre Sprachkurse beendet.
Unternehmen hoffen auf die neuen Arbeitskräfte
Ein wichtiges Thema für die Unternehmen - auch der Innungsverband der Gebäudereiniger fordert weniger Bürokratie und eine schnelle Vermittlung in den Arbeitsmarkt, so Hauptgeschäftsführer Wolfgang Molitor: "An uns soll´s nicht scheitern und wir würden uns freuen, diese Arbeitskräfte möglichst schnell in unseren Betrieben zu integrieren und zu beschäftigen."