Stand: 04.09.2022 09:44 Uhr

Kommentar zu Habeck und Scholz: Zu viel des gegenseitigen Lobes

Die Koalitions-Klausur in Meseberg endete mit viel gegenseitigem Lob. Kanzler und Vizekanzler, Olaf Scholz und Robert Habeck sprachen sich gegenseitig das Vertrauen aus. So ausdrücklich, dass es fast schon verdächtig war. Und vor allem der realen Konkurrenzsituation der beiden Spitzenpolitiker nicht entspricht.

Ein Kommentar von Lars Haider, Chefredakteur des "Hamburger Abendblatt"

Lars Haider, Chefredakteur des "Hamburger Abendblattes"
Scholz und Habeck sind in der Realität politische Gegner, meint Lars Haider.

Es gibt das ungeschriebene Gesetz, dass man seinen Chef nicht lobt, schon gar nicht öffentlich und erst recht nicht, wenn er Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland ist. Robert Habeck hat all das getan, als er nach der Klausur der Bundesregierung in Meseberg die Ruhe und die Umsicht pries, die von Olaf Scholz ausgehe, und sagte, wie froh er sei, dass gerade dieser Kanzler Deutschland durch die schweren Zeiten führt.

Scholz regiert, Habeck kommuniziert

Das musste sein, obwohl man das wie gesagt nicht macht, und obwohl Habeck in den vergangenen Wochen als Gegenmodell seines Chefs zum beliebtesten Politiker Deutschlands geworden ist, und wieder davon träumen darf, nach der nächsten Bundestagswahl Kanzler anstelle des Kanzlers werden. Doch noch braucht der eine den anderen, noch funktioniert Habeck nicht ohne Scholz, und Scholz nicht ohne Habeck. Und keiner von beiden kann ein Interesse daran haben, dass die Ampel-Regierung an den gewaltigen Herausforderungen scheitert, die der kommende Winter für sie und das Land bereithält.

Olaf Scholz hat das, was Robert Habeck fehlt: jahrelange Erfahrung in Regierungsämtern auf Bundesebene, tiefe Detailkenntnisse in nahezu allen politischen Bereichen und ein extremes Durchhaltevermögen. Habeck wiederum hat das, was Scholz fehlt: Charisma vor allem, die Fähigkeit, Menschen mit Worten zu begeistern, teils zu verzaubern, über Politik so zu sprechen, dass es Spaß macht zuzuhören. Aus dem Sozialdemokraten und dem Grünen könnte man sich den idealen Kanzlern basteln, einen, der weiß, was er macht und so darüber redet, dass es auch alle anderen verstehen. Die Chance, die in der Ampel-Regierung seit deren Start vor knapp einem Jahr lag und weiterhin liegt, ist, dass sich diese Eigenschaften des Kanzlers und seines Vizes ideal ergänzen, dass jeder das tut, was er besser kann als der andere. Heißt: Scholz regiert, Habeck kommuniziert - und Christian Lindner, der Bundesfinanzminister, steht staunend dazwischen und bezahlt.

Dass das noch nicht optimal funktioniert, liegt vor allem daran, dass Scholz und Habeck in der Realität politische Gegner sind. Kämen der Kanzler und sein eloquenter Wirtschaftsminister aus derselben Partei, könnte man die Rollen so untereinander aufteilen, dass jeder das übernimmt, worin er am besten ist. Habeck wäre in dieser Konstellation der Erklärer der Ampel-Regierung, der Mann, der Fragen, die man ihm stellt, auch wirklich beantwortet. Und Scholz würde im Hintergrund das tun, was er am besten kann: arbeiten und Entscheidungen treffen und wieder arbeiten und noch mehr Entscheidungen treffen.

Habeck ist das bekannteste Gesicht des Kabinetts neben Olaf Scholz

Doch, wie gesagt: Die Aufgabenteilung funktioniert nicht, weil Scholz und Habeck nicht als Team, sondern immer auch als Konkurrenten gesehen werden, was sie auf mittlere Sicht auch sein werden. Scholz hat zwar schon am Wahlabend im vergangenen Herbst betont, dass er die Koalition zwischen SPD, Grünen und FDP als Projekt über die erste Legislaturperiode hinausdenkt. Er hofft, dass die drei Parteien bei der Bundestagswahl 2025 quasi gemeinsam antreten, um die Regierung weitere vier Jahre fortzusetzen. Auch deshalb wird in seinem Umfeld gern erzählt, dass Robert Habeck hin und wieder selbst erzählen würde, er könne sich gut vorstellen, acht Jahre lang Minister unter dem ruhigen und umsichtigen Kanzler Scholz zu sein. Was man halt so sagt, wenn die Regierung noch nicht einmal zwölf Monate im Amt ist.

Stand heute wird es bei der nächsten Bundestagswahl aber auf ein Duell zwischen Olaf Scholz und Robert Habeck hinauslaufen. Der eine kann gar nicht anders und muss als amtierender Kanzler wieder kandidieren. Der andere wäre gern schon 2021 angetreten, musste bekanntermaßen aber Annalena Baerbock den Vortritt lassen. Jetzt ist Habeck in der Position, in der Olaf Scholz unter Angela Merkel war: Er ist Vizekanzler, das bekannteste Gesicht des Kabinetts neben Olaf Scholz, dazu noch einer, dem ob seiner Art viele Sympathien zufliegen. So viele, dass der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil in der vergangenen Woche bissig darauf hinwies, dass es in der Politik nicht nur um schöne Worte, sondern vor allem um Substanz gehe.

Chance und Gefahr für Robert Habeck

Bis zur nächsten Bundestagswahl wird Habeck die nötige Substanz, die nötige Regierungserfahrung gesammelt haben, und damit das, was ihm jetzt noch fehlt. Innerhalb der Grünen dürfte es dann niemand geben, der mehr Eigenschaften für einen erfolgreichen Wahlkampf mitbringt als der aktuelle Wirtschaftsminister. Der, auch das muss man sagen, inzwischen für seine Partei wichtiger ist als sie für ihn. Aber vielleicht liegt genau darin auch die Gefahr für Robert Habeck und seine Ambitionen - und am Ende bleibt er wirklich acht Jahre lang der Mann, der den Kanzler loben muss. Ob er will oder nicht.

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin/des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

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NDR Info | Kommentar | 04.09.2022 | 09:25 Uhr