Iranische Frauen versammeln sich während einer Demonstration vor dem iranischen Konsulat in Istanbul nach dem Tod von Mahsa Amini. © picture alliance Foto: Emrah Gurel
Iranische Frauen versammeln sich während einer Demonstration vor dem iranischen Konsulat in Istanbul nach dem Tod von Mahsa Amini. © picture alliance Foto: Emrah Gurel
Iranische Frauen versammeln sich während einer Demonstration vor dem iranischen Konsulat in Istanbul nach dem Tod von Mahsa Amini. © picture alliance Foto: Emrah Gurel
AUDIO: Die Proteste im Iran als Chance für den Westen (6 Min)

Kommentar: Bundeskanzler muss sich für Frauen im Iran einsetzen

Stand: 30.10.2022 09:48 Uhr

Die Proteste im Iran gegen das klerikale Regime gehen weiter. Weltweit gibt es viel Unterstützung für die Demonstrierenden. Für viele Beobachter unverständlich ist dabei die Zurückhaltung von Deutschlands Kanzler Scholz und von Außenministerin Baerbock.

Der NDR Info Wochenkommentar von Gordon Repinski, stellvertretender Chefredakteur von "The Pioneer"

Seit sieben Wochen strömen die Menschen im Iran auf die Straßen. Erst waren es junge Frauen, dann alle Altersgruppen; mittlerweile ist es längst kein Protest der Frauen mehr, sondern der einer Gesellschaft insgesamt. Sie kämpfen für mehr Gleichberechtigung und gegen das Unterdrücker-Regime der Mullahs in Teheran. Mehr als 40 Tage nach dem Tod von Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam steht der Iran womöglich an der Schwelle zu einem Umbruch. Es ist eine Hoffnung und eine unglaubliche Chance für die Region und für die ganze Welt mit all ihren Krisen. Nur scheint das noch nicht in allen überlasteten Regierungszentralen angekommen sein. Und ja, im Umfeld all der Großkrisen scheint es eine Menge verlangt, auch noch auf die Frauen von Teheran zu schauen. Dabei ist die geopolitische Bedeutung des Iran erheblich. Und das gilt noch mehr, seit sich die Mullahs als Verbündete Moskaus in den Ukraine-Krieg eingeschaltet haben und sie ihre Kamikaze-Drohnen auf Kiew niedergehen lassen.

Das neue Anti-Atom-Abkommen ist ein chancenloses Unterfangen

Gordon Repinski stellv. Chefredakteur und Leiter d. Hauptstadtbüros vom RND RedaktionsNetzwerk Deutschland © RND RedaktionsNetzwerk Deutschland Berlin GmbH Foto: Maurice Weiss
Die Bundesregierung sollte sich für die Rechte der kämpfenden Frauen des Irans einsetzen, meint Gordon Repinski in seinem Kommentar

Dass besonders die Bundesregierung bemerkenswert vorsichtig mit dem Thema umgeht, liegt vor allem daran, dass man trotz aller Differenzen noch immer über ein neues Anti-Atom-Abkommen verhandelt. Es ist ein chancenloses Unterfangen. Das Regime und der Westen sind durch immer mehr Sanktionen viel zu weit voneinander entfernt. Die Zeit, bis Teheran ausreichend Uran angereichert hat, beträgt nur noch wenige Wochen und mit jedem Tag sinken die Chancen für ein Abkommen weiter. Und ja, auch Teheran hat allen Grund, dem Westen zu misstrauen. Gegen inneren Widerstand hat das Regime 2015 das Abkommen durchgesetzt. In der kurzen Zeit danach hat es funktioniert, die internationalen Kontrolleure durften ins Land, die Urananreicherung wurde gebremst. Es war Donald Trump, der das Abkommen 2018 aufkündigte. Die Garantien, die sich Teheran jetzt von den USA erwartet, kann US-Präsident Joe Biden aber nicht geben - im Moment stehen die politischen Zeichen in Washington schon wieder auf Wechsel.

Ohne Abkommen aber sind die Alternativen für den Westen noch düsterer. Denn dann bleiben lediglich zwei schlechte Optionen gegenüber einem Land, das die Bombe dann erst recht bauen wird: Die erste ist eine massive militärische Drohkulisse, die Ressourcen bindet, die nicht vorhanden sind, weil die USA nach Taiwan schauen und Europa zum Donbass. Dann bliebe nur noch die Option, den Iran die Bombe bauen zu lassen. Doch dann wäre ein militärischer Konflikt mit Israel nicht mehr zu vermeiden, denn die Existenz Israels wäre von einem Tag auf den anderen in unmittelbarer Gefahr und dies würde Israel niemals akzeptieren können.

Die Proteste im Iran sind auch Sache des Westens

Was bleibt dem Westen also? Wenig, aber nicht nichts. Auch wenn das Abkommen nicht mehr kommen wird, sollten die Verhandlungen nicht offiziell abgebrochen werden, sondern im Hintergrund zumindest scheinbar weiterlaufen. Und vorne, vor den Mikrofonen sollte der ersten Reihe der Politik in Berlin endlich klar werden, welche Bedeutung gerade in Anbetracht der schwierigen Situation im Land die Proteste haben. Es gibt keinen Grund mehr für rhetorische Zurückhaltung. Die Sache der Protestierenden in Teheran, der Regime Change, das ist eigentlich auch die Sache des Westens. 

Die Ampel ist angetreten, um eine feministische Außenpolitik zu machen. Viel wurde über den Begriff gespottet. In der Sache zu Unrecht, wie gerade das Beispiel Teherans zeigt. Die Gleichberechtigung, die Anliegen der Frauen wären dort gleichbedeutend mit dem Ende eines patriarchalen, gewaltverherrlichenden Unrechtsregimes. Einen einzelnen Tweet war dem Kanzler die Situation im Iran bisher wert, er war nicht einmal sonderlich gut formuliert und Wochen sind vergangen. Ansonsten hat er nicht einmal vor der UNO die Rolle des Irans thematisiert. Da war Mahsa Amini schon tot und die Menschen in Teheran auf den Straßen. One too much hört man aus dem Kanzleramt - es ist der eine Konflikt zu viel in der Weltlage. Der Konflikt, der nicht gesehen wird.

Vielleicht müsste man es Olaf Scholz persönlich sagen: Herr Bundeskanzler, stehen Sie zu dem, was im Koalitionsvertrag niedergeschrieben ist. Setzen Sie sich für die Rechte der kämpfenden Frauen des Irans ein. Und erkennen Sie endlich, welche Bedeutung und Chance in diesen Protesten stecken. 

Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Kommentar | 30.10.2022 | 09:25 Uhr