Das Nachrichtenportal "Business Insider" wirft der Landesfunkhaus-Direktorin, Sabine Rossbach, die Begünstigung ihrer Töchter vor. Rossbachs ältere Tochter ist Inhaberin einer PR-Agentur. Der Vorwurf lautet, sie habe immer wieder ihre Themen in den Programmen des NDR Landesfunkhauses Hamburg einbringen können. Problematisiert wird im Bericht ebenfalls, dass Rossbachs jüngere Tochter eine Festanstellung als Redakteurin bei NDR Kultur bekommen hat. Nach interner Prüfung hält das NDR Justitiariat das für widerlegt und hat andere Medien in dieser Sache abgemahnt.
In einem Detail geht es in der Kritik an Rossbach auch darum, dass sie gegen Widerstände in der Redaktion einen Fernsehbeitrag über eine Frau, die gegen Geld angeblich mit toten Hunden sprechen kann, ins Programm gebracht haben soll - als Teil einer Reihe, mit der wiederum die Tochter der früheren Chefin von NDR Kultur, Barbara Mirow, beauftragt worden sein soll.
Die Vorwürfe gegen Funkhaus-Chefin Rossbach sind von der unabhängigen Anti-Korruptionsbeauftragten des NDR abschließend geprüft worden. "Im Ergebnis wurden zu den vorliegenden Vorwürfen keinerlei Korruptionstatbestände durch Handeln oder Unterlassen der Direktorin Sabine Rossbach festgestellt. Die Vorwürfe der vergangenen Wochen haben sich somit als falsch herausgestellt", heißt es in einer Pressemitteilung des NDR vom 24. Oktober. In einem Fall habe sie aber gegen die NDR Dienstanweisung zum Schutz vor Korruption verstoßen.
Für eine interne journalistische Aufarbeitung und Prüfung der Vorgänge im Landesfunkhaus Hamburg haben zwei NDR Journalist*innen aus anderen Standorten mit mehr als 70 Mitarbeitenden gesprochen. Laut dem am 27. Oktober vorgestellten Untersuchungsbericht hat demnach Rossbachs Führungsstil die redaktionelle Atmosphäre im Funkhaus stark belastet. Für einen unzulässigen Eingriff ins Programm fanden die Prüfer aber keine Belege.
Landesfunkhaus-Direktorin Rossbach hat die gegen sie erhobenen Vorwürfe, gegen journalistische Standards verstoßen oder Berichterstattung beeinflusst zu haben, von Beginn an zurückgewiesen. Nach der Prüfung durch die Anti-Korruptionsbeauftragte sagte sie: "Die letzten Wochen waren nicht einfach für mich, wenngleich ich jederzeit von meiner journalistischen und persönlichen Integrität überzeugt war und bin. Der unabhängige Bericht der Anti-Korruptionsbeauftragten entlastet mich und betroffene Kolleginnen und Kollegen im Landesfunkhaus Hamburg zugleich. Das ist mir wichtig, denn die Glaubwürdigkeit in unsere Arbeit ist unser höchstes Gut. (...)."
Rossbach, die ihr Amt wochenlang ruhen ließ, wird den Weg für einen Neuanfang im Landesfunkhaus Hamburg freimachen und ihr Amt bereits zum 1. April 2023 zur Verfügung zu stellen. Nach einer Freistellung wird sie den NDR dann endgültig zum 31. Oktober 2023 verlassen. Sie beendet damit ihr Dienstverhältnis zwei Jahre früher als ursprünglich vorgesehen. Die entsprechende Vereinbarung steht unter dem Vorbehalt der Zustimmung des NDR Verwaltungsrates.
Gegen leitende Redakteure in Kiel gibt es eine Reihe von Vorwürfen. Danach sollen Julia Stein, die Leiterin der Redaktion "Politik und Recherche", und der Chefredakteur des Landesfunkhauses in Kiel, Norbert Lorentzen, gegen den Willen ihrer Mitarbeiter die politische Berichterstattung beeinflusst haben. Zum einen geht es darum, dass ein politisches Interview verhindert worden sei. Außerdem geht es um eine Recherche zu sogenannten Erholungsheimen am Meer. Der Verdacht: Kindesmisshandlung. Hier soll, so berichtete der "Stern", Stein in die Recherchen der eigenen Reporter eingegriffen haben. Nach Recherchen des NDR Medienmagazins Zapp konnte dieser Vorwurf nicht belegt werden. Auch aus E-Mails, die dem Nachrichtenmagazin "Spiegel" vorliegen und in denen sich die Autoren mit den Verantwortlichen austauschen, soll wenig von einer angeblichen Schonung des Roten Kreuzes zu lesen sein. Ein interner NDR Prüfbericht, dessen Federführung explizit nicht am NDR Standort Schleswig-Holstein liegt, sondern in Niedersachsen und Hamburg, hat ergeben, dass keine journalistischen Prinzipien verletzt wurden. Zum gleichen Ergebnis kommt ein vom Landesrundfunkrat in Auftrag gegebener externer Bericht der Beratungs- und Prüfungsfirma Deloitte.
Das Landgericht Hamburg hat Anfang Oktober in mehreren Entscheidungen Verdachtsäußerungen des "Business Insider", der "Bild"-Zeitung und des "Stern" in Bezug auf den NDR als unzulässig beanstandet. Demnach hat sich die Berichterstattung des "Stern" über einen angeblich zurückgehaltenen Film aus dem Landesfunkhaus Schleswig-Holstein über Verschickungskinder in wesentlichen Punkten als falsch herausgestellt. Unzulässig sind laut Gericht auch die gegen die Chefin des Landesfunkhauses Hamburg erhobenen Vorwürfe der "Vetternwirtschaft". Per Einstweiligen Verfügungen untersagte das Landgericht der Axel Springer SE ("Business Insider", "Bild) und dem Verlag Gruner + Jahr ("Stern"), die Behauptungen zu wiederholen und zu verbreiten. Die entsprechenden Passagen müssen die Verlage aus allen Veröffentlichungen entfernen.
Der Redaktionsleiter von NDR Info 21:45 aus Hannover, Carsten Löding, und Thomas Berbner, Redaktionsleiter ARD-Zulieferung aus Hamburg, konnten laut Bericht keine Belege für einen "politischen Filter" im Landesfunkhaus Schleswig-Holstein finden. Darüber hinaus gab es im Ergebnis der Prüfung bei der Recherche zu Verschickungskindern und der Rolle des DRK keine journalistisch unbegründeten Eingriffe durch die Redaktionsleitung, es wurden keine journalistischen Prinzipien verletzt. Aber die Prüfung identifiziert als wesentliches Problem in einigen Bereichen des Landesfunkhauses Schleswig-Holstein ein Redaktionsklima, das in Teilen von mangelnder Kommunikation und fehlendem Vertrauen geprägt ist.
Der "Stern" berichtet auch über einen weiteren Journalisten: Stefan Böhnke. Der stellvertretende Leiter des Politikressorts in Kiel soll seinen Ehemann im Wahlkampf unterstützt haben. Dann gibt es noch eine Veröffentlichung des "Business Insiders", der sich auf einen Fall im Jahr 2019 bezieht. Hier sei ein Investigativ-Reporter "unter Druck gesetzt worden" und dessen Kritik am Führungsstil soll mit einer Abmahnung bestraft worden sein.
Am 28. September kündigte Landesfunkhaus-Direktor Volker Thormählen einen Neuanfang an. Chefredakteur Norbert Lorentzen und Politikchefin Julia Stein sollen künftig nicht mehr im Landesfunkhaus Kiel tätig sein. Stein und Lorentzen waren zuvor auf ihren Wunsch bis auf Weiteres von ihren Aufgaben entbunden worden. Landesfunkhaus-Direktor Thormählen selbst hatte nach Bekanntwerden der Vorwürfe vier Wochen lang unbezahlten Urlaub genommen. Inzwischen ist er an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt. Zuvor hatte NDR Intendant Joachim Knuth Thormählen gebeten, seine Arbeit als Direktor nach Beendigung des unbezahlten Urlaubs wieder aufzunehmen und zu skizzieren, wie er die Probleme im Landesfunkhaus in den Griff bekommen will. Nachdem eine NDR interne Prüfung zu dem Ergebnis kam, dass laut NDR Intendant Joachim Knuth "die erhobenen Vorwürfe in Teilen haltlos sind", untersuchte auch der Landesrundfunkrat die schwerwiegenden Vorwürfe in Kiel. Der Landesrundfunkrat setzte ein Experten-Team ein, um die Vorfälle aufzuklären: Für die externe Aufarbeitung wurde die international arbeitende Wirtschaftskanzlei Deloitte beauftragt. Am 7. Dezember legte sie ihren Bericht vor. Demnach gab es mangelhafte Kommunikation im Landesfunkhaus, aber keinen politischen Filter oder systematische Verstöße gegen Programmgrundsätze.
Ein NDR Rechercheteam hat seine Arbeit aufgenommen. Die redaktionsübergreifende und investigative Einheit besteht aus Journalistinnen und Journalisten der Redaktionen ZAPP, STRG_F, Panorama und dem Ressort Investigation des NDR. Die Mitarbeitenden recherchieren zu den Vorwürfen gegen den NDR und andere öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Sie gehen Hinweisen zu Missständen nach, arbeiten selbstständig und unabhängig und sind nicht an Weisungen gebunden - wie alle anderen Redaktionen auch. Zum Beispiel hat das Team bereits veröffentlicht, dass der NDR den Korruptionsverdacht gegen Sabine Rossbach offenbar jahrelang auf sich hat beruhen lassen. Die aktuelle Berichterstattung über die Vorgänge in den Landesfunkhäusern übernehmen Kolleginnen und Kollegen von NDR Info.
Außerdem haben sich die Mitarbeitenden des Landesfunkhaus Hamburg von der Direktorin distanziert. In einem Brief an NDR Intendant Joachim Knuth haben 70 Mitarbeitende Rossbach ihr Misstrauen ausgesprochen.
Mitarbeitende des NDR Landesfunkhauses Kiel haben sich in einer Mail an NDR Intendant Joachim Knuth gewandt. Sie fordern von ihm eine Perspektive für die künftige Arbeit im Landesfunkhaus.
Der NDR Rundfunkrat kündigte nach einer Sitzung am 23. September an, sich mit dem Arbeitsklima als auch mit der Gewährleistung unabhängiger Berichterstattung im gesamten NDR kritisch auseinandersetzen zu wollen.
Am 29. September gab der NDR bekannt, dass Intendant Joachim Knuth eine umfassende externe Analyse des Betriebsklimas im NDR in Auftrag gibt. Ein Team von Expertinnen und Experten um den Manager und Theologen Stephan Reimers wird dazu in den kommenden Monaten das Klima in allen Bereichen untersuchen.
In der Affäre um die entlassene rbb-Intendantin Patricia Schlesinger wurde auch das ARD-Doku-Drama "Der gute Göring" kritisch betrachtet. Schlesingers Ehemann Gerhard Spörl hatte bei dem 2016 ausgestrahlten NDR/BR-Film als Drehbuchautor mitgewirkt - in dieser Zeit war sie NDR Programmbereichschefin gewesen. Laut Ergebnis einer Prüfung durch den NDR ist bei der Produktion aber alles korrekt abgelaufen. Die durch den NDR in Auftrag gegebene Sonderprüfung komme zu dem Ergebnis, "dass die beteiligten Kolleginnen und Kollegen aus Produktion und Redaktion angemessen gehandelt und gearbeitet haben. Auch die extern angerufene Anti-Korruptionsbeauftragte des NDR erkennt nach eingehender Prüfung kein vorwerfbares Verhalten."
Für die Mitarbeitenden des NDR gibt es einen Verhaltenskodex und Dienstanweisungen zu Anti-Korruption und Geschenken. Außerdem kümmert sich eine Arbeitsgemeinschaft Compliance und die Anti-Korruptionsbeauftragte um Vermeidung, Vorbeugung und Verfolgung von Korruption. "Wir lassen uns bei unserer Arbeit und unseren Entscheidungen von niemandem instrumentalisieren", das besagt zum Beispiel eine Regel im NDR Verhaltenskodex. Außerdem ist in der Vereinbarung zu lesen, dass NDR Mitarbeitende ihre Tätigkeit nicht für kommerzielle PR, unangemessen hoch dotierte Nebentätigkeiten oder andere private Vorteile nutzen sollen. Dabei steht immer die unabhängige Berichterstattung im Fokus: "Wir lehnen Nebentätigkeiten, Geschenke, Einladungen und Rabatte ab, die unsere Unabhängigkeit in Frage stellen könnten. Wir nutzen keine Journalistenrabatte. Wir wissen um die Gefahr der Korruption und beugen ihr deshalb in allen Bereichen des NDR durch Transparenz und vertrauensvolle Zusammenarbeit vor."
Der Redaktionsausschuss ist ein Gremium aus gewählten festen und freien Mitarbeitenden. Er ist zuständig, wenn Kolleginnen und Kollegen die journalistische Qualität gefährdet sehen. Außerdem ist der Ausschuss Ansprechpartner, wenn Berichterstattung beeinflusst wird oder wenn Programmkonflikte nicht im direkten Miteinander gelöst werden können. Jeder kann sich an das Gremium wenden - und das ist im Landesfunkhaus Kiel und in Hamburg auch geschehen. Der Ausschuss hat keine weisende Befugnis, er kann jedoch mit Verantwortlichen verhandeln und auf Missstände aufmerksam machen.