In einem Labor werden PCR-Tests durchgeführt. © picture alliance/dpa | Henning Kaiser Foto: Henning Kaiser

Omikron-Untervarianten: Bringen BA.4 und BA.5 eine Sommerwelle?

Stand: 12.06.2022 16:17 Uhr

In einigen Ländern steigen die Inzidenzwerte trotz des saisonalen Effekts wieder an. Auch in Deutschland. Das liegt vor allem an den neuen Omikron-Untervarianten BA.4 und BA.5.

von Yasmin Appelhans

Kaum haben wir die letzte Corona-Welle im Frühjahr überstanden, gibt es erste Warnungen vor einer Sommerwelle. In einigen Ländern, wie in Portugal, klettern die Inzidenzen schon wieder stark in die Höhe. Und auch in Deutschland zeigt die Kurve wieder leicht nach oben - obwohl es durch die veränderte Teststrategie vermutlich eine größere Dunkelziffer gibt als zuvor.

Neue Varianten verbreiten sich stark

Einen großen Anteil an diesem Anstieg haben neue Untervarianten des Coronavirus. Vor allem BA.4 und BA.5, beides Omikron-Subtypen, die zuerst in Südafrika beschrieben wurden, verbreiten sich gerade stark. In Südafrika haben sie zwar nur eine kleinere Welle ausgelöst, die auch schon wieder abebbt. In Portugal stiegen die Inzidenzen allerdings bis über 2.000. Die Subvariante BA.5 ist in dieser Welle dominant.

Auch in Deutschland sind die Inzidenzwerte schon vor Pfingsten wieder angestiegen. Das Labor Becker, das Corona-Tests im süddeutschen Raum auswertet, hat auf Twitter Zahlen für die letzte Kalenderwoche veröffentlicht. Demnach machten die neue Varianten dort Anfang Juni schon ungefähr ein Drittel der gesamten Neuinfektionen aus. Innerhalb einer Woche hat sich der Wert verdoppelt.

BA.4 und BA.5 bald auch in Deutschland dominant

Das passt zu den jüngsten Erkenntnissen des Robert Koch-Instituts (RKI), das den Anteil beider Varianten zusammen zwar erst auf rund zwölf Prozent schätzt, aber auch eine Verdopplungszeit von einer Woche registriert hat. Es ist also absehbar, dass auch bei uns binnen kurzer Zeit die meisten Infektionen auf das Konto der neuen Varianten gehen werden.

Wahrscheinlich keine schwereren Verläufe

Das European Centre for Disease Prevention and Control der Europäischen Union (ECDC) schrieb zu den neuen Varianten Mitte Mai: "Derzeit gibt es keinen Hinweis auf eine Änderung des Schweregrades für BA.4/BA.5 im Vergleich zu früheren Omikron-Varianten." 

Nach den bisherigen Daten ist allerdings schwer abzuschätzen, wie heftig eine Erkrankung mit den neuen Varianten im Schnitt tatsächlich ausfällt. Das liegt auch daran, dass die Welle mit den Subtypen in Südafrika relativ klein geblieben ist und es relativ wenige schwere Verläufe gab. In Portugal gibt es aber hohe Inzidenzen und auch höhere Todesraten.

Kleinere Welle in Südafrika, große in Portugal

Darüber, woran es liegt, dass die neuen Varianten in den beiden Ländern so unterschiedliche Auswirkungen haben, kann man nur spekulieren. Wahrscheinlich gibt es mehrere Faktoren.

  • In Südafrika ist derzeit Winter. Eigentlich wäre also mit den neuen Varianten eine höhere Welle zu erwarten gewesen. Allerdings wurden dort fast alle Maßnahmen zur Viruseindämmung aufrechterhalten. In Innenräumen müssen beispielsweise auch weiterhin Masken getragen werden. Auch ist der Großteil der Bevölkerung zwar noch ungeimpft. Dafür sind die Menschen im Schnitt wesentlich jünger als in Europa und damit auch weniger anfällig für schwere Verläufe. Viele Einwohner sind schon mehrfach an Covid-19 erkrankt. Dadurch hat ein großer Teil der Bevölkerung eine breite Basisimmunität.

  • In Portugal beginnt zwar gerade der Sommer. Dort wurden allerdings weitgehend alle Maßnahmen fallen gelassen. Dass es mehr Todesfälle gibt, kann neben der Altersstruktur der Bevölkerung auch einfach an der hohen Inzidenz liegen. Die Virologin Sandra Ciesek vom Universitätsklinikum Frankfurt sagt dazu bei NDR Info: "Ich denke schon, dass der Anstieg der Mortalität in Portugal zum großen Teil auf die vermehrten Infektionen zurückzuführen ist." Bedenken müsse man auch, dass sich die Teststrategie geändert haben und es deshalb zu einer höheren Dunkelziffer kommen könne.

Faktor Zeit

Darüber hinaus liegen die Impfungen bei vielen Menschen in Portugal zeitlich schon eine Weile zurück. Die Menschen dort haben sich in großer Zahl schnell impfen lassen. Mit einer vierten Impfdosis für ältere Menschen wurde aber erst Mitte Mai angefangen, als die Zahlen schon angestiegen waren. Zum Vergleich: In Deutschland konnten sich über 80-Jährige schon Anfang des Jahres eine zweite Booster-Impfung abholen.

Das ist deshalb relevant, weil es einen zeitlichen Zusammenhang zu geben scheint. Je länger die letzte Impfung oder Infektion zurückliegt, desto wahrscheinlicher ist es, dass es überhaupt zur Ansteckung kommt, und desto schwerer ist im Schnitt die Covid-19-Erkrankung.

Reinfektionen: Kein Schutz durch vorherige Omikron-Ansteckung

Bei vielen Genesenen ist die Erkrankung noch gar nicht so lange her. Eine noch nicht begutachtete Modellierung hat gezeigt, dass viele von ihnen deshalb mit den Omikron-Untervarianten BA.1 oder BA.2 infiziert gewesen sein dürften.

Eine vorherige Infektion mit einem anderen Omikron-Typ schützt leider vermutlich nicht vor den neuen Untervarianten. Laut Ciesek zeigen erste Daten, dass trotz Infektion mit der Anfang des Jahres verbreiteten Omikron-Subvariante BA.1 eine Infektion mit BA.4 und BA.5 möglich ist. Die Infektion mit BA.2, das sich erst später in Deutschland verbreitet hat, sei naturgemäß noch nicht so lange her. Deshalb sei auch hier der Schutz vermutlich noch größer. "Trotzdem gehe ich davon aus, dass man sich auch nach einer BA.2-Infektion mit genügend zeitlichem Abstand mit BA.5 infizieren kann", so Ciesek.

Eine neue Studie, an der auch Ciesek und Forschende der Firma BionTech beteiligt waren und die in der Zeitschrift "Science Immunology" erschienen ist, hat gezeigt: Im Blut von Geimpften, die sich zusätzlich mit BA.1 infiziert hatten, war im Anschluss eine breite Neutralisierung gegen alle vorherigen Varianten möglich, auch Delta und BA.2. Diese könnten also vermutlich gut bekämpft werden. Das gilt aber nicht für die neuen Varianten BA.4 und BA.5. Hier zeigte sich im Versuch keine so breite Neutralisation. Damit hilft auch die Kombination aus Impfung und vorheriger Infektion mit BA.1 vermutlich nicht gegen die neuen Varianten.

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Ciesek: "Verfahren zur Impfstoffanpassung zu langsam"

Seit einiger Zeit wird von den Herstellern ein angepasster Impfstoff versprochen. Was die neuen Studienergebnisse für diesen Impfstoff aussagen, ist noch nicht zu beurteilen, auch weil noch keine klinischen Daten vorliegen. Weil aber auch der neue Impfstoff bisher nur an BA.1 angepasst ist, ist es wahrscheinlich, dass er gegen die neuen Subtypen nicht besonders wirksam ist, jedenfalls nicht mehr als die bereits vorhandenen Impfstoffe.

Das liegt daran, dass die Impfstoffe sehr spezifisch auf bestimmte Oberflächenstrukturen der Viren, vor allem das sogenannte Spike-Protein, zugeschnitten sind. Wenn diese sich durch Mutation verändern, sind die Impfstoffe nicht mehr so wirksam. Das wird noch mehr gelten, wenn zukünftige Varianten vielleicht noch größere Veränderungen aufweisen. 

"Es zeigt sich, dass das derzeitige Verfahren der Impfstoffanpassung zu langsam ist", sagt die Virologin Ciesek. Denn bisher müssen auch die angepassten Impfstoffe vor ihrer Zulassung erst einmal auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden. Das ist ein langwieriges Verfahren.

Grippeimpfstoff wird jedes Jahr angepasst

Wie es auch anders laufen kann, zeigt die jährliche Zulassung der Grippeimpfstoffe. Hier wird das Virus in seiner Evolution weltweit beobachtet und der Impfstoff jedes Jahr aufs Neue angepasst, ohne dass für die Zulassung neue Wirksamkeitsstudien nötig wären. "Vielleicht müssen wir bei Sars-CoV-2 auch dahin kommen, wenn wirklich nur die Sequenz vom Spike angepasst wird", sagt Ciesek.

Ob dies die entscheidende Strategie gegen immer neue Varianten sein wird, oder ob es irgendwann einen Impfstoff geben wird, der robuster gegenüber den Mutationen ist, muss sich noch zeigen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Wissen | 09.06.2022 | 08:51 Uhr

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