Mögliche Corona-Impfschäden: Prozesse gegen Hersteller beginnen
In diesen Tagen beginnen verschiedene Prozesse, in denen Menschen die Hersteller der Corona-Impfstoffe auf Schadenersatz und Schmerzensgeld verklagen. In jedem Einzelfall muss geklärt werden, ob die Impfung tatsächlich hinter ihren Beschwerden steckt. Doch das ist gar nicht so einfach.
Ein Blutgerinnsel ist der Grund dafür, dass Joachim Cäsar-Prellers Mandant auf einem Auge blind ist. Der Rechtsanwalt aus Wiesbaden vertritt den Mann vor dem Landgericht Rottweil. Er fordert 150.000 Euro Schadenersatz vom Impfstoffhersteller Biontech, denn das Gerinnsel ist relativ kurz nach der Corona-Impfung mit dem Vakzin Comirnaty aufgetreten.
Hunderte Klagen werden verhandelt
In den nächsten Wochen und Monaten werden mehr als 200 Klagen von Menschen verhandelt, die in der Impfung die Ursache für alle möglichen Beschwerden sehen. Eine Frage ist dabei immer entscheidend, sagt Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: "Kommt das Ganze jetzt von der Impfung oder ist es ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen?"
Beschwerden können andere Ursachen haben
Denn all diese Beschwerden können auch nur zufällig nach der Impfung aufgetreten sein und ganz andere Ursachen haben – Virusinfektionen etwa, allen voran mit Sars-CoV-2. Auch wenn Betroffene eine Infektion symptomlos durchgemacht haben, können sie zum Beispiel an Long Covid erkrankt sein. "Zu sagen, dass eine Erkrankung oder eine Komplikation wirklich ursächlich durch die Impfung stattgefunden hat, ist für den Einzelnen fast unmöglich", erklärt Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.
Paul-Ehrlich-Institut sammelt Verdachtsmeldungen
Vor diesem Problem stehen auch die Arzneimittelüberwachungsbehörden. Das Paul-Ehrlich-Institut sammelt deshalb Verdachtsmeldungen schwerwiegender Impfnebenwirkungen und vergleicht die Zahl der gemeldeten Beschwerden damit, wie häufig sie in Zeiten vor der Impfung vorgekommen sind. Übersteigen die Meldungen diese sogenannte Hintergrundinzidenz, schlagen die Arzneimittelüberwacher Alarm.
Mögliche Nebenwirkungen bei AstraZeneca
Das hat sehr gut im Frühjahr 2021 funktioniert: Den Behörden war aufgefallen, dass nach Impfungen mit dem Präparat von AstraZeneca häufiger als zu erwarten sogenannte Thrombozytopenien auftraten. Das bekannteste Symptom sind die Sinusvenenthrombosen, die den Blutabfluss aus dem Hirn blockieren können. "Wenn wir das Krankheitsbild kennen, können wir früh etwas unternehmen, um zu verhindern, dass diese Patienten lebensgefährliche Thrombosen bekommen", sagt Peter Berlit von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.
Beschwerden durch Vektor- und mRNA-Impfstoffe
Inzwischen sind Sinusvenenthrombosen auch bei anderen vektorbasierten Impfstoffen aufgefallen. Bei dieser Gruppe Impfstoffe haben die Arzneimittelüberwacher in seltenen Fällen auch die aufsteigenden Lähmungen des Guillain-Barré-Syndroms beobachtet. Nach Impfungen mit den mRNA-Impfstoffen fiel vor allem bei jungen Männern auf, dass diese Vakzine sehr selten Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen auslösen können - so wie das Virus selbst. Nach einer Virusinfektion treten die Beschwerden jedoch deutlich häufiger auf.
Ideologisch aufgeladen
So schnell diese schweren unerwünschten Impfreaktionen auch dank weltweiter Zusammenarbeit auffielen - in Deutschland ist die Kommunikation darüber schon lange ideologisch aufgeheizt. Das kann nicht nur zu einer Überschätzung des Problems führen. Es ist auch möglich, dass Ärztinnen und Ärzte Verdachtsfälle auf Impfnebenwirkungen zu wenig erfasst haben.
Komplikationen auch bei anderen Impfstoffen bekannt
Dabei sind solche Effekte auch bei Impfstoffen gegen andere Erreger bekannt. Beispiel Herzmuskelentzündung: Ein Team der Nationalen Universität von Singapur hat 22 Studien zu Impfnebenwirkungen ausgewertet. Für die Corona-Impfstoffe fanden sie 33 Fälle von Myokarditis auf eine Million Impfdosen. Auch bei Menschen, die sich gegen andere Erreger hatten impfen lassen, lagen die Zahlen in dieser Größenordnung - bei der Pockenimpfung fanden sie sogar ein höheres Risiko für diese Komplikation.
"Impfung bleibt das kleinere Risiko"
Schwere Impfreaktionen bekommen schon seit den ersten Tagen der Impfkampagne große Aufmerksamkeit, zumal sie besonders deshalb auffallen, weil so viele Menschen gleichzeitig geimpft wurden. "Es darf jetzt nicht der Eindruck entstehen, dass die Impfung nicht sicher ist. Wir reden über sehr seltene Ereignisse. Aber weil wir 60 Millionen Menschen geimpft haben, sind das natürlich Tausende Fälle. Es ist so, dass der Impfstoff im Vergleich zum Risiko der Infektion das kleinere Risiko darstellt", erklärt Carsten Watzl von der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.
Forschung macht Fortschritte bei Biomarkern
Zumal die Forschung Fortschritte bei der Suche nach Spuren im Körper der Betroffenen macht, nach sogenannten Biomarkern. Etwa bei den Sinusvenenthrombosen oder bei den Herzmuskelentzündungen ist das gelungen. Ein großer Fortschritt, findet Neurologe Peter Berlit: "Wenn wir Biomarker haben, also Laborbefunde, bildgebende Befunde, die zeigen, das Beschwerden mit der Impfung in Zusammenhang stehen, erleichtert es die Einordnung als Impffolge. Es hilft uns bei der Wahl einer geeigneten Therapie und auch bei etwaigen juristischen oder versicherungstechnischen Ansprüchen, die Betroffene eventuell stellen."
Post-Vac-Syndrom sei durch Impfung möglich
Eine Zeit lang gab es die Vermutung, Corona-Impfungen könnten in seltenen Fällen eine Gürtelrose auslösen. Diesen Verdacht haben Studien jedoch widerlegt.
Fachleute sind allerdings überzeugt davon, dass die Impfung in sehr seltenen Fällen das sogenannte Post-Vac-Syndrom nach sich ziehen kann, also anhaltende schwere Erschöpfung, wie sie von Post- und Long Covid bekannt ist. Der Immunologe Carsten Watzl fasst den Stand so zusammen: "Bei dem Post-Vac-Syndrom haben wir im Moment das Problem, dass das Paul-Ehrlich-Institut zwar Meldungen bekommen hat, aber wenn ich mir anschaue, wie häufig Menschen auch generell unter chronischen Erschöpfungssyndromen leiden, ausgelöst zum Beispiel durch Infektionen und andere immunologische Ereignissen, dann sehen wir hier noch kein Signal."
Schwierig für Gutachter Zusammenhang nachzuweisen
Daher ist es auch für Gutachter vor Gericht schwierig, einen Zusammenhang wirklich nachzuweisen. Das Gesetz sieht vor, dass sie sich nach dem "aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft" richten. Dazu schauen sie sich die Krankengeschichte der Klägerinnen und Kläger an, ob die Beschwerden zu dem passen, was von der Impfung bereits bekannt ist.
Biontech hält Klage für unbegründet
Beim Impfstoffhersteller Biontech hat sich die Fachabteilung der Arzneimittelsicherheit mit dem Rottweiler Fall befasst. Auf Anfrage teilte eine Sprecherin des Unternehmens mit: "Wir haben die vom Kläger dargestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf der Grundlage aller zur Verfügung gestellten Informationen sorgfältig geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klage unbegründet ist."
Carsten Watzl wirbt darum, die Betroffenen im Blick zu behalten: "Wir hatten eine Notsituation und sind bei den Impfungen relativ zügig vorangeschritten und haben sie sehr propagiert. Dann sollten jetzt die Fälle vor Gericht, auch wenn es nicht hundertprozentig bewiesen ist, dass die Beschwerden direkt von der Impfung kommen, zumindest relativ großzügig entschieden werden."