Eine Miniatur-Düne, die aus Sand aufgeschüttet ist, ist vom Wasser "angefressen". © Max Fuhrmann Rottig/TU Braunschweig Foto: Max Fuhrmann Rottig

Stress-Test für die Düne: Wie stabil ist der Küstenschutz in St. Peter-Ording?

Stand: 07.10.2022 13:29 Uhr

Dünen spielen eine große Rolle für den Küstenschutz - dort, wo es keine Deiche gibt, die Sturmfluten aufhalten oder wo steigende Wasserstände gefährlich werden können. Aber was halten solche Dünen wirklich aus?

von Thomas Somboll

In einer riesigen Werkhalle in Braunschweig nagen kräftige Wellen an der Düne "Maleens Knoll". Nach und nach sackt der mächtige Sandkörper in sich zusammen. Dort, wo die schweren Brecher auf die Düne treffen, haben sich Abbruchkanten gebildet, die eher an die Eiger-Nordwand erinnern als an einen sanft abfallenden Nordseestrand. Es kann nicht mehr lange dauern, bis die ersten Wogen über die Düne herüberschwappen und das Land dahinter in den Fluten versinken lassen.

Katastrophen-Szenario im Wellenkanal

Was in Wirklichkeit eine Katastrophe ungeheuren Ausmaßes wäre, ist bisher zum Glück nur eine Simulation im Wellenkanal des Leichtweiß-Instituts (LWI) für Wasserbau an der Technischen Universität (TU) Braunschweig. "Belastungsstufe 4", erklärt Küsten-Ingenieur Björn Mehrtens. "Wir haben insgesamt sechs Szenarien für unser ganzes Versuchsprogramm. Stufe 4 ist also eine relativ hohe Belastung." Das entspreche einem Hochwasserstand, der alle 200 Jahre statistisch auftrete. "Dazu addiert ein moderater Meeresspiegelanstieg von einem halben Meter im Jahr 2100", sagt der Experte.

Stresstest für "Maleens Knoll"

Björn Mehrtens will herausfinden, welche Belastungen eine Düne aushält, die für den Küstenschutz von Bedeutung ist. Konkret geht's um "Maleens Knoll", die Hauptdüne von St.Peter-Ording (Kreis Nordfriesland) an der schleswig-holsteinischen Nordsee, die in Braunschweig nun nachstellt wurde. Nördlich und südlich schließen sich massive Deiche an die dicht mit Schwarzkiefern, Kartoffelrosen und anderen Büschen bewachsene Düne an.

Der Wellenkanal, ein längliches durchsichtiges Test-Becken mit Wasser, steht in in einem Container, der Klimakammer am Leichtweiß-Institut für Wasserbau (LWI) an der Technischen Universität Braunschweig. © Max Fuhrmann Rottig/TU Braunschweig Foto: Max Fuhrmann Rottig
Hier wird für die Zukunft geforscht: Im Wellenkanal der TU Braunschweig können Wissenschaftler verschiedene Szenarien simulieren - und Erkenntnisse darüber gewinnen, was am Küstenschutz verbessert werden muss.

Wenn es eine Schwachstelle im Küstenschutz geben könnte, dann wäre es der riesige Sandhaufen "Maleens Knoll". "Bislang war es so, dass die Küstendüne bei Sturmfluten ausreichend hohen Schutz geboten hat, ähnlich wie der benachbarte Regionaldeich oder der Landesschutzdeich", weiß Mehrtens. "Jetzt wollen wir hier untersuchen und zeigen, dass es auf lange Sicht durchaus auch zu höheren Belastungen kommen kann - und wird." Und da sei dann die Frage: Wie ist da das Schutzniveau, und wie kann das dann bemessen werden? "Das darf man nicht erst im Nachhinein machen, wenn's schon zu spät ist."

Kaum Dünenforschung in Deutschland

Tatsache ist, dass man sich um die Stabilität von Dünen beim Küstenschutz bislang eher wenig gekümmert hat. Während der Deichbau immer weiter entwickelt wurde, wurden Schutzdünen von der Forschung eher links liegengelassen. "Früher ist man sehr stark davon ausgegangen, dass wir einfach in der Natur etwas bauen. Dann wird etwas dahingestellt, es wird dimensioniert. Als Ingenieure sind wir da sehr gut drin", sagt Nils Goseberg, Professor für Hydromechanik, Küsteningenieurswesen und Seebau an der TU Braunschweig. Im Moment finde aber ein Paradigmenwechsel statt: Nicht mehr bauen in, sondern bauen mit der Natur. Es müsse verstanden werden, wie die Naturprozesse funktionieren und diese im Küstenschutz nutzen. "Zum Beispiel können wir Sandtransporte so geschickt umlenken oder Belastungen so umlenken, dass es insgesamt zu einer Stärkung des Küstenschutzes beitragen kann", weiß Goseberg.    

Natürlicher Küstenschutz statt höherer Deiche

Hinweisschild "Dünenschutz ist Küstenschutz" am Strand Ording-Nord in St. Peter-Ording. © IMAGO / imagebroker Foto: IMAGO / imagebroker
Die Dünen zu stärken kann zu einem viel besseren Küstenschutz führen - da sind sich die Wissenschaftler einig. Wie konkret sie verbessert werden können, wird noch erforscht.

Auch in St. Peter-Ording könnte die Schutzdüne im Prinzip ganz klassisch durch einen stabilen Deich ersetzt werden. Im Rahmen des Projekts "Sandküste St. Peter-Ording" soll jedoch erforscht werden, ob die Düne und das mit ihr verbundene Ökosystem erhalten werden kann - und, wenn nötig und möglich, so verändert wird, dass sie auch künftigen Sturmfluten widersteht. Dafür haben die Wissenschaftler die Natur in ihre Werkhalle nach Braunschweig geholt und ein in Deutschland bislang einzigartiges Forschungsprojekt gestartet: Den Nachbau der Düne "Maleens Knoll" im Wellenkanal, anhand von Original-Daten aus St.Peter-Ording.

Genau genommen sei es nur ein Teil der Düne, sagt Björn Mehrtens. "Das ist jetzt hier der schwächste Abschnitt, den wir in 'Maleens Knoll' gefunden haben. Das ist auch gleichzeitig die Strandzufahrt oder der Strandübergangsweg in St. Peter-Ording. Und den haben wir quasi im Maßstab 1:7 hier einmal eingebaut - zwei Meter breit, knapp einen Meter hoch und zehn, zwölf Meter lang." Damit nimmt die Düne die ganze Breite des Wellenkanals ein: Höhe, Volumen, Wasserstand, Wellenstärke - all das lässt sich laut Experten technisch relativ einfach im Forschungskanal nachbilden.

Das Problem mit dem Dünensand

Beim Sand wurde es allerdings knifflig: Original-Material von "Maleens Knoll" kam nicht infrage - die Körner mussten ja maßstabsgerecht verkleinert werden, um die Versuche nicht zu verfälschen. Aber in St. Peter-Ording ist der Sand schon von Natur aus sehr feinkörnig. "Den konnten wir nicht einfach im Maßstab 1:7 verkleinern," so Mehrtens, "dann hätten wir wirklich Puder, was keine typischen Sandeigenschaften hätte."

In der Klimakammer mit Wellenkanal am Leichtweiß-Institut für Wasserbau (LWI) an der Technischen Universität Braunschweig stehen Uni-Vizepräsident Dietmar Smyrek, Landtagsabgeordnete Annette Schütze (SPD Niedersachsen), der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies (SPD) und Professor Nils Goseberg vom LWI (v.l.). © Max Fuhrmann Rottig/TU Braunschweig Foto: Max Fuhrmann Rottig
Der Wellenkanal am Leichtweiß-Institut für Wasserbau (LWI) in Braunschweig zieht auch die Politik an: Uni-Vizepräsident Dietmar Smyrek (l.) und Professor Nils Goseberg (r.) zeigen ihn der Landtagsabgeordneten Annette Schütze (SPD NDS) und dem niedersächsischen Umweltminister Olaf Lies (SPD).

Dünen bauen und erforschen sei also gar nicht so einfach, betont auch Professor Nils Goseberg. "Und da steckt die Kunst drin, die Parameter so abzustimmen, dass wir ein naturähnliches Verhalten bekommen." Daher kommt der Nordseesand nun von einem Spezialhersteller in Süddeutschland. Der schickte zwei Lkw-Ladungen mit riesigen Sandsäcken nach Braunschweig, jeder Sack etwa eine Tonne schwer. Mit einem Kran seien sie in die Forschungshalle gehievt und der Sand anschließend mit Schubkarren und Schaufeln in den Wellenkanal transportiert worden, erzählt Björn Mehrtens.

Sturmflut im Wellenkanal

Durch ein großes Fenster können die Forschenden seitlich in das Becken wie in ein Aquarium hineinblicken. Wenn Björn Mehrtens dann all seine Messinstrumente, Laser-Scanner und Kameras in Position gebracht hat, kommt der spannende Moment. Nachdem er die etwa 90 Meter entfernte Wellenmaschine gestartet hat, kann er aus nächster Nähe durch das Fenster im Kanalbecken oder auf dem Computerbildschirm verfolgen, was das Wasser mit der Düne anstellt.

Der überflutete Strandparkplatz St. Peter Ording. © dpa
Als "Xaver 2013 über das Land fegte, setze eine Sturmflut viele Bereiche St. Peter-Ordings unter Wasser.

Alle sechs bis acht Sekunden rollen jetzt Wellen auf "Maleens Knoll" zu, die in der Natur durchschnittlich einen bis einen Meter fünfzig hoch wären. "Verschiedene Wellen, um eben natürlichen Seegang zu simulieren: Das sind die Perioden, die vor Ort typischerweise vorherrschen", erklärt Mehrtens. Das hier aufgebaute Sturmflut-Szenario, also der Testlauf, dauert etwas unter zwei Stunden - genauer: 113 Minuten. Das sei orientiert an vergangenen Sturmfluten - beispielsweise beim Sturm "Xaver" im Jahr 2013, die knapp sechs Stunden gedauerte.

Keine Chance für die Düne

Im Wellenkanal dauert es nur wenige Minuten, dann wird immer mehr Sand weggeschwemmt, die Wellen scheinen die Düne in diesem Versuchsaufbau förmlich aufzufressen. "Bei dem nächststärkeren Szenario kommt es speziell bei den ersten Wellen dazu, dass sie auf die Böschungskrone gelangen und darüber hinaus auch auf die Landseite überlaufen. Das ist bei diesem Szenario jetzt nicht zu erwarten", sagt Mehrtens, während er die Wellen beobachtet. Über die Zeit von 113 Minuten werde aber dennoch eine erhebliche Erosionserscheinung auftreten, so der Ingenieur.

Durch das Aquariumfenster des Wellenkanals verfolgt auch Wasserbau-Professor Nils Goseberg, wie brutal die Küstendüne von den heranrollenden Wellen zerlegt wird. "Jetzt sieht man hier wieder ein starkes Abrutschen", kommentiert der Fachmann. "Das ist in etwa so wie beim Sandburgenbauen am Strand: wenn die Flut kommt und die Sandburg langsam in den Wellen verschwindet."

Kokos-Matten können Dünen stärken

Baumstämme liegen am Strand in St. Peter-Ording vor einer Düne. © IMAGO / penfoto Foto: Petra Nowack
Dünen können für einen besseren Küstenschutz mit verschiedenen Materialien verstärkt werden. Auch diese Option wird in Braunschweig erforscht.

Noch ist die echte "Maleens Knoll" von einem solchen Schicksal weit entfernt - in Zukunft kann das allerdings ganz anders aussehen. Wie lässt sich eine derart attackierte Düne dann also schützen, ohne dass wieder klassische Betonmauern oder Spundwände als Verstärkung ins Spiel kommen? Das sollen weitere Versuche zeigen, in denen die Braunschweiger TU-Forscher nicht mehr nur auf Sand bauen wollen, sondern zum Beispiel auch auf Matten aus Naturfasern, die die Düne von innen her stabilisieren könnten. "Kokos und Flachs kann man auch nehmen - je nachdem, wie lange das dann halten soll", sagt Nils Goseberg. "Und in der Kombination zum Beispiel mit mehreren Wickellagen kann man sich dann solche in den Sandkörper eingebrachten größeren Elemente vorstellen, die aus diesen Fasern oder aus den Matten hergestellt werden." Nach Möglichkeit soll aber laut Goseberg kein Beton verbaut werden, wobei es gleichwohl auch sein kann, dass man an bestimmten Stellen vielleicht nicht darum herum kommt.

Dünen-Experimente in Braunschweig gegen weiter

Erstmal wollen die Braunschweiger aber noch eine ganze Menge ausprobieren. In einem eigenen Foliengewächshaus lassen sie Strandhafer in unterschiedlicher Dichte wachsen, der dann später auf der Düne im Wellenkanal mithelfen soll, die Wogen zu glätten. Und sie wollen Schwarzkiefern pflanzen, so wie sie auch auf "Maleens Knoll" vorkommen. Denn auch die könnten die Düne widerstandsfähiger machen, vermutet Ingenieur Oliver Lojek. "Wenn die ersten ein bis zwei Meter der Düne erodiert werden, die ersten Kiefern erosionsbedingt umfallen und vorne in die Erosionszone der Düne geraten, dann könnten sie wie ein Wellenbrecher wirken", sagt Lojek. Sie könnten demnach auch das Bodenmaterial festhalten. Das heiße, es gäbe dadurch einen zusätzlichen Erosions- und Sturmflutschutz. "Das hat bisher weltweit noch niemand untersucht", betont der Ingenieur, "das werden wir demnächst wahrscheinlich erstmal mit Holzstäben nachbilden - um zu gucken, wie sich das verhält."

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Infoprogramm | 07.10.2022 | 07:55 Uhr

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