Ein Blick ins Innere der Hyparschale in Magdeburg während der Sanierung © NDR Info Foto: Markus Plettendorff

Klimaschutz auf dem Bau: Carbonbeton schlägt Stahlbeton

Stand: 11.07.2022 10:00 Uhr

Auf dem Weg zu einer klimaneutralen Gesellschaft muss auch die Baubranche umdenken. Gerade die Produktion von Beton und Zement setzt sehr viele Treibhausgas-Emissionen frei. Ein Werkstoff der Zukunft könnte Carbonbeton sein.

von Markus Plettendorff und Marc-Oliver Rehrmann

Genauso hart und stabil wie Stahl, aber unglaublich viel leichter. Das ist der klare Vorteil von Carbonmatten gegenüber Stahlgittern, die üblicherweise auf Baustellen von Betongebäuden zum Einsatz kommen. Mithilfe dieser Carbonmatten wird gerade in Magdeburg die denkmalgeschützte Hyparschale saniert: eine Architektur-Perle in der Elbestadt, die von dem DDR-Architekten Ulrich Müther entworfen und 1969 errichtet wurde. Die Mehrzweckhalle ist ein futuristisch anmutendes Gebäude, das über Jahrzehnte für Messen, Konzerte und Sportevents genutzt wurde. Seit 1990 steht es unter Denkmalschutz, trotzdem stand später auch ein Abriss zur Diskussion. So stark verfallen war die Halle vor der Sanierung. So mancher in Magdeburg sprach von einem Schandfleck.

Eine Carbonmatte vor dem Hintergrund der Hyparschale in Magdeburg © NDR Info Foto: Markus Plettendorff
AUDIO: Podcast "Mission Klima - Lösungen für die Krise": Wie Carbonbeton das Bauen revolutionieren soll (27 Min)

Ist Nachhaltigkeit nur ein "Modethema"?

"Die Hyparschale ist ein Wahrzeichen der Stadt Magdeburg", sagt Alexander Schumann. Der 32-Jährige ist technischer Geschäftsführer beim Unternehmen Carbocon. Die Firma ist an der Sanierung der Hyparschale maßgeblich beteiligt. Schumann und sein Team wollen mit Carbonbeton eine Revolution des Bauens anstoßen. Ihr Ziel ist, im großen Stil Material und CO2 einzusparen. Und in Magdeburg wollen sie zeigen, wie das geht.

"Wenn man vor dem Gebäude steht, kann man gar nicht glauben, dass es mal abgerissen werden sollte. Weil es so ein schönes Gebäude ist." Schumann will das Bauen in Deutschland nachhaltiger und innovativer gestalten - nicht in der Zukunft, sondern jetzt. Auf der Baustelle sehen das aber längst nicht alle so. "Ich hab jetzt gerade wieder vor ein paar Tagen mit Leuten vom Handwerk und von der Baustelle geredet. Die sagen dann so: 'Na ja, Nachhaltigkeit ist doch so ein Modethema. Das ist in ein paar Jahren wieder vorbei.' Dann denkt man sich so: Schlimm, dass die Leute immer noch so reden."

Hyparschale in Magdeburg: Ein ganz besonderes Dach

Nur mithilfe des Carbonbetons ist der Erhalt des Magdeburger Architektur-Denkmals überhaupt möglich. Das hat vor allem mit dem Dach zu tun - dem beeindruckendsten Teil des Gebäudes. Es sieht aus wie vier große Segel, die in die verschiedensten Richtungen gebogen sind und zusammen über der Halle zu schweben scheinen - weil es keine Seitenwände, Säulen oder Stützen gibt, die dieses Dach tragen, nur seitliche schräge Streben, die die Kräfte auffangen und ableiten. Die Halle trägt über 48 Meter.

Herkömmlicher Beton kam nicht infrage

Das Dach der Hyparschale in Magdeburg während der Sanierung © NDR Info Foto: Markus Plettendorff
Für das Dach der Hpyarschale in Magdeburg musste eine besondere Lösung her.

Experten hatten ausgerechnet, dass man bei einer herkömmlichen Sanierung jeweils sieben Zentimeter Beton oben und unten auf das marode Dach hätte aufbringen müssen. Dann wäre das historische Dach womöglich unter der Last zusammengebrochen - oder man hätte zusätzlich Stützen im Innenraum gebraucht. Dann hätte die Halle aber viel von ihrer Faszination verloren.

Eine dünne Betonschicht reicht

Also hat sich die Stadt von dieser Planung verabschiedet und setzt nun auf die Carbon-Technologie. Dabei werden Carbonmatten in Gitterform aufs Dach gelegt - und dann kommt Beton drauf. Aber viel weniger Beton als bei herkömmlichen Verfahren. Da die Carbonmatten eine besonders hohe Tragfähigkeit aufweisen, reichen für das Hyparschale-Dach jeweils ein Zentimeter Beton oben und unten: also überall auf dem Dach zwei Zentimeter statt 14 Zentimeter dicker Beton. Dies führt dazu, dass bei der Sanierung rund 85 Prozent an Beton eingespart werden können.

"Man kann schlanker und langlebiger Bauen"

Eine Hand hält eine Carbonmatte, die bei der Sanierung der Hyparschale in Magdeburg verwendet wird. © NDR Info Foto: Markus Plettendorff
So sehen die Carbonmatten aus, die bei der Sanierung der Hyparschale zum Einsatz kommen.

Der Clou der Carbonmatten ist: Sie sind nicht nur viel leichter als Stahlgitter, sondern auch flexibel: Sie können aufgerollt und einfach zugeschnitten werden. "Man kann leichter bauen, man kann schlanker bauen und man kann langlebiger bauen", zählt Schumann die Vorteile auf. Bei Stahlbeton geht man bislang von einer Lebensdauer von 50 Jahren aus. Bei Carbonbeton rechnen Experten mit dem Doppelten.

Carbonbeton ist gut für die Klimabilanz

Bei der Hyparschale in Magdeburg wird zwar eine Betonsorte benötigt, die bei der Produktion mehr CO2-Emission verursacht. Dennoch ist Carbonbeton laut Schumann am Ende klimafreundlicher als Stahlbeton. Für die Sanierung in Magdeburg haben die Experten ausgerechnet: 50 Prozent weniger CO2 werden dank des Carbon-Verfahres ausgestoßen. Denn auf der Baustelle wird viel weniger Material benötigt. Dazu kommt, dass dadurch auch weniger Emissionen beim Transport anfallen. Denn es sind weniger Betonmischer unterwegs. Und nur ein Lieferwagen mit Carbongittern muss zur Baustelle fahren, statt einem Sattelschlepper voll Stahlgeflecht.

Warum ist Beton so klimaschädlich?

Praktisch kein Neubau kommt zurzeit ohne Beton aus. Das Problem: Die Herstellung des "Klebers" im Beton, der Sand, Wasser und Kies zusammenhält - Zement nämlich - ist extrem klimaschädlich. Dafür wird Kalkstein zermahlen und anschließend bei rund 1.500 Grad zu Zementklinker gebrannt. Das braucht enorme Mengen Energie und verursacht - auch durch chemische Prozesse - sehr viel CO2. Und durch die schiere Menge, die Tag für Tag an Beton und damit Zement verbaut wird, ist der Effekt verheerend: Knapp acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen gehen auf das Konto der Beton-Industrie.

Gibt es bald Carbon aus nachwachsenden Rohstoffen?

Für die Klimabilanz von Carbonbeton gilt aber auch: Der Werkstoff selbst ist keineswegs klimaneutral. Denn die Carbon-Produktion ist sehr energie-intensiv. Es gibt inzwischen Bemühungen, Carbonfasern nachhaltiger zu produzieren. Der Energieaufwand ist dabei eine Stellschraube. Aber auch der Rohstoff, der bislang aus Erdöl gewonnen wird, kann ersetzt werden. Da wird zum Beispiel mit nachwachsenden Rohstoffen experimentiert.

"Carbonbeton eignet sich nur für bestimmte Projekte"

Ildiko Merta kennt sich bestens mit Beton aus. Sie forscht an der Technischen Universität Wien zu Alternativen für Stahlbeton - unter anderem auch zu Beton, der mit natürlichen Fasern wie Hanf und Flachs "bewährt" ist. Sie sieht darin große Chancen. Aber nicht jede Alternative sei für jedes Bauprojekt geeignet.

"Carbonbeton ist ein sehr gutes alternatives Material - besonders für Sanierungen, für Schalen- und Dachkonstruktionen und für die Plattenbauweise", sagt Merta. "Aber in vielen anderen Bereichen, die wir im Betonbau haben, können wir das Carbon-Verfahren nicht einsetzen." Es müsse klar sein, dass es sehr viele verschiedene Anforderungen für Betone. "Und für all diese Anwendungen brauchen wir verschiedene Betone. Deswegen können wir nicht generell herkömmlichen Beton mit einem nachhaltigen Beton ersetzen", macht Merta deutlich.

Beton mit Hanf eignet sich gut für Industriehallen

Die Beton-Expertin erklärt, dass der von ihr erforschte Beton mit Hanf- und Flachsfasern sich zum Beispiel besonders gut für Industriehallen eignet. Denn diese Naturfasern halten den Schwingungen gut stand, die große Maschinen verursachen - und übrigens auch den Erschütterungen durch Erdbeben. Und der "Gradientenbeton" eignet sich super als dämmende Außenwand von Gebäuden. Denn bei diesem Beton werden überall dort, wo die Belastung es zulässt, murmelgroße Hohlräume gelassen. Die Luft in den Hohlräumen ist gut für die Dämmung.

Vielen Bauherrn ist Carbonbeton zu teuer

Gegen Carbonbeton spricht für viele Bauherrn noch der Preis. Denn: Obwohl deutlich weniger Beton benötigt wird als beim Stahlbeton, ist Carbonbeton häufig noch teurer - vor allem bei Neubauten. Und das sind viele Bauherren nicht bereit zu akzeptieren, weiß Alexander Schumann. "Zehn Prozent darf ein Projekt mit Carbonbeton mehr kosten. Ansonsten heißt es dann auf Seiten des Bauherrn: So wichtig ist es auch nicht. Und das sagen halt viele: Wir wollen nachhaltig sein. Aber es darf nicht viel mehr kosten."

Noch fehlen Normen und Genehmigungen

Die Kosten sind aber nur ein Grund, warum der Carbonbeton-Bau noch nicht wirklich boomt. Es fehlen auch Genehmigungen und Normen. Einen neuen Baustoff zuzulassen, ist ähnlich aufwendig wie bei einem neuen Medikament. Das erschwert die Planung.

Für die Hyparschale-Sanierung in Magdeburg gab es eine Einzelgenehmigung - mit vorherigem Gutachten. Aber noch fehlt eine Baunorm, in der steht, wie grundsätzlich mit Carbonbeton zu bauen ist, wie eine fachgerechte Ausführung aussieht, für welche Gebäude-Bereiche Carbonbeton genutzt werden darf. "Das Problem bei so einer neuen Norm ist, das solch ein Prozess in der Regel mindestens zehn Jahre dauert", sagt Alexander Schumann. "Es dauert so lange!"

Aber der 32-Jährige ist weiter überzeugt, dass dem Carbonbeton die Zukunft gehört.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Mission Klima – Lösungen für die Krise | 11.07.2022 | 07:08 Uhr

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Klimaschutz

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

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